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Nature vs Nurture: Universalien der Intonation bei Singvögeln und Menschen

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Sprachwissenschaftler wissen seit langem, dass die Sprachen der Welt viele gemeinsame Merkmale teilen, die Universalien genannt werden. Diese Merkmale1 umfassen die syntaktische Struktur von Sprachen (z. B. Wortreihenfolge) sowie feinere akustische Sprachmuster, wie das Timing, die Tonhöhe und die Betonung von Äußerungen.

Biologen, die den Vogelgesang erforschen, sind seit geraumer Zeit fasziniert von der Möglichkeit, dass die Universalien der Intonation in neurobiologischen Prozessen verwurzelt sind, die in einer Vielzahl von Tieren vorkommen. Jetzt liefern Studien von Vogelkundlern der McGill Universität in Montreal, Kanada neue Indizien, um diese Idee zu unterstützen.

In einer Reihe von Experimenten fanden die Forscher heraus, dass junge Zebrafinken intrinsisch voreingenommen sind, bestimmte Arten von Lautmustern gegenüber anderen zu erzeugen2. “Außerdem ähneln diese Klangmuster Mustern, die häufig in menschlichen Sprachen und in der Musik beobachtet werden”, sagt Jon Sakata, leitender Autor des Fachartikels, der in Current Biology veröffentlicht wurde [1].

Credit: By Peripitus (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) Ein männlicher Zebra-Fink (Taeniopygia guttata) im Dundee Wild Life Park, Murray-Brücke, Süd-Australien.

In umfangreichen Untersuchungen von Zebrafinkenliedern haben Vogelkundler eine Vielzahl von Lautmustern dokumentiert, die in allen Zebrafinkenpopulationen vorkommen. “Da die Natur dieser Universalien Ähnlichkeit mit denen in Menschen hat und weil Singvögel3 ihre Laute auf die gleiche Weise lernen, wie Menschen Sprache, waren wir motiviert, die biologische Veranlagung beim Gesangslernen bei Singvögeln zu erforschen”, sagt Logan James, Co-Autor der Studie.

Um eine biologische Prädisposition sichtbar zu machen, unterrichteten James und Sakata individuell junge Zebrafinken mit Liedern, die aus einer Sequenz von fünf akustischen Elementen in jeder möglichen Reihenfolge bestanden. Die Vögel wurden jeder Sequenzpermutation gleich häufig und in zufälliger Reihenfolge ausgesetzt. Jeder Zebrafink musste daher individuell “auswählen”, welche Sequenzen er aus diesem “Vogelgesangbuffet” produzieren sollte.

Am Ende waren die Gesänge, die die im Labor groß gezogenen Vögel sangen, denen, die in natürlichen Zebrafinkenpopulationen beobachtet wurden, sehr ähnlich. Ein Beispiel: Zebrafinken, die mit randomisierten Lautsequenzen unterrichtet wurden, setzen oft einen “Fernanruf” – eine lange, tiefe Stimme – am Ende ihres Liedes ab, genau wie wilde Zebrafinken.

Andere Klänge erschienen viel wahrscheinlicher am Anfang oder in der Mitte des Liedes; zum Beispiel wurden kurze und hohe Vokalisationen eher in der Mitte des Liedes produziert als am Anfang oder Ende des Liedes. Dies entspricht Mustern, die in verschiedenen Sprachen beobachtet werden, und in der Musik, bei der Klänge am Ende von Phrasen tendenziell länger und in der Tonhöhe niedriger sind als Klänge in der Mitte.

“Diese Ergebnisse liefern wichtige Beiträge für unser Verständnis der menschlichen Sprache und Musik”, sagt Caroline Palmer, eine Psychologin der McGill-Universität, die nicht an der Studie beteiligt war. “Die Forschung, die die Lernumgebung der Vögel auf eine Weise steuert, die mit kleinen Kindern nicht möglich ist, legt nahe, dass statistisches Lernen allein – der Grad, in dem man bestimmten akustischen Mustern ausgesetzt ist – keine Präferenzen für Lieder (oder Sprache) erklären kann. Andere Prinzipien, wie universelle Grammatiken und Wahrnehmungsorganisation, sind eher dafür verantwortlich, dass sowohl menschliche Säuglinge als auch Jungvögel prädisponiert sind, bestimmte auditive Muster zu bevorzugen.”

Fußnoten

1. Der Sprachwissenschaftler Noam Chomsky und der Psychologe Steven Pinker behaupten, dass diese Merkmale eine Universalgrammatik widerspiegeln, die auf angeborenen Mechanismen des Gehirns aufbauen, die das Sprachenlernen fördern und beeinflussen.

2. Beim Menschen erforscht die Makroprosodie Änderungen im Grundfrequenzverlauf, die der Sprecher bewusst produziert. Viele Ansätze in der sprachlichen Intonationsforschung gehen von einer endlichen Menge an intonatorischen Strukturen innerhalb einer Sprache aus, vergleichbar den Phonemen die vom Sprecher gewissen Regeln folgend eingesetzt werden.

3. Die Singvögel mit ihren zahlreichen Familien stellen eine Unterordnung der Sperlingsvögel dar. Es gibt weltweit mehrere tausend Arten von Singvögeln. Sie kommunizieren neben dem Gesang mit Rufen. Das Krächzen der Raben wäre ein Beispiel dafür. Warnrufe warnen die Artgenossen vor einer drohenden Gefahr, Lockrufe dienen als Leitsignal beispielsweise für Jungvögel. Manche Singvögel können andere Singvögel nachahmen. Kleiber z. B. imitieren gelegentlich Grünfinken. Dadurch wird möglicherweise von dem kleineren Vogel vorgetäuscht, dass man es mit einem größeren und stärkeren Gegner zu tun hat. Gelbspötter sind regelrechte Meister der Imitation: Sie beherrschen eine ganze Reihe an Rufen und Gesängen von anderen Vogelarten.

Weiterführende Literatur

[1]. Logan S. James, Jon T. Sakata.(2017) Learning Biases Underlie ‘Universals’ in Avian Vocal Sequencing. Current Biology; DOI: 10.1016/j.cub.2017.10.019

Auf Dr Doolittles Spuren: Lautlernen und Interspecies-Kommunikation

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Der Zusammenhang zwischen Fortpflanzungsstrategie und Genomgröße bei Fadenwürmern

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Fadenwürmer (Nematoden) pflanzen sich sexuell fort, meist mit zwei getrennten Geschlechtern, Männchen und Weibchen. Allerdings entstanden später in der Evolution der Fadenwürmer auch selbstbefruchtende Zwitter, wie zum Beispiel Caenorhabditis elegans, ein bekannter Modellorganismus der Entwicklungsbiologie.

Credit: By Bob Goldstein, UNC Chapel Hill http://bio.unc.edu/people/faculty/goldstein/ (Own work) [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons Der zwittrige Fadenwurm Caenorhabditis elegans

Reproduktionsbiologen fanden in einer Studie mit dem zwittrigen Fadenwurm Caenorhabditis briggsae1 heraus, dass die Selbstbefruchtung, dazu geführt hat, dass er ein Viertel seines Genoms verloren hat, einschließlich Genen, die Spermien während der Paarung einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Das Forscherteam Da Yin et al. von den Universitäten Maryland (USA), Cornell (USA), Toronto (Kanada) veröffentlichte die Ergebnisse dieser Arbeit in der Fachzeitschrift Science [1].

Um zu untersuchen, wie Selbstbefruchtung die Genomgröße von C. briggsae beeinflusste, sequenzierte Erich Schwarz, Mitautor der Studie, das Genom des Fadenwurms Caenorhabditis nigoni, dem nächsten Verwandten von C. briggsae. C. Nigoni –Würmer reproduzieren sich immer durch Paarung mit anderen Individuen der gleichen Population oder durch Auskreuzung. Durch den Vergleich der Genome der beiden Arten fanden die Forscher heraus, dass die selbstbefruchtenden C. briggsae-Würmer 7.000 Gene weniger aufweisen als die C. nigoni-Würmer2.

Da sich die beiden Arten vor allem in ihrer Fortpflanzungsweise unterscheiden, stellten die Wissenschaftler die Hypothese auf, dass die Verlagerung von Auskreuzung zu Selbstbefruchtung zum Genverlust führte. Um dies zu bestätigen, verglichen sie die Genaktivität in C. nigoni-Männchen und -Weibchen und fanden heraus, dass fast drei Viertel der Gene, die C. briggsae verlor, bei C. nigoni Männchen aktiver waren als bei Weibchen.

Auf der Suche nach möglichen geschlechtsspezifischen Funktionen für die verlorenen Gene konzentrierten sich die Forscher auf eine Familie von male secretory short (mss)-Genen, die C. nigoni aber C. briggsae nicht hatte. (Keine der bekannten selbstbefruchtenden Caenorhabditis-Arten hat mss-Gene.) Nur bei den männlichen Würmern der Auskreuzungspopulationen sind mss-Gene aktiv.

Mit dem Gen-Editing-Werkzeug CRISPR/Cas entfernten die Forscher vier mss-Gene aus der auskreuzenden Fadenwurmart Caenorhabditis remanei. Das Ergebnis war, dass die Spermien aus männlichen C. remanei-Würmern, denen die Proteine, die die mss-Gene kodieren, fehlten, nicht mit Spermien von Wildtyp-C. remanei-Männchen mit mss-Genen konkurrieren konnten.

Ein sehr großer Anteil der C.-briggsae-Würmer sind Zwitter. In jeder Population kommt aber auch ein sehr kleiner Anteil von Männchen vor. Als die Forscher nun mss-Gene von C. remanei in C.-briggsae-Männchen einführten, schlugen die Spermien dieser Männchen die Spermien von Wildtyp-C.-briggsae-Männchen und von Wildtyp-C.-briggsae-Zwittern aus dem Feld. Zusätzlich entdeckten die Wissenschaftler, dass die mss-Gene für kurze Proteine codieren, die die Oberfläche von Spermien bedecken.

Die Tatsache, dass alle selbstbefruchtenden Caenorhabditis-Arten die mss-Gene verloren haben, legt nahe, dass diese Gene, die für Caenorhabditis-Arten mit getrennten Geschlechtern sehr nützlich sind, schädlich für Caenorhabditis-Arten sind, die selbstbefruchtend sind. Haag, Leiter des Forschungsteams, zufolge kann die selbstbefruchtende Art von Caenorhabditis die mss-Gene verloren haben, weil konkurrierendes männliches Sperma für sie schädlich ist. Während der Studie entdeckten die Forscher, dass die Konkurrenz der männlichen Spermien das Geschlechterverhältnis der Art zu einem höheren Männchenanteil änderte. Diese Verschiebung könnte das Überleben der Würmer gefährden, da zu viele Männchen das Populationswachstum verlangsamen und sich die Würmer in der Wildnis so schnell wie möglich vermehren müssen, um zu überleben3.

Laut Da Yin, Erstautor der Studie, sind Experimente im Gange, um zu bestätigen, dass männliche Konkurrenzspermien C. briggsae schädigen könnten. “Wir haben begonnen, das Wachstum von C. briggsae-Populationen mit und ohne mss-Gene zu vergleichen, was uns erlaubt zu testen, ob mss-Gene durch Selektion aus dem Genom von C. briggsae vertrieben wurden”, sagte Yin. “Unsere Hypothese ist, dass C. briggsae-Populationen mit mss-Genen aufgrund ihrer höheren Anzahl an Männchen langsamer wachsen werden.”

In Zukunft wollen Haag und seine Mitarbeiter untersuchen, wie mss-Gene Spermien im Wettbewerb unterstützen. Sie wollen auch die anderen der 7.000 verlorenen Gene untersuchen, um herauszufinden was ihre Rollen in C. briggsae waren.

Fußnoten

1. C. briggsae wurde zuerst von Margaret Briggs 1944 entdeckt. C. briggsae kann oft in Kompost, Gartenbeeten, feuchten Pilzen oder faulen Früchten gefunden werden, die reich an Mikroorganismen und verschiedenen Nährstoffen sind.

2. Die meisten Fadenwürmer haben Genome im Bereich von 50-250 Megabasenpaare (Mb). Unter den zehn Nematodenarten, deren Genome sequenziert wurden, variieren die Größen von 53 Mb für Haemonchus contortus bis 240 Mb für Trichinella spiralis. Die Variation der Genomgröße über den Stamm ist wahrscheinlich noch größer, da Genomgrößen nur für ungefähr 50 Arten geschätzt wurden.

3. In einem älteren Fachartikel von Morran et al. in Nature [2] wurden Experimente mit einer anderen Gruppe von Fadenwürmern, den Spulwürmern (Ascaridida), beschrieben. Spulwürmer können sich durch Selbstbefruchtung oder durch Auskreuzen vermehren. Die Forscher führten mehr als 100 Versuche mit Spulwürmern durch, in denen sie die Populationen an neue Umgebungen anpassten, die unter anderem parasitische Bakterien enthielten, die die Würmer von innen auffressen. Die Wissenschaftler manipulierten die Würmer genetisch so, dass sie sich nur noch entweder durch Selbstbefruchtung oder durch Auskreuzen vermehren konnten und nicht mehr aus einer Kombination aus beidem. Sie beobachteten die Evolution der Würmer von 60 verschiedenen Populationen über 50 Generationen unter verschiedenen Kombinationen aus Mutation, Fortpflanzungsweise und genetischem Hintergrund. Sie fanden heraus, dass rein selbstbefruchtende Populationen viel anfälliger für gesundheitsgefährdende Mutationen waren und zudem nicht in der Lage sind, sich schnell verändernden Umgebungen anzupassen. „Das erklärt die Erfahrung, dass selbstbefruchtende Populationen mit einer viel höheren Wahrscheinlichkeit aussterben als auskreuzende“, sagt Levi T. Morran, der leitende Autor der Studie.

Weiterführende Literatur

[1] Da Yin, Erich M. Schwarz, Cristel G. Thomas, Rebecca L. Felde, Ian F. Korf, Asher D. Cutter, Caitlin M. Schartner, Edward J. Ralston, Barbara J. Meyer, Eric S. Haag. (2018) Rapid genome shrinkage in a self-fertile nematode reveals sperm competition proteins. Science, Vol. 359, Issue 6371, pp. 55-61. DOI: 10.1126/science.aao0827

[2] Levi T. Morran, Michelle D. Parmenter & Patrick C. Phillips (2009) Mutation load and rapid adaptation favour outcrossing over self-fertilization Nature, 462, 350–352 doi:10.1038/nature08496

Game of Insect Males

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Wie ein umgedrehtes Supergen Schmetterlingen half, Mimikry zu entwickeln

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Manche ungiftige Schmetterlingsarten ahmen das Muster, die Farbe und die Form der Flügel einer giftigen Art nach. Die ungiftigen Arten tarnen sich durch diese Flügelmustermimikry vor Fressfeinden. In einigen Schwalbenschwanzschmetterlingen reguliert eine einzige Region des Genoms diese Mimikry. Aufgrund der komplexen Formen dieser Mimikry nehmen Genetiker seit den 1960er an, dass diese Region “Supergene” enthält – mehrere eng verbundene Gene, die immer als Gruppe vererbt werden und die jeweils einen Teil des Flügelmusters steuern. (Das erinnert einen Genetiker an das Lac-Operon des Bakteriums E. coli.)

Um diese Supergene zu identifizieren und sequenzieren, untersuchten Marcus Kronforst von der Universität Chicago und sein Team von Biologen den Kleinen Mormon (Papilio polytes), einen asiatischen Schwalbenschwanz, der geschlechtsbegrenzte Mimikry zeigt: Weibchen besitzen eines von vier verschiedenen Flügelmustern, von denen drei giftige Arten imitieren, während die verbleibende weibliche Form und alle Männchen keine Mimikry zeigen.

Credit: By Dr Tarique Sani <tarique@sanisoft.com> [CC BY 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons Die weibliche Form romulus des Kleinen Mormon (Papilio polytes) ahmt die giftige Crimson Rose (Pachliopta hector) der Gattung Pachliopta nach.

Credit: By School of Ecology and Conservation [CC BY 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons Die Crimson Rose ist ein Schmetterling der indoaustralischen Faunenregion. Sein Verbreitungsgebiet ist auf Indien und Sri Lanka beschränkt. Der Schmetterling hat eine schwarze Grundfärbung mit weißen und roten Flecken. Carl von Linne war, der erste der diese Gattung 1758 beschrieb.

 

doublesex ist ein Mimikry-Supergen in asiatischen Schwalbenschwanzweibchen

In einem Fachartikel in Nature [1] zeigten die Forscher, dass nicht eine Gruppe von Supergenen, sondern ein einziges Gen namens doublesex, die verschiedenen Farbmuster und Formen der Flügel steuert. Bei den Weibchen, die keine Mimikry zeigen, hat doublesex die normale Ausrichtung auf dem Chromosom. Bei den Weibchen, die Mimikry zeigen, wurde doublesex ausgespleißt, umgedreht und dann wieder in das Chromosom gespleißt.

Diese Umkehrung verhindert, dass sich die beiden Versionen von doublesex rekombinieren, wenn sich diese beiden Arten von Schmetterlingen paaren. Deswegen haben sie beide Kopien des Gens behalten, nachdem sie sich vor zwei Millionen Jahren von ihrem gemeinsamen Vorfahren trennten. Seit dieser Umkehrung von doublesex sehen die Forscher Anzeichen für eine stabilisierende Selektion in diesen Schwalbenschwanzpopulationen: Wenn ein Schmetterlingstyp häufiger wird und die Räuber erkennen, dass er nicht giftig ist, fangen sie an ihn zu fressen. Das reduziert die Anzahl der Schmetterlinge dieses Typs, sodass ein anderer Typ häufiger wird, und so weiter. Letztendlich gleicht dieser Prozess die relative Anzahl jeder Form aus und behält diese bei.

Die Insektenkundler fanden heraus, dass im Kleinen Mormon doublesex auch alternativ in mehrere Isoformen gespleißt wird. Zwei Isoformen werden in den Flügeln von mimetischen Weibchen im Vergleich zu nicht-mimetischen Weibchen auf extrem hohen Niveaus exprimiert. Auf der Suche nach dem Doublesexprotein von der Raupe über die Puppe bis zum Schmetterling entdeckten die Forscher das die Expression von Doublesex genau mit dem Flügelmuster überlappt.

Die geografische Verbreitung der Flügelmustermimikry in asiatischen Schwalbenschwanzschmetterlingen

Hat sich die Flügelmustermimikry in einer Spezies entwickelt und dann durch Kreuzung oder Hybridisierung in verwandte Arten verbreitet? In einer neuen Studie [2], die in Nature Communcations publiziert wurde, analysierten die Wissenschaftler die genomischen DNA-Sequenzen des Kleinen Mormons und ähnlicher Arten, um zu sehen, wie diese Schmetterlinge miteinander verwandt sind. Zusätzlich verglichen sie die Versionen von doublesex dieser Arten miteinander. Wie hat sich diese Flügelmustermimikry über die Zeit entwickelt und geografisch verbreitet?

Der Spangle (Papilio protenor) ist mit dem Kleinen Mormon am engsten verwandt. Er ist von Indien bis Japan verbreitet und hat keine Mimikry entwickelt. Männchen und Weibchen sehen gleich aus. Andere Arten, die sich vom asiatischen Festland bis zu den Philippinen und Indonesien ausbreiteten, entwickelten drei oder vier verschiedene Formen, ein Populationsmerkmal, das als Polymorphismus bekannt ist. Manche Schwalbenschwänze breiteten sich weiter nach Papua-Neuguinea und der Nordostküste Australiens aus, aber deren Weibchen zeigen nur eine Form der Flügelmustermimikry.

Die Biologen sahen auch, dass einige Schmetterlingspopulationen seit Millionen von Jahren mehrere weibliche Formen beibehalten haben, während andere die ursprüngliche, nicht-mimetische Form verloren haben. Historisch gesehen haben die kleinsten Gruppen – z. B. diejenigen, die sich am weitesten nach Australien ausbreiteten – den Polymorphismus verloren. Populationsgenetiker vermuten, dass genetischer Drift und natürliche Selektion, die ursprüngliche Form ausmerzten.

Verursacht Flügelmustermimikry genetische Kosten in asiatischen Schwalbenschwanzweibchen?

Die Forscher untersuchten, welcher Faktor den Polymorphismus im Laufe der Zeit aufrechterhielt. Ein Faktor könnte die sexuelle Selektion sein: Männchen bevorzugen bestimmte weibliche Farbmuster gegenüber anderen. Frühere Forschungen zum Paarungsverhalten unterstützen diese Idee jedoch nicht. Eine andere Möglichkeit ist “Crypsis” oder die Idee, dass nicht-mimetische Weibchen besser mit ihrer natürlichen Umgebung verschmelzen als die mimetischen Weibchen. Die Wissenschaftler testeten diese Hypothese, indem sie mimetische und nicht-mimetische Weibchen mit einem grünen Waldhintergrund verglichen, wobei sie Modelle für das räuberische (d. h. Vogel-) Sehen verwendeten. Die nicht-mimetischen Weibchen fügen sich nicht mehr in den Hintergrund ein als die mimetischen, also wurde diese Idee auch verworfen.

Diese beiden Ergebnisse, kombiniert mit den genomischen Sequenzdaten, veranlassten die Wissenschaftler, über eine weitere interessante Möglichkeit nachzudenken: Es könnte sein, dass die genetischen Veränderungen, die in erster Linie zu Mimikry führten, auch einige langfristige Nachteile mit sich brachten. Als das ursprüngliche doublesex umgedreht wurde, trug es wahrscheinlich eine Menge anderes nicht verwandtes genetisches Material mit sich. Da das umgedrehte doublesex nicht mit seiner Originalversion rekombiniert werden kann, ist das Extrazeugs seither “per Anhalter” – und es könnte Konsequenzen haben. Tatsächlich zeigen einige Untersuchungen, dass mimetische Weibchen nicht so lang leben wie nicht-mimetische Weibchen. Die nicht-mimetischen Weibchen haben nicht den Schutz der Mimikry, aber sie haben auch nicht diese inhärenten genetischen Kosten und diese zwei Dinge, gleichen sich gegenseitig aus.

Jetzt, nachdem sie einen Teil der Geschichte hinter der Evolution dieser Mimikry entschlüsselt haben möchten die Wissenschaftler nach den spezifischen genetischen Mutationen in doublesex suchen, die verschiedene Arten dieser Mimikry verursachen.

Weiterführende Literatur

1. K. Kunte, W. Zhang, A. Tenger-Trolander, D. H. Palmer, A. Martin, R. D. Reed, S. P. Mullen, M. R. Kronforst. (2014) doublesex is a mimicry supergene. Nature, 507, 229–232.

2. Wei Zhang, Erica Westerman, Eyal Nitzany, Stephanie Palmer, Marcus R. Kronforst. Tracing the origin and evolution of supergene mimicry in butterflies. (2017) Nature Communications; 8 (1) DOI: 10.1038/s41467-017-01370-1

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Die Schätzung des Todeszeitpunkts mithilfe des Nekrobioms und Machine Learning

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Tatortfans wissen es: Wenn der Kommissar in einem Mordfall oder unklaren Todesfall ermittelt, ist seine erste Frage “Wann”? Denn diese wichtige Information wirkt sich auf die gesamte Ermittlung aus. Das Einsetzen der Leichenstarre und die Körpertemperatur der Leiche können nur ein paar Stunden nach dem Tod bei der Schätzung des Todeszeitpunkts helfen, doch manchmal werden Leichen erst nach Tagen oder sogar Wochen gefunden. Um die Liegezeit und damit den Todeszeitpunkt eines verwesenden Körper einzuschätzen, müssen sich die Ermittler auf andere Indikatoren stützen.

In einer Studie [1], die in der Fachzeitschrift PLoS ONE erschien, hat sich ein Team von Forensikern um Nathan H. Lents vom John-Jay-College für Strafjustiz an der City University von New York (CUNY) deshalb dem Nekrobiom, der Ansammlung von Bakterien auf einer Leiche zugewandt, um den Todeszeitpunkt zu bestimmen. Wenn forensische Wissenschaftler wissen, welche Bakterien eine Leiche besiedeln wann und wie lange, können sie diese Technik nutzen, um den Zeitpunkt des Todes oder andere Aspekte eines Tatorts zu bestimmen.

Das Metagenom der Bakterien einer Leiche

Die Forensiker untersuchten Bakterien aus den Ohr- und Nasenkanälen von 21 Leichen1 über mehrere Wochen hinweg. Sie sammelten bakterielle Proben von Leichen, die an der Anthropological Research Facility (ARF) der Universität von Tennessee in Knoxville platziert waren. Das Gelände der ARF ist ein konservierter gemäßigter Laubwald mit gut durchlässigen fein strukturierten tonigen Böden. Alle Leichen wurden auf der Erdoberfläche platziert und konnten sich auf natürliche Weise zersetzen.

Die Bakteriologen analysierten das Metagenom dieser Bakterien. Das Metagenom stellt die Gesamtheit der genomischen Information der Mikroorganismen eines Lebensraums zum Zeitpunkt der Untersuchung dar. Die metagenomische Analyse ermöglicht die Identifizierung und Quantifizierung von Bakterien, auch wenn sie nicht kultivierbar sind.

Für die metagenomische Analyse benutzen die Wissenschaftler das 16S rRNA-Gen. Dieses Gen kommt in allen Bakterien vor. Es enthält einige konservierte DNA-Sequenzen, die bei allen Bakterien gleich sind. An ihnen lässt sich das Gen erkennen. Das 16S rRNA-Gen besitzt aber auch variable DNA-Sequenzen, die sich im Laufe der Evolution stark verändert haben. Sie ermöglichen es, die Bakterien voneinander zu unterscheiden.

Die Forscher isolierten die DNA aus den Bakterien und sequenzierten anschließend mit Next Generation Sequencing2 (NGS) die 16S rRNA-Gene der Bakterien. Mit NGS können Tausende bis Millionen DNA-Sequenzen gleichzeitig und in Echtzeit analysiert werden. Dies wird durch die Fixierung eines DNA-Einzelstrangs an einer Oberfläche ermöglicht, beispielsweise kleiner Kügelchen (beads) oder einer Glasoberfläche ähnlich der DNA-Chips. Dieser DNA-Einzelstrang wird anschließend vervielfacht. Die Sequenzierung erfolgt lokal begrenzt an der besagten Oberfläche und bleibt an ihr gebunden. Dadurch können parallel Tausende bis Millionen DNA-Sequenzen gleichzeitig praktisch im selben Volumen synthetisiert werden. Die aus den bakteriellen Proben gewonnenen 16S rRNA-Sequenzen wurden dann mit einer Datenbank verglichen, um die Identität der Bakterien und ihre Häufigkeit in den Proben zu bestimmen.

Machine Learning erkennt Muster in der zeitlichen Veränderung des Metagenoms

Mit diesem sehr großen Datensatz (Big Data3) der 16S rRNA-Sequenzen haben die Bioinformatiker ein maschinelles Lernverfahren (Machine Learning) trainiert, um zu herauszufinden, wie sich die Bakteriengemeinschaften verändern, während sich die Körper zersetzen. Mithilfe des maschinellen Lernens sind Computer in der Lage, auf Basis vorhandener Datensätze und Algorithmen Muster und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und Lösungen zu entwickeln. Damit die Software eigenständig lernen und Lösungen finden kann, müssen die Bioinformatiker einiges vorbereiten: Beispielsweise muss die Software zunächst mit den für das Lernen relevanten Daten und Algorithmen versorgt werden. Zudem sind Regeln für die Analyse der Daten und das Erkennen der Muster aufzustellen. Sind passende Daten vorhanden und Regeln definiert, können Computer mit maschinellem Lernen Vorhersagen auf Basis der analysierten Daten treffen.

Das Training set ist der Datensatz mit dem ein maschinelles Lernverfahren traininert wird. Mit diesem Training set entwickeln die Informatiker ein probalistisches Modell.

Credit: By EpochFail (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Das Test set ist der Datensatz mit dem das probalistische Modell getestet wird. Durch wiederholtes Testen und Parameter tuning wird dieses Modell verbessert.

Credit: By EpochFail (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

Durch wiederholtes Testen und Optimieren dieses Lernverfahrens erstellten die Forscher ein statistisches Modell, das den Todeszeitpunk unbekannter Proben auf 55 akkumulierte Gradtage oder etwa zwei Tage im Sommer vorhersagt. Dieser Grad an Genauigkeit hält sich über mehrere Wochen der Zersetzung, eine wesentliche Verbesserung gegenüber den derzeit verfügbaren Methoden.

Fußnoten

1. Die Verwendung von Verstorbenen bei der ARF erfordert keine Internal Review Board (IRB)-Genehmigung, da die Körper für Forschungszwecke an die Einrichtung gespendet wurden. Darüber hinaus wurde diese Untersuchung vom IRB der City University of New York genehmigt.

Der IRB ist ein Verwaltungsorgan, das eingerichtet wurde, um die Rechte und das Wohlergehen von Personen, die an wissenschaftlichen Studien/Experimenten teilnehmen, zu schützen. (In den US-amerikanischen Vorschriften sind mehrere Kategorien von Forschungsbereichen aufgeführt, die als von der IRB-Aufsicht ausgenommen gelten.) Jede Institution, die solche Studien/Experimente durchführt muss ein IRB haben. Dem IRB obliegt die Verantwortung, alle Forschungsarbeiten (mit oder ohne Finanzierung), an denen Menschen beteiligt sind, vor ihrem Beginn zu überprüfen. Der IRB befasst sich mit dem Schutz des Wohlergehens, der Rechte und der Privatsphäre von Menschen in Studien/Experimenten. Der IRB ist befugt, Änderungen an allen Forschungsaktivitäten zu genehmigen, abzulehnen, zu überwachen und zu verlangen, die in seine Zuständigkeit fallen, wie in den Bundesvorschriften und der institutionellen Politik festgelegt.

Der IRB muss aus mindestens fünf Mitgliedern mit unterschiedlichem Hintergrund bestehen, um eine vollständige und angemessene Überprüfung der menschlichen Forschung und ihrer institutionellen, rechtlichen, wissenschaftlichen und sozialen Auswirkungen zu ermöglichen. Der Vorstand wird auch mindestens ein Mitglied, das nicht mit der Institution verbunden ist, und ein Mitglied, das kein Wissenschaftler ist, einschließen. Der IRB hat mehrere Berater, die den Vorstand beraten und regelmäßig an der Überprüfung des Protokolls beteiligt sind. Im IRB sollen Frauen und Männer vertreten sein.

2. Über 30 Jahre lang benutzten Genetiker die Sanger-Sequenzierung durch das Kettenabbruchverfahren: dabei erfolgt in einer Reaktion die Sequenzierung eines DNA-Einzelstrangs mit bis zu 800 Basenpaaren durch Kettenabbrüche und elektrophoretische Auftrennung der unterschiedlich langen DNA-Einzelsträmge. Nach einer Sanger-Sequenzierung erhalten die Wissenschaftler eine einzige DNA-Sequenz. Ein Sequenzierroboter erreicht je nach Modell etwa 100 kb pro Tag. In den großen Labors standen 20 und mehr dieser Sequenzierroboter nebeneinander, um einen höheren Durchsatz zu erlangen. Mit NGS kommt ein Genetiker in einem kleinen Ansatz bereits auf circa 20 Millionen DNA-Sequenzen.

3. Big Data ist alles das, was mit herkömmlicher IT aufgrund der Größe der Daten nicht mehr funktioniert, d. h. etwa große Datenmengen zu erfassen, zu speichern, zu durchsuchen, zu verteilen, zu analysieren und zu visualisieren. Klassische Datenbanken können das nicht liefern, da sie Datensatz für Datensatz sämtliche relevanten Felder durchsuchen müssen. Auch setzen verschiedenartige Informationstypen, etwa Texte, numerische Informationen oder Bilder ein Big-Data-System voraus. Gerade bei Big Data kann Machine Learning seine Trümpfe ausspielen.

Weiterführende Literatur

[1] Johnson HR, Trinidad DD, Guzman S, Khan Z, Parziale JV, DeBruyn JM, et al. (2016) A Machine Learning Approach for Using the Postmortem Skin Microbiome to Estimate the Postmortem Interval. PLoS ONE 11(12): e0167370.

Zeig mir deine Gene und ich sag dir, was du frisst

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Black History Month 2018: Polizeigewalt gegen Schwarze als Problem der öffentlichen Gesundheit in den USA

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In den USA sind Polizisten, die unbewaffnete Schwarze erschießen, Anlass für eine erhitzte öffentliche Diskussion über Rassismus und Polizeiarbeit. Viele Schwarze wollen diese – oft vermeidbaren – Todesfälle nicht mehr hinnehmen und organisieren sich deshalb in der Black Lives Matter-Bewegung oder setzen ein individuelles Zeichen des Protests, indem sie beim Abspielen der amerikanischen Nationalhymne knien, wie der NFL-Spieler Colin Kaepernick.

Kritiker dieser Proteste führen die tödlichen Polizeischüsse auf wenige falsch handelnde und/oder rassistische Polizisten innerhalb der Polizeidienststellen zurück. Zusätzlich argumentieren sie, dass mehr Schwarze durch Polizeischüsse sterben, weil höhere Raten von Gewalttaten in den schwarzen Gemeinschaften zu mehr Interaktionen von Schwarzen mit der Polizei führen.

Credit: By Debra Sweet [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons Chicago Protest for Trayvon Martin

Da Polizeigewalt krankmachen und/oder töten kann befassen sich auch zunehmend Epidemiologen damit. “Es ist an der Zeit, diesem seit langem bestehenden und schrecklichen Problem eine gesundheitspolitische Perspektive zu geben, und zwar von einem Standpunkt aus, der Prävention und gesundheitliche Gerechtigkeit betont, anstatt diese Daten so zu behandeln, als ob sie nur der Polizei gehören und nur eine Frage der Strafjustiz wären”, sagt Nancy Krieger, Professorin für Sozialepidemiologie an der T.H. Chan School of Public Health an der Harvard Universität.

Sie schlägt vor [1] diese Todesfälle nicht nur als Daten der Kriminalstatistik, sondern als “meldepflichtige Krankheiten” zu behandeln, die den Centers for Disease Control (CDC) von Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens und der Medizin gemeldet und wöchentlich veröffentlicht werden, ebenso wie es für Vergiftungen, Keuchhusten oder Polio getan wird.

In den letzten 50 Jahren waren Schwarze in den USA einem wesentlich größeren Risiko ausgesetzt als Weiße, von der Polizei getötet zu werden. Im Jahr 1965 war es für Schwarze in den USA – im Vergleich Schwarze und Weiße im Alter von 15-34 Jahren – achtmal wahrscheinlicher, von der Polizei getötet zu werden als Weiße; bis 2005 war das Risiko für Schwarze zurückgegangen, war aber immer noch dreimal höher als das von Weißen [1]. Von allen unbewaffneten Menschen, die 2015 von der Polizei erschossen wurden, waren 40 Prozent schwarze Männer, obwohl schwarze Männer nur 6 Prozent der Bevölkerung der USA ausmachten. Etwa 13 Prozent aller Schwarzen, die zwischen Januar 2015 und Juli 2016 von der Polizei erschossen wurden, waren unbewaffnet, verglichen mit 7 Prozent aller Weißen, die im gleichen Zeitraum von der Plozei erschossen worden.

Polizeigewalt als Symptom gesellschaftlicher Krankheiten

Eine Studie [2], die Michael Siegel und eine Gruppe von Forschern der Boston University School of Public Health (BUSPH), in der medizinischen Fachzeitschrift Journal of the National Medical Association veröffentlichten, kommt zu dem Ergebnis, dass die amerikanischen Bundesstaaten, die einen höheren Grad an strukturellem Rassismus, insbesondere Wohnsegregation1, zeigen auch größere Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen bei tödlichen Polizeischüssen auf unbewaffnete Opfer aufweisen.

“Das Problem der polizeilichen Tötungen von unbewaffneten Schwarzen sollte nicht nur als ein Problem fehlerhaften Handelns einzelner Polizeibeamter gesehen werden, sondern vielmehr als Folge des umfassenderen Problems des strukturellen Rassismus”, sagte Seniorautor Michael Siegel, Professor für Community Health Sciences. “Ungerechtfertigte Tötung durch die Polizei sollte in die lange Liste der gesundheitlichen Folgen des gesellschaftlichen Rassismus aufgenommen werden.”

Die Studie verwendete kombinierte Daten über polizeiliche Erschießungen von unbewaffneten Opfern aus dem Zeitraum 1. Januar 2013 bis zum 30. Juni 2017., die aus der Datenbank des Mapping Police Violence Project, der zuverlässigsten Datenquelle für polizeiliche Erschießungen, stammen.

Die Epidemiologen schufen einen Index des strukturellen Rassismus auf bundesstaatlicher Ebene, der als erster seiner Art gilt. Der Index2 umfasst Messgrößen zur Schwarz-Weiß-Wohnsegregation und Unterschiede in Bezug auf den wirtschaftlichen Status, den Beschäftigungsstatus, den Bildungsabschluss und die Inhaftierungsraten. Der Index hat eine Skala von 0 bis 100, wobei höhere Zahlen für eine stärkere Segregation der Wohnbevölkerung und größere Lücken in den anderen Indikatoren stehen. Die Wissenschaftler schreiben, dass ihnen nur zwei frühere Versuche bekannt sind, Indikatoren für den strukturellen Rassismus auf Landesebene und nicht auf Stadtteil- oder Stadtebene zu entwickeln.

Für jeden 10-Punkte-Zuwachs des staatlichen Rassismusindexes sahen die Forscher eine 24-prozentige Steigerung des Anteils polizeilicher Erschießungen von unbewaffneten Opfern. Allein mit Blick auf die Wohnsegregation fanden die Forscher die stärkste Assoziation: Für jeden Zehn-Punkte-Zuwachs des staatlichen Wohnsegregationindexes stieg der staatliche Anteil polizeilicher Erschießungen von unbewaffneten schwarzen Opfern um 67 %.

Dabei bezogen die Forscher auch die Verhaftungsrate schwarzer Menschen in einem Bundesstaat und die Gesamtrate tödlicher Polizeischießereien mit schwarzen Opfern in ihre Analyse mit ein. “Diese deuten darauf hin, dass die höheren Raten tödlicher Polizeischüsse auf unbewaffnete schwarze Opfer nicht nur das Ergebnis von mehr Interaktionen zwischen Polizeibeamten und schwarzen Verdächtigen sind”, sagte Co-Autorin Anita Knopov.

Die Epidemiologen schreiben, dass es kaum empirische Forschung im Bereich der öffentlichen Gesundheit gibt3, um zu verstehen, warum Schwarze eher von der Polizei getötet werden als Weiße. Jedoch schreiben sie, dass es zugängliche und validierte Messgrößen für strukturellen Rassismus in der öffentlichen Gesundheits- und sozialwissenschaftlichen Literatur gibt, wie z. B. Redlining, Nulltoleranz, Sonnenuntergangsstädte und Masseneinsperrungen.

When white terrorists bomb a black church and kill five black children, that is an act of individual racism, widely deplored by most segments of the society. But when in that same city – Birmingham, Alabama – five hundred black babies die each year because of the lack of proper food, shelter and medical facilities, and thousands more are destroyed and maimed physically, emotionally and intellectually because of conditions of poverty and discrimination in the black community, that is a function of institutional racism. When a black family moves into a home in a white neighborhood and is stoned, burned or routed out, they are victims of an overt act of individual racism which many people will condemn – at least in words. But it is institutional racism that keeps black people locked in dilapidated slum tenements, subject to the daily prey of exploitative slumlords, merchants, loan sharks and discriminatory real estate agents. The society either pretends it does not know of this latter situation, or is in fact incapable of doing anything meaningful about it.”

Stokely Carmichael, Black Power: The Politics of Liberation

Gilbert Keon, Professor für Verhaltensforschung und Gesundheitserziehung am Saint Louis University’s College for Public Health and Social Justice hat zwei konkrete Vorschläge um diesen strukturellen Rassismus zu mindern [3] und damit die Todesrate schwarzer Opfer von Polizeigewalt.

Einrichtung von Community Review Boards zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Polizei und Anwohnern

Diese Gremien sollten vielfältig, unabhängig von den politischen Gruppen, die an der Macht sind, sein und den Bewohnern die Möglichkeit geben, über Probleme zu berichten. Sie sollten transparent sein politische Maßnahmen empfehlen und bewährte Verfahren bewerten.

Angebot von psychischen und präventiven Gesundheitsdiensten für Gemeinschaften, die von hoher Gewalt und Polizeiarbeit geplagt sind.

Wenn die Polizei Stop and Frisk und exzessive Gewalt anwendet oder Handlungen begeht, die sie als “gerechtfertigte Tötung” bezeichnet, hat das negative Auswirkungen auf die Gemeinschaften. Häufig werden sie als Hochkriminalitätsgebiete bezeichnet und unterliegen räuberischer Kreditvergabe, wirtschaftlicher Desinvestition, sozialer Isolation und politischer Entrechtung. Diese Faktoren konzentrieren die Armut, reduzieren den Bildungsstand und begrenzen die Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten der Bewohner.

Fußnoten

1. Sozialwissenschaftler sprechen dann von Segregation, wenn sich die Tendenz zu einer Polarisierung und räumlichen Aufteilung der Elemente gemäß bestimmter Eigenschaften beobachten lässt. Das Beobachtungsgebiet ist entlang bestimmter Merkmale segregiert, wenn eine bestimmte Gruppe oder ein spezifisches Element in Teilen des Beobachtungsgebietes konzentriert auftritt, in anderen dagegen unterrepräsentiert ist.

2. Hier sind die Disparitäten im Blickpunkt. In der Soziologie und Humangeografie versteht man unter Disparitäten ungleiche Lebensbedingungen innerhalb eines genau definierten Raumes in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht (Arbeitsplätze, Dienstleistungen, Infrastruktur).

3. Es gibt jedoch Studien aus der Sozialpsychologie und der klinischen Psychologie wie z. B. [4] und [5].

Weiterführende Literatur

1. Krieger N, Chen JT, Waterman PD, Kiang MV, Feldman J (2015) Police Killings and Police Deaths Are Public Health Data and Can Be Counted. PLoS Med 12(12): e1001915.

2. Aldina Mesic, Lydia Franklin, Alev Cansever, Fiona Potter, Anika Sharma, Anita Knopov, Michael Siegel. (2018) The Relationship Between Structural Racism and Black-White Disparities in Fatal Police Shootings at the State Level. Journal of the National Medical Association, 2018; DOI: 10.1016/j.jnma.2017.12.002

3. Keon L. Gilbert, Rashawn Ray. (2016) Why Police Kill Black Males with Impunity: Applying Public Health Critical Race Praxis (PHCRP) to Address the Determinants of Policing Behaviors and “Justifiable” Homicides in the USA. Journal of Urban Health, 93(Suppl 1): 122. DOI: 10.1007/s11524-015-0005-x

4. Wilson, John Paul, Hugenberg, Kurt, Rule, Nicholas O. (2017) Racial Bias in Judgments of Physical Size and Formidability: From Size to Threat. Journal of Personality and Social Psychology, Vol.113 (1), 59-80 DOI: 10.1037/pspi0000092

5. A. Thomas, E. C. Hope. (2016) Walking Away Hurt, Walking Around Scared: A Cluster Analysis of Violence Exposure Among Young Black Males. Journal of Black Psychology, Vol 42, Issue 5, 453-476. DOI: 10.1177/0095798415603539

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Black History Month 2018: BiDil ein Blutdrucksenker für Schwarze

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BiDil ist das erste Medikament, das die amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel (Food and Drug Administration, FDA) ausschließlich für Schwarze zugelassen hat. BiDil ist eine festgelegte Kombination1 aus Isosorbiddinitrat (ISDN) und Hydralazinhydrochlorid, zwei Generika, die seit Jahrzehnten zu niedrigen Preisen erhältlich sind. Diese Kombination, eine einzige Tablette, wird unter dem patentierten Markennamen BiDil zum vier- bis siebenfachen Preis – als die beiden Generika zusammen kosten – verkauft. Die beiden Medikamente erweitern die Blutgefäße und verringern so den Widerstand, gegen den das Herz das Blut in den Körper pumpen muss.

Herzinsuffizienz lässt sich mit Medikamenten behandeln

1986 wurde mit dieser Wirkstoffkombination, die patentiert war und H-ISDN genannt wird, die V-HeFT I-Studie [1] durchgeführt. Sie zeigte erstmals, dass Medikamente bei Herzinsuffizienz Leben retten können. Bei der Herzinsuffizienz ist das Herz zu schwach, um ausreichend Blut in den Kreislauf zu pumpen. Die Organe und Gewebe werden dadurch schlechter durchblutet. Vor der V-HeFT-I-Studie dachten viele Kardiologen, dass die Behandlung von Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz ausschließlich auf Palliativmaßnahmen ausgerichtet sein sollte, da sie annahmen, dass Herzinsuffizienz unabänderlich und nicht behandelbar sei. Forscher und Ärzte wurden durch die V-HeFT-I-Studie also motiviert weiter nach Medikamenten gegen Herzinsuffizienz zu forschen und so folgte 1987 die CONSENSUS-Studie [2], die zeigte, dass auch Enapril, ein ACE-Hemmer, die Sterblichkeit bei Herzinsuffizienz verringern kann. 1991 zeigte die V-HeFT-II-Studie [3], dass Enapril dabei H-ISDN überlegen ist.

Ein Medikament für schwarze Amerikaner mit Systolischer Herzinsuffizienz

Die V-HeFT-I-Studie zeigte zwar eine mäßige Verringerung der Sterberate2 durch H-ISDN, erfüllte aber nicht die Standards der FDA für eine Marktzulassung (unter anderem p < 0,05). Dadurch schwand das kommerzielle Interesse an H-ISDN erstmal. Das änderte sich 1999 als eine nachträgliche Analyse [4] der V-HeFT I-Studie zeigte, dass die Sterblichkeit bei afroamerikanischen Patienten, die mit H-ISDN behandelt worden waren, um 27 % (p = 0,04) reduziert war, während sie bei weißen Patienten keinen Unterschied zum Placebo zeigte. Dieser Effekt war in der V-HeFT I-Studie, mit Schwarzen und Weißen gemeinsam, nicht zu erkennen gewesen.

Zwei Jahre später griff das Pharmaunternehmen NitroMed3 H-ISDN erneut auf. Das Ergebnis dieser nachträglichen Analyse diente nun als Begründung, für H-ISDN unter dem Handelsnamen4 BiDil ein neues Patent zu beantragen, da das alte Patent bald auslaufen würde. Das US-Patentamt erteilte das Patent. Es war das erste Patent für ein Medikament, das ausschließlich bei schwarzen Patienten eingesetzt werden sollte. Nach dem Patent beantragte NitroMed die Marktzulassung für BiDil speziell für die Behandlung von Systolischer Herzinsuffizienz bei Schwarzen.

Die Systolische Herzinsuffizienz ist eine bestimmte Form der Herzinsuffizienz: Wenn sich das Herz zusammenzieht und dabei Blut aus der linken Herzkammer in den Körper presst, überträgt sich der entstehende Druck auf die Hauptschlagader (Aorta) und weiter auf die nachfolgenden Blutgefäße, die Arterien und Arteriolen. Dieser Druck heißt systolischer Blutdruck. Diese Phase der Herzaktion heißt Systole. Bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz ist der Prozentsatz des Blutvolumens, der von der linken Herzkammer während der Systole gepumpt wird in Bezug auf das Gesamtvolumen der linken Herzkammer reduziert.

Eine physiologische Erklärung für diese Unterschiede konzentriert sich auf die reduzierte Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid, von der man annimmt, dass sie zur krankhaften strukturellen Umgestaltung der linken Herzkammer beiträgt und damit die Sterblichkeitsrate erhöht. Einige Kardiologen vermuteten damals, dass afroamerikanische Patienten eine unverhältnismäßig niedrigere Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid haben [5]. Stickstoffmonoxid erweitert die Blutgefäße. Isosorbiddinitrat ist ein Stickstoffmonoxid-Geber und Hydralazinhydrochlorid ein Antioxidans, das die Zerstörung von Stickstoffmonoxid durch Oxidation verhindert. So können die beiden Wirkstoffe synergistisch die Bioverfügbarkeit von Stickstoffmonoxid im Köper erhöhen.

Die FDA forderte für die Marktzulassung eine neue klinische Studie nur an Afroamerikanern durchzuführen, um zu prüfen, ob BiDil tatsächlich wirksam ist. NitroMed schloß 1050 Afroamerikaner mit einer systolischen Herzinsuffizienz in die A-HeFT5-Studie [6] ein; das war eine wesentlich größere Gruppe als bei der V-HeFT I- und der V-HeFT II-Studie.

A-HeFT war eine randomisierte, placebokontrollierte, doppelt-verblindete Studie. Die Studienteilnehmer (Durchschnittsalter 57 Jahre) wurden randomisiert zu einer Kombination aus Isosorbiddinitrat und Hydralazinhydrochlorid (Zieltagesdosis, 120 mg bzw. 225 mg) oder Placebos, die zu ihren bestehenden Medikamenten hinzugefügt wurden. Zu Beginn der Studie wurden 90 % der Teilnehmer mit einem Diuretikum, 79 % mit einem ACE-Hemmer und 74 % mit einem Betablocker behandelt. Die Nachbeobachtung war für 18 Monate geplant, aber die Studie wurde vorzeitig abgebrochen (mittlere Dauer der Nachbeobachtung, 10 Monate), da die Placebo-Gruppe (54 vs. 32 Patienten) eine zu hohe Sterblichkeit aufwies. Die relative Risikoreduktion6 (RRR) betrug 43 %. Die Anzahl der zu behandelnden Patienten7 (= Numbers needed to treat, NNT) war 25. Der Composite Outcome Score basierend auf Tod, Dauer des Krankenhausaufenthalts und Lebensqualität war deutlich besser in der H-ISDN-Gruppe. Auf Grundlage dieser Ergebnisse vervollständigte NitroMed schnell seinen Zulassungsantrag für die Behandlung von systolischer Herzinsuffizienz bei Afroamerikanern. Im Juni 2005 erteilte die FDA die Zulassung und ließ folgenden Satz auf die Packungen drucken:

„BiDil ist angezeigt bei der Behandlung von Herzinsuffizienz als Ergänzung der Standardtherapie bei Patienten mit nach eigener Zuordnung dunkler Hautfarbe.“

So etwas hatte es noch nie gegeben. Die meisten klinischen Studien werden an Patienten mit weißer Hautfarbe durchgeführt und die FDA verlangt nie auf der Packung die Angabe, dass das Medikament bei Menschen anderer Hautfarbe nicht wirksam sein könnte.

„Rasse“ als Krankheitsfaktor

Leider war es für Ärzte in den USA für Jahrzehnte selbstverständlich, bei der Beurteilung der Risiken von verschiedenen Krankheiten „Rasse“ als eine biologische Kategorie oder einen groben Surrogatmarker zu benutzen. Dann zeigte jedoch die partielle Sequenzierung humaner Genome, dass es innerhalb einer „Rasse“ mehr genetische Unterschiede gibt als zwischen zwei „Rassen“. Auch zeigt das menschliche Genom im Allgemeinen keine Art von radikalen Diskontinuitäten zwischen Menschen verschiedener geografischer Herkunft; stattdessen sehen wir viel mehr Anzeichen für eine allmähliche Vermischung.

TED-Talk von Dorothy Roberts: The problem with race-based medicine

Eine von einer Gruppe von Sozialwissenschaftlern durchgeführte Untersuchung zur Bedeutung der genomischen Forschung für die Ungleichheiten in der Gesundheit [7] kam zu dem Ergebnis, dass wir weiterhin Forschung zur Bedeutung der „Rasse“ in der Medizin betreiben müssen, denn „Rasse“, obwohl sie keine biologische Grundlage hat, bleibt ein sehr wichtiges soziales Konstrukt und hat als solches eine enorme Macht, Gesundheit und Krankheit zu beeinflussen. Zum Beispiel können einige Herzkrankheiten Afroamerikaner mehr als Weiße betreffen, wegen der chronischen Belastungen wie z. B. Akkulturationsstress und Diskriminierung, die mit der Zugehörigkeit zu einer Minderheit verbunden sein können, und nicht aufgrund von genetischen Faktoren. Die einfache Eliminierung der „Rasse“ als Variable in der medizinischen Forschung würde unsere Fähigkeit, diese Faktoren zu erkennen, untergraben und kann daher kaum dazu beitragen, die gravierenden Ungleichheiten, die in der amerikanischen Medizin von der Diagnose bis zur Versorgung ein Problem bleiben, zu verringern.

Offene Forschungsfragen

Im Rückblick waren die Studien V-HeFT I und V-HeFT II an gemischten Gruppen wahrscheinlich nicht umfangreich genug, um festzustellen, ob auch bei nichtschwarzen Patienten, denen das Medikament verabreicht wurde, eine gewisse Besserung erzielt wurde. Die einzige große Studie wurde nur an Afroamerikanern durchgeführt. Deshalb war die Aussage eigentlich nicht gerechtfertigt, dass das Medikament bei anderen Bevölkerungsgruppen nicht genauso gewirkt hätte. Heute hätten die Ärzte den Teilnehmern der V-HeFT I-Studie Blut abgenommen und für die pharmakogenetische Analyse ins Labor geschickt.

Die Pharmakogenetik befasst sich mit dem Einfluss unterschiedlicher Genvarianten in Patienten auf die Wirkung von Arzneimitteln. Sie erlaubt Vorhersagen über die fallspezifische Wirkung eines Arzneimittels, was eine näher an den individuellen Bedarf eines Patienten angepasste Dosierung ermöglicht und relative Über- oder Unterdosierungen vermeiden hilft (Stichwort Personalisierte Medizin). So werden beispielsweise Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, nur dann mit dem Wirkstoff Herceptin behandelt, wenn die Tumore ein bestimmtes genetisches Merkmal aufweisen. Denn bei Tumoren ohne dieses Merkmal wirkt Herceptin nicht, allerdings treten dann häufig trotzdem Nebenwirkungen auf. Es kann sein, dass bestimmte pharmakogenetisch relevante Genvarianten in menschlichen Populationen verschiedener geografischer Herkunft aus verschiedenen Gründen unterschiedlich häufig sind.

Eine Studie, die im März 2009 in der Fachzeitschrift Clinical Therapeutics veröffentlicht wurde [8], kommt zu der Schlussfolgerung, dass es keine Verringerung der Sterblichkeit oder Dauer des Krankenhausaufenthalts aufgrund von „Rasse“ bei H-ISDN gibt. Aber die Studienautoren erkennen die unvermeidlichen Einschränkungen ihrer retrospektiven Kohortenstudie peinlich genau an:

“Es ist möglich oder sogar wahrscheinlich, dass nicht gemessene Unterschiede in wichtigen Risikofaktoren – insbesondere Schweregrad des Herzversagens und linksventrikuläre Dysfunktion – zwischen der Gruppe, die H-ISDN erhielt und der die H-ISDN nicht erhielt, die vorteilhafte Wirkung von H-ISDN maskierten. Daher müssen unsere Schlussfolgerungen als Hypothesengenerierung betrachtet werden und in nachfolgenden randomisierten Studien getestet werden.”

Wer jetzt denkt, es wäre alles geklärt, täuscht sich. Im Abstrakt zu diesem Fachartikel steht im Absatz Ergebnisse:

„Das Risiko von Mortalität und Hospitalisierung bei H-ISDN war bei afroamerikanischen Patienten signifikant geringer als bei hispanischen oder weißen Patienten.“

Dennoch wollte Arbor Pharmaceuticals im Januar 2017 das dieser Fachartikel von der Website des amerikanischen Bundesamts für Gesundheitsforschung und Qualität (AHRQ) entfernt wird.

Alter Wein in neuen Schläuchen

Schwarze Amerikaner haben ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfall als weiße Amerikaner [9]. Schwarze Amerikanerinnen (49 %) und schwarze Amerikaner (44 %) haben höhere Raten von Herzerkrankungen als weiße Amerikanerinnen (32 %) und weiße Amerikaner (37 %) [9]. Im Alter zwischen 45 und 64 Jahren haben schwarze Amerikaner ein 70 % höheres Risiko und schwarze Amerikanerinnen ein 50 % höheres Risiko an Herzversagen zu erkranken als weiße Amerikaner und Amerikanerinnen [10].

Das neue Patent für BiDil verhinderte die Entwicklung eines Generikums, durch das schwarze Patienten, viel Geld hätten sparen können. Viel ärgerlicher ist allerdings, dass BiDil eine festgelegte Dosiskombination von zwei preisgünstigen Generika ist, die der Apotheker schwierig titrieren kann. Sonst könnte der Arzt zu einem deutlich niedrigeren Preis bei seinem schwarzen Patienten genau die gleiche Therapie durchführen, wenn er nur bereit ist, zwei Rezepte auszustellen, und der schwarze Patient einverstanden ist, einige Tabletten mehr einzunehmen. Bei Verwendung einer 40 mg-Isosorbidtablette, einer 25 mg-Hydralazintablette plus einer 50 mg-Hydralazintablette müsste der Patient drei Tabletten dreimal täglich einnehmen, im Vergleich zu zwei BiDil-Tabletten dreimal täglich. Damit würde er die Tagesdosis erreichen, die zwei Drittel der Studienteilnehmer in der A-HeFT-Studie erreicht haben.

Fußnoten

1. 160 mg 2,5-Isosorbiddinitrat (ISDN) und 300 mg Hydralazinhydrochlorid

2. In den ersten 2 Jahren zeigte die Cox-Regression eine signifikante 34 %-ige Reduktion der Sterblichkeit in der H-ISDN-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe (95 % CI 4-54 %). Nach 3 Jahren verzeichnete die Hydralazin-Isosorbid-Dintrat-Gruppe eine 36 % ige Reduktion der Sterblichkeit (95 % CI 11-54 %). Für mehr als drei Jahre waren die Daten nicht ausreichend, um Schlussfolgerungen zu ziehen.

3. BiDil gehört jetzt Arbor Pharmaceuticals.

4. Der Handelsname ist kein Synonym für einen Wirkstoff. Die Wirkstoffe können sich bei gleichem Handelsnamen in unterschiedlichen Darreichungsformen (z. B. Tablette oder Tropfen) in ihrer Wirkstoffstärke deutlich unterscheiden. Daher sollte der Handelsname niemals ohne entsprechende Darreichungsform und Wirkstoffstärke verwendet werden. In der Fachliteratur hat sich die firmenneutrale Bezeichnung eines Arzneimittels nach INN-Nomenklatur durchgesetzt.

5. The African American Heart Failure Trial (A-HeFT)

6. Die relative Risikoreduktion beschreibt, um wie viel das relative Risiko durch eine Intervention im Vergleich zu einer anderen Intervention reduziert wird. In der H-ISDN-Gruppe traten also 43 % weniger Todesfälle als in der Vergleichsgruppe auf. Dieser Wert sagt aber nichts darüber aus, wie viele Todesfälle wirklich durch eine Behandlung verhindert werden, sondern nur, wie viel seltener das Ereignis in der Behandlungsgruppe relativ zur Vergleichsgruppe ist.

7. Die Anzahl der zu behandelnden Patienten entspricht der Anzahl von Patienten, die behandelt werden müssen, um ein Ereignis (z. B. Tod) zu verhindern, das mit der Kontrollbehandlung, meist ein Placebo, eingetreten wäre. Die Anzahl der zu behandelnden Patienten bezieht sich immer auf einen bestimmten Zeitraum (meist denjenigen in dem die zugrunde liegenden Studienresultate gemessen wurden). Wichtig ist, dass der Wert Anzahl der zu behandelnden Patienten streng genommen zunächst nur für die Studie gilt, innerhalb der sie ermittelt wurde. Die externe Validität der Studie beschreibt die Übertragbarkeit nach außen – das heißt auf einen speziellen Fall oder auf eine allgemeingültige Aussage. Daher ist es wichtig, dass neben der Anzahl der zu behandelnden Patienten auch die Gruppen, der Zeitraum und der Zielpunkt genau beschrieben werden.

Weiterführende Literatur

1. Cohn JN, Archibald DG, Ziesche S, et al. (1986) Effect of vasodilator therapy on mortality in chronic congestive heart failure: results of a Veterans Administration Cooperative Study. N Engl J Med. 314:1547-1552.

2. CONSENSUS Trial Study Group (1987) Effects of enalapril on mortality in severe congestive heart failure. Results of the Cooperative North Scandinavian Enalapril Survival Study (CONSENSUS). N Engl J Med. 1987 Jun 4;316(23):1429-35.

3. Cohn JN, Johnson G, Ziesche S, Cobb F, Francis G, Tristani F, Smith R, Dunkman WB, Loeb H, Wong M, et al. (1991) A Comparison of Enalapril with Hydralazine–Isosorbide Dinitrate in the Treatment of Chronic Congestive Heart Failure N Engl J Med; 325 (5):303-310

4. Carson, P, Ziesche S, Johnson G, Cohn JN. (1999) Racial differences in response to therapy for heart failure: analysis of the vasodilator-heart failure trials. Vasodilator-Heart Failure Trial Study Group.” Journal Of Cardiac Failure. 5:178-187.

5. Kalinowski L, Dobrucki IT, Malinski T. (2004) Race-specific differences in endothelial function: predisposition of African Americans to vascular diseases. Circulation, 109(21):2511-2517.

6. Taylor AL, Ziesche S, Yancy C, et al. (2004) Combination of isosorbide dinitrate and hydralazine in blacks with heart failure. N Engl J Med. 351:2049-2057.

7. Sankar P, Cho MK, Condit CM, et al. (2004) Genetic research and health disparities. JAMA. 291:2985-2989.

8. Hammermeister KE, Fairclough D, Emsermann CB, Hamman R, Ho M, Phibbs S, Plomondon M, Valuck R, West D, Steiner JF. (2009) Effectiveness of hydralazine/isosorbide dinitrate in racial/ethnic subgroups with heart failure. Clin Ther. 2009 (3):632-643. doi: 10.1016/j.clinthera.2009.03.019.

9. Go AS, Mozaffarian D, Roger VL, et al. (2014) Heart disease and stroke statistics – 2014 update. A report from the American Heart Association. Circulation,129: e28-e292.

10. Foundation confronts the disparities in both the disease burden and rates for African Americans suffering from heart failure. Minority Health and Health Disparities Research Center at the University of Alabama (Birmingham).

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Wer ist der beste Schachspieler?

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Morgen beginnt in Berlin das Kandidatenturnier. Der Sieger dieses Turniers darf den Schachweltmeister Magnus Carlsen zu einem Zweikampf um die Schachkrone herausfordern. Ein Favorit auf den Turniersieg ist Shakhriyar Mamedyarov, der mit einer Elozahl von 2809 der Weltranglistenzweite ist. Die Weltrangliste der Schachspieler basiert auf dem von Arpad Elo erfundenen System und wird von Magnus Carlsen mit einer Elozahl von 2843 angeführt.

Eine spannende Partie. Signiert. Datiert “98”. Öl auf Holz, 30 x 40 cm, Maler Hans August Lassen (1857–1938

Das Elosystem geht von der Annahme aus, dass die Leistung eines Spielers in einer Schachpartie eine normalverteilte Zufallsvariable ist. Ausgehend von dieser Annahme lässt sich für zwei Spieler statistisch voraussagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der eine Spieler gewinnen wird. Das Elosystem ordnet die Schachspieler nach dem Ergebnis ihrer Partien in einer Rangfolge an. Die besten Spieler haben die höchste Punktzahl und der Unterschied der Elozahlen zwischen zwei Spielern sagt die Wahrscheinlichkeit voraus, dass ein Spieler ein gegebenes Spiel gewinnt. Wenn Spieler besser oder schlechter als vorhergesagt spielen, gewinnen oder verlieren sie entsprechend Punkte. Bei einem Schachturnier lässt sich anhand der Elozahl eines Spielers und des Durchschnitts der Elozahlen seiner Gegner voraussagen, welche Punktzahl er wahrscheinlich erzielen wird. Nach Abschluss des Turniers wird das tatsächliche Ergebnis mit dem statistisch vorausgesagten Ergebnis verglichen und aus der Abweichung die neue Wertungszahl des Spielers errechnet.

Das Elosystem berücksichtigt nicht die Qualität der Züge, die während eines Spiels gespielt werden, und kann daher Spieler, die zu verschiedenen Zeiten gespielt haben, nicht zuverlässig einstufen. Der Informatiker Jean-Marc Alliot schlägt daher eine direkte Rangfolge der Spieler basierend auf der Qualität ihrer Züge vor. Sein System berechnet den Unterschied zwischen dem tatsächlich gespielten Zug und dem Zug, der vom Schachprogramm Stockfish1 ausgewählt worden wäre.

Alliot geht von der Annahme aus, dass dieses Schachprogramm wie ein “Orakel” funktioniert und uns immer die wahre Bewertung der Position und den besten Zug zeigt. Ausgehend von dieser Annahme kann die Datenbank des Programms Schachpartien für einen bestimmten Spieler als einen Markov-Prozess interpretieren. Der Markov-Prozess ist ein spezieller stochastischer Prozess mit dem Ziel Wahrscheinlichkeitsaussagen über zukünftige Ereignisse zu machen.

Für jede Position gibt uns das Schachprogramm die wahre Einschätzung der Position. Diese Bewertung gilt als konstant, wenn der beste Zug gespielt wird, während sie nur abnehmen kann, wenn der Spieler einen supoptimalen Zug macht. Für jede Position schätzt das Modell die Wahrscheinlichkeit, einen Fehler zu machen, und die Größe des Fehlers. Dieses auf einem Markov-Prozess-basierte Modell kann dann verwendet werden, um die Gewinn/Remis/ Verlust-Wahrscheinlichkeit für jedes gegebene Spiel zwischen zwei Spielern zu berechnen.

Für diese Berechnungen wird Stockfish auf dem OSIRIM-Supercomputer (640 HE 6262 AMD Prozessoren) am Forschungsinstitut für Informatik2 in Toulouse ausgeführt. Beginnend mit den Partien von Wilhelm Steinitz, dem ersten Schachweltmeister (1836-1900), wurden alle 26.000 Partien, die seither von Schachweltmeistern gespielt wurden, verarbeitet. Die Vorhersagen haben sich nicht nur als extrem nah an den tatsächlichen Ergebnissen erwiesen, wenn die Spieler bereits Partien gegeneinander gespielt haben, sondern auch besser als diejenigen, die auf Elozahlen basieren. Die Ergebnisse zeigen, dass das Niveau der Schachspieler im Laufe der Zeit stetig gestiegen ist. Vergleicht man die Schachweltmeister untereinander, steht der aktuelle Weltmeister Magnus Carlsen an der Spitze, Kramnik, Weltmeister von 2000 bis 2007 ist Zweiter, Bobby Fischer, Weltmeister von 1972-1975 ist Dritter.

Fußnoten

1. Stockfish wurde im November 2017 Weltmeister der Schachcomputer. Stockfish 9 64-bit 4CPU hat eine Elozahl von 3452.

2. Alliot ist Leiter der Abteilung für Optimierung und Hochleistungsrechnen am Institut de Recherche de Informatique de Toulouse (IRIT, Forschungsinstitut für Informatik in Toulouse), einer gemeinsamen Forschungseinheit der Universität Toulouse und des Nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (CNRS).

Weiterführende Literatur

Jean-Marc Alliot. Who is the Master? ICGA Journal, 2017; 1 DOI: 10.3233/ICG-160012

Ist das menschliche Gehirn ein Quantencomputer?

Parität und Addition: Eine Retroanalyse von Korolkow

Mit Endspieldatenbanken der Wahrheit auf der Spur

 

 

 

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Die Spanische Fliege ist ein Käfer

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1772 verklagten zwei Prostituierte in Marseille den Marquis de Sade: Er habe sie mit Anispastillen vergiftet, die mit dem Öl der Spanischen Fliege bestrichen waren. Mit diesen Pastillen habe er sie sich, für Gruppensex und Analverkehr, gefügig gemacht, so ihr Vorwurf. Die Richter verurteilten daraufhin den Marquise in Abwesenheit – er war bereits nach Italien geflohen – zum Tode1.

Die Spanische Fliege (Lytta vesicatoria) ist ein Käfer, der zur Familie der Ölkäfer (Meloidae) gehört. Ölkäfer werden sie deshalb genannt, weil sie bei Berührung ein öliges Wehrsekret aus den Mundwerkzeugen und den Beingelenken tropfenförmig auspressen. Nur die Männchen produzieren dieses Wehrsekret, das in der Hämolymphe und in den Anhangsdrüsen der männlichen Geschlechtsorgane gespeichert wird. Während der Paarung übertragen die Männchen das Wehrsekret auf die Weibchen, die damit nach der Paarung ihre Eier bestreichen, um den Nachwuchs vor Fressfeinden zu schützen.

Credit: By Stefanie Hamm [Public domain], from Wikimedia Commons Die Spanische Fliege (Lytta vesicatoria) ist ein Ölkäfer.

Das Wehrsekret enthält Cantharidin2, ein starkes Reizgift, dem die aphrodisische Wirkung nachgesagt wird. Auf der Haut und vor allem auf den Schleimhäuten des Menschen löst es die sehr schmerzhafte Bildung von Blasen3 aus, die Brandblasen sehr ähnlich sind.

Der Verzehr von Cantharidin wirkt stark anregend auf den Harntrakt und führt zu einem kribbelnden Gefühl, bei Männern zu einer anhaltenden aber ziemlich schmerzhaften Erektion. Es kommt zu einem starken Harndrang – während das Wasserlassen gleichzeitig blockiert ist. Weitere Folgen sind eine Blasenentzündung, Blut im Harn und eine Schädigung der Nieren4.

Die Strukturformel von Cantharidin

Mit einigen dieser Symptome hatten Napoleons Soldaten bei seinem Ägypten-Feldzug im Juli 1798 zu kämpfen. Sie hatten in den Sümpfen des ägyptischen Nildeltas Frösche gefangen und verspeist. Diese ernährten sich vor allem von diesen Ölkäfern und lagerten das Cantharidin ein, ohne selbst Schaden daran zu nehmen.

Bei der Familie der Feuerkäfer (Pyrochroidae) ist Cantharidin ein Lockpheromon, welches die Männchen attraktiv für die Weibchen macht. Auch beim Blumenkäfer (Anthicus floralis) spielt Cantharidin eine Rolle bei der Paarung: Die Weibchen überprüfen vor der Paarung den Cantharidingehalt der Vorratsbehälter unter den Flügeln der Männchen und machen davon ihre Paarungswilligkeit abhängig. Die Blumenkäfer können den Stoff allerdings nicht selbst produzieren, sondern entnehmen ihn toten Ölkäfern.

Fußnoten

1. Er wurde später in einem Berufungsverfahren freigesprochen.

2. Cantharidin (C10H12O4) ist ein Monoterpen, das 1810 von dem französischen Chemiker Pierre Jean Robiquet isoliert wurde.

3. Cantharidin wird von den Lipidmembranen der Epidermiszellen aufgenommen, wodurch Serinproteasen freigesetzt werden, Enzyme, die die Peptidbindungen in Proteinen spalten. Das verursacht den Zerfall von Desmosomal-Plaques, zellulären Strukturen, die an der Zell-Zell-Adhäsion beteiligt sind, was zu einer Ablösung der Tonofilamente führt, die Zellen zusammenhalten. Der Prozess führt zum Verlust zellulärer Verbindungen (Akantholyse) und letztlich zur Blasenbildung der Haut.

4. Die für den Menschen geringste tödliche Dosis LDLo liegt bei etwa 0,5 mg/kg Körpergewicht

Weiterführende Literatur

Game of Insect Males

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Die Vorhersage humaner Zoonosen

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Etwa zwei Drittel, der für den Menschen schädlichen Krankheitserreger, werden von anderen Wirbeltieren auf den Menschen übertragen. Ebola, Tollwut und die Vogelgrippe sind die bekannten Infektionskrankheiten solchen Ursprungs, die Mikrobiologen Zoonosen nennen.

Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten und Prionen können Zoonosen auslösen. Die möglichen Übertragungswege vom Wirbeltier zum Menschen sind unterschiedlich: Eine Zoonose kann über den direkten Kontakt mit einem infizierten Tier, über Milch, Fleisch, Eier oder andere tierische Lebensmittel sowie über sogenannte Vektoren übertragen werden.

Vektoren sind Überträger der Krankheitserreger, welche die Erkrankung nicht selbst hervorrufen und auch nicht daran erkranken. Ein Beispiel für einen Vektor ist zum Beispiel eine Stechmücke der Gattung Culex beim West-Nil-Fieber1. Die Mücke überträgt die West-Nil-Viren auf den Menschen, wenn sie sticht.

Die lokale Häufigkeit von Zoonosen variiert in Abhängigkeit von klimatischen, ökologischen und sozioökonomischen Faktoren, die der Mensch mehr oder weniger stark beeinflusst. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das West-Nil-Fieber, das durch das West-Nil-Virus ausgelöst wird. Das West Nil-Virus hat sich nach seiner Einschleppung in die USA im Jahr 1999, von Osten nach Westen ausgebreitet und in dortigen Vogelpopulationen endemisch2 etabliert. 2002 und 2003 hat es in jedem Sommer zu mehreren Tausend Erkrankungsfällen beim Menschen geführt.

Als 2008 die amerikanische Immobilienblase platzte, hatten sich die Culex-Mücken nördlich von Los Angeles schlagartig in den nicht mehr gereinigten Swimmingpools verlassener Häuser vermehrt. Kalifornische Epidemiologen warnten daher vor einem rasanten Anstieg der Infektionsrate des West-Nil-Virus in der lokalen Bevölkerung.

Zecken sind ein Musterbeispiel dafür, wie sich vektorübertragene Zoonosen durch veränderte klimatische Bedingungen verbreiten können. Zecken können Überträger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) sein. Erhöhte Temperaturen begünstigen die Entwicklung und Vermehrung der Zecken. Durch mildere Winter und ein erhöhtes Nahrungsangebot erhöht sich die Überlebensrate von Nagetieren, die als Wirtstiere der Zecken gelten. Mittlerweile sind Zecken sogar in den nördlichen Regionen Schwedens und Norwegens zu finden. Und die FSME „wandert“ in Deutschland immer weiter nordwärts. Baden-Württemberg gilt bereits vollständig als Risikogebiet, Bayern zu einem Großteil.

Epidemiologen sehen die Ursachen für die Ausbreitung dieser Zoonosen einerseits in dem schnellen Wachstum der Weltbevölkerung und der gestiegenen Mobilität der Menschen, aber auch in Veränderungen in der Nutztierzucht und -haltung. Da außerdem mit der Zunahme der Weltbevölkerung auch der Bedarf an Lebensmitteln steigt, dringt der Mensch bei der Erschließung neuer Anbauflächen in vormals unbesiedelte Gebiete vor, wo er in Kontakt mit Wildtieren kommt, die symptomfreie Träger bislang unerkannter Krankheitserreger sein können.

Sollten bei der zu erwartenden Ausweitung der Viehzucht Rinder, Schweine, Schafe mit solch einem Erreger infiziert werden, besteht die Gefahr, dass sie Verstärkerwirte sind. Verstärkerwirte sind Tiere, in denen sich der Erreger besonders stark vermehrt und dann ausgeschieden wird. Der Verstärkerwirt wird zu einem Bindeglied zwischen dem Reservoirwirt3 (aus dem der Erreger stammt) und dem Menschen, bei dem die Infektion erst bei einer höheren Erregerzahl oder engerem Kontakt Fuß fassen kann. Hier spielt der infektiöse Schwellenwert eine zentrale Rolle: Wenige Erreger genügen, um den Verstärkerwirt zu infizieren, der produziert den Erreger dann aber in so großen Mengen, dass damit die Infektionsschwelle anderer Tiere (hier der Mensch) überwunden werden kann.

Die hohe Produktion begünstigt neben der Bildung einer Quasispezies4 auch das Auftreten von Mutationen (durch Replikationsfehler), die es dem Erreger ermöglichen den Menschen zu infizieren und ihm zu schaden. Eine weitere Gefahr ist die Bildung von Medikamentenresistenzen durch die Mutationen. Nicht alle zoonotischen Erreger brauchen einen Verstärkerwirt, um einen Menschen zu infizieren, aber bei manchen ist das der Fall. Welche sind das und wie funktioniert das Ganze? Um diese beiden Fragen zu beantworten, müssen Bakteriologen, Virologen und Parasitologen mit Zellbiologen und Immunologen zusammenarbeiten.

Ein Forscherteam um David Redding vom University College London in England entwickelte ein mechanistisches Modell, das Ausbrüche von Zoonosen durch Nutztiere oder Wildtiere, basierend auf Veränderungen des Klimas, des Bevölkerungswachstums und der Landnutzung vorhersagt. Die Epidemiologen testeten ihr Modell am Lassafieber und publizierten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Methods in Ecology and Evolution [1].

Lassafieber ist in ganz Westafrika endemisch und wird durch das Lassavirus verursacht, das von der Natal-Vielzitzenmaus (Mastomys natalensis) auf Menschen übertragen wird. Das geschieht durch Schmierinfektion über die Ausscheidungen der Mäuse auf anschließend vom Menschen verzehrte Lebensmittel. Epidemiologen schätzen, dass es in Westafrika jedes Jahr etwa zwischen 100.000 bis 300.000 Fälle von Lassafieber gibt, davon verlaufen etwa 70 % subklinisch. Die Sterblichkeitsrate rangiert zwischen 2 % in den Dörfern, 15–16 % in den Krankenhäusern und 30–50 % bei schwangeren Frauen. In Westafrika kam es mehrfach zu Ausbrüchen in Krankenhäusern vor allem in Nigeria, Liberia und Sierra Leone häufig mit Todesfällen unter dem medizinischen Personal.

Credit: By Kelly, et al [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons Die Natal-Vielzitzenmaus (Mastomys natalensi) ist der Resevoirwirt für das Lassavirus.

Das Lassavirus ist ein umhülltes Einzelstrang-RNA-Virus und gehört zu Gattung der Arenaviren. Wie das Ebolavirus verursacht das Lassavirus hämorrhagisches Fieber5 und kann tödlich sein. Medizinische Virologen ordnen es daher der höchsten biologischen Sicherheitsstufe 4 zu. Bisher sind vier serologische Subtypen bekannt: Typ Nigeria, Typ Sierra Leone, Typ Liberia und Typ Zentralafrikanische Republik.

Das Modell sagt voraus, dass sich die Zahl der Erkrankten aufgrund des Klimawandels und einer wachsenden menschlichen Bevölkerung bis 2070 von 195 125 auf 406 725 verdoppeln wird.

“Unser neuer Ansatz prognostiziert erfolgreich die Ausbrüche einzelner Krankheiten, indem er die Veränderungen in der Verteilung des Wirtes bei Veränderungen der Umwelt mit den Mechanismen der Ausbreitung dieser Krankheit von Tieren auf Menschen kombiniert, was bisher nicht möglich war. Menschen werden wahrscheinlich mit krankheitsübertragenden Tieren in Kontakt kommen, und ihr Risiko, dass das Virus überläuft, wird neben dem Bevölkerungswachstum auch zu einer Ausweitung der westafrikanischen Gebiete führen, die als besonders gefährdet gelten, insbesondere in den westlichen Regionen um Senegal, Guinea, Elfenbeinküste, Ghana und in Zentralnigeria”, sagt der Erstautor, Dr. David Redding.

Die Wissenschaftler nutzten die Standorte von 408 bekannten Lassafieberausbrüchen in Westafrika zwischen 1967-2012 und die Veränderungen in Landnutzung und Ernteerträgen, Temperatur und Niederschlag, Verhalten und Zugang zu Gesundheitsversorgung. Sie identifizierten auch das Wirtstier, eine regionale Subspezies der Natal-Vielzitzenmaus, die das Lassavirus auf den Menschen überträgt, um ihren Standort gegen ökologische Faktoren zu kartieren. Die Forscher prognostizierten mit dem Modell, dass der Klimawandel und das Wachstum der menschlichen Bevölkerung die größten Auswirkungen auf einen zukünftigen Ausbruch des Lassafiebers haben werden, indem sie die Eignung der Region für den Wirt und auch die Kontaktrate zwischen Wirt und Mensch erhöhen, während Landnutzungsänderungen nur einen geringen Einfluss auf die Anzahl zukünftiger Ausbrüche haben werden.

Unter Verwendung dieser Informationen zusammen mit Prognosen des Klimawandels, der zukünftigen Bevölkerungsdichte und der Landnutzungsänderungen entwickelten die Forscher dann das Modell. Der Ansatz hat sich bereits bewährt, indem er die Krankheitsmuster des Lassafiebers vorhersagte. Die Forscher sagen, dass das Modell verfeinert werden könnte, um die Übertragung von Zoonosen innerhalb der menschlichen Bevölkerung zu untersuchen, indem die Auswirkungen der Reiseinfrastruktur, der menschlichen Kontaktrate und der Armut einbezogen werden. Das wäre bei den jüngsten Ausbrüchen von Ebola in der Demokratischen Republik Kongo von großem Nutzen.

Fußnoten

1. Bei einer West-Nil-Virus-Infektion entwickelt jeder fünfte Infizierte eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, das West-Nil-Fieber. Bei jeder 150. infizierten Person kommt es zu einem schweren Verlauf, etwa zu einer Hirnhaut- oder Gehirnentzündung, die in seltenen Fällen (vor allem bei älteren Patienten) tödlich endet.

2. Endemisch bedeutet hier – im medizinischen Sinne – in bestimmten Gebieten ständig auftretend.

3. Unter Reservoirwirt versteht man hier das Wirbeltier, bei dem der Erreger unter natürlichen Bedingungen vorkommt und sich vermehrt. Je nach Erreger kann der Reservoirwirt ebenfalls erkranken oder asymptomatisch infiziert sein.

4. Unter Quasispezies versteht man in der Virologie das Auftreten verschiedener, gleichzeitig vorhandener Varianten eines ursprünglich infizierenden Virus innerhalb desselben Wirtes. Dabei entstehen die Varianten durch Mutationen des viralen Genoms und Selektion durch die Reaktion des Immunsystems. Durch Entstehung von Quasispezies können diese Viren die Reaktionen des Immunsystems beständig unterlaufen und Resistenzen gegen antivirale Medikamente entwickeln.

5. Hämorrhagisch bedeutet “blutend” oder “Blutungen auslösend”. Hämorrhagisches Fieber ist ein durch eine Virusinfektion ausgelöster Symptomkomplex, der unter anderem Fieber, gastrointestinale Symptome und kapilläre Blutungen (Hämorrhagien) beinhaltet.

Weiterführende Literatur

1. David W. Redding, Lina M. Moses, Andrew A. Cunningham, James Wood, Kate E. Jones. (2016) Environmental-mechanistic modelling of the impact of global change on human zoonotic disease emergence: a case study of Lassa fever. Methods in Ecology and Evolution, 7(6): 646-655.

Zeitalter der Zoonosen

 

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Erste Hinweise, dass ein Retrovirus AIDS verursacht: Die vier Science-Paper vom 20. Mai 1983

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Am 20. Mai 1983 publizierte die Fachzeitschrift Science, in Windeseile, vier Artikel, die Indizien dafür lieferten, dass ein humanes Retrovirus die Ursache von AIDS1 ist. Wegen dieser vier Artikel mussten andere Artikel, die bereits von Science zur Publikation in dieser Ausgabe angenommen worden waren, in spätere Ausgaben weichen. Unter normalen Umständen wären diese Paper nicht so schnell veröffentlicht worden, denn einzeln betrachtet, war die Evidenz dieser Paper schwach: die Gutachter wussten das, die Autoren wussten das und auch die Herausgeber – aber Seite an Seite waren sie eine starke Unterstützung für die These, dass ein humanes Retrovirus AIDS verursacht. Vor der Publikation dieser Fachartikel hatte es schon drei Hinweise dafür gegeben, dass es sich bei dem AIDS-Erreger um ein Virus handelt.

Ein Virus verursacht AIDS

1. AIDS kam bei Menschen vor, die miteinander Sex gehabt hatten: Daher vermuteten Mikrobiologen, dass es sich um eine Infektionskrankheit handelt.

2. Da AIDS auch bei Drogenabhängigen auftrat, vermuteten sie einen mit dem Blut übertragenen Krankheitserreger.

3. Die AIDS-Fälle unter Blutern ließen vermuten, dass der mit dem Blut übertragene Erreger dem Nachweis in weiterverarbeiteten Blutprodukten, beispielsweise Gerinnungsfaktoren, entging. AIDS konnte nicht von einem herkömmlichen Bakterium, einem Pilz oder Protozoon übertragen werden, denn solche Erreger werden von den Filtern zurückgehalten, durch die Gerinnungsfaktoren hindurchlaufen.

Der Erreger von AIDS war also sehr klein, ansteckend und befand sich im Blut. Da durch die opportunistischen Infektionen viele Arten von Viren in den Körpern von AIDS-Patienten gefunden wurden, z. B. Cytomegalovirus, war es dringend notwendig, den Kreis der Verdächtigen einzugrenzen. Dabei halfen zwei weitere Beobachtungen, die die These stützten, dass es sich um einen Retrovirus handelt:

1. Alle AIDS-Patienten zeigten im Blutbild eine Verringerung der Anzahl der T-Zellen, die das CD4-Oberflächenantigen trugen. Das war ein Hinweis auf einen Erreger, der spezifisch CD4+ T-Zellen infiziert. Dieses Kriterium wurde vom menschlichen T-Zell-Leukämievirus (Englisch: Human T–Cell Leukemia Virus, HTLV) erfüllt, einem Retrovirus, das in den 1970er von Robert Gallo entdeckt worden war. Zusätzlich wurde HTLV durch Blut und sexuell übertragen.

2. Ein verwandtes Retrovirus, das Katzenleukämievirus, an dem Max Essex in Harvard forschte, verursachte bei Katzen eine Immunschwäche.

Credit: By Hiv-timecourse_copy.svg: Sigvederivative work: Furfur [CC0], via Wikimedia Commons Zeitlicher Verlauf der HIV-Infektion bis zum Auftreten klinischer Symptome in Abhängigkeit von der T-Helferzellzahl.

Ist ein neuer Typ von HTLV der AIDS-Erreger oder ein anderes Virus?

Die Science-Ausgabe enthielt einen Artikel von Jean Luc Montagniers Labor am Pasteur Institut in Paris [4], zwei von Robert Gallos Labor am Nationalen Krebsinstitut in Bethesda [2], [3] und einen von Michael Essexs Labor an der Harvard-Universität in Boston [1].

Montagniers Forscherteam hatte das Virus aus der Lymphknotenbiopsie eines Patienten isoliert, der an einer Lymphadenopathie (Schwellung der Lymphknoten) litt, ein Syndrom, das als Vorläufer von AIDS angesehen wurde. Die Idee, dass der Erreger von AIDS in geschwollenen Lymphknoten gesucht werden sollte, war teilweise richtig, da die Virologen jetzt wissen, dass die Lymphknoten die Hauptstelle sind, wo sich das Virus während der präsymptomatischen Phase versteckt. In diesem frühen Stadium schien es wahrscheinlicher, dass das Isolat ursächlich war, als das es opportunistisch war, da die Immunsuppression sehr mild war. Montagnier nannte das Virus Lymphadenopathie-assoziiertes Virus (LAV)2.

Gallos Arbeitsgruppe isolierte das Virus aus den T-Zellen des peripheren Blutes eines AIDS-Patienten [3]. Da die infizierten T-Zellen die HTLV-Kapsidproteine p19 und p24 enthielten, glaubte Gallo, dass er einen neuen Typ des HTLV entdeckt hatte, und nannte den Virus HTLV-IEP.

LAV und HTLV-IEP hatten zumindest eines gemeinsam, beides waren Retroviren. LAV benahm sich in der Zellkultur aber anders als Gallos angebliches HTLV-Isolat. Im Gegensatz zu einem menschlichen T-Zell-Leukämievirus, stimulierte dieses Virus nicht die Proliferation von infizierten Zellen und machte sie nicht unsterblich; Francoise Barré-Sinoussi, die Erstautorin des Papers, kommentierte in ihrem Laborbuch sogar, dass das LAV “zelltötende” Effekte habe. Zusätzlich reagierte das Serum ihres Patienten nicht auf Antikörper gegen HTLV. Das Blut des Patienten enthielt Antikörper gegen LAV aber nicht gegen HTLV.

Barré-Sinoussi, Erstautorin des LAV-Papers, sagt: “Wir wussten, dass wir es nicht mit einem Leukämievirus mit HTLV-I oder II zu tun hatten. Ein lymphotropes [T-Zellen-infizierendes] Virus, ja, aber kein Leukämievirus. Aber ob dieses neue Virus ein Mitglied der HTLV-Familie war oder ob er eine völlig andere oder neue Familie von Viren darstellte, konnte nicht definitiv beantwortet werden.”

Das lag vor allem daran, dass es Barre-Sinoussi nicht gelungen war, das Virus in der Zellkultur3 in einer Menge zu produzieren, die seine zufriedenstellende Charakterisierung zuließ.

Der andere Artikel aus Gallos Labor [2] berichtet, dass bei zwei AIDS-Patienten eine provirale DNA von HTLV gefunden wurde. Der Essex-Artikel [1] zeigte, dass 38 % der getesteten AIDS-Patienten Antikörper4 gegen eine Variante von HTLV hatten.

Die Rhetorik der Autoren

Gallo war zu dieser Zeit bereits ein berühmter Virologe mit großem Einfluss und wurde der Vater der humanen Retrovirologie genannt. Sein Wort hatte Gewicht in der AIDS-Forscher-Community. Er war ehrgeizig und sehr überzeugt davon, dass das AIDS-Virus aus der Virenfamilie stammt, die er selbst ein Jahrzehnt zuvor entdeckt hatte. Barré-Sinoussi war eine noch relativ unbekannte Post-Doc, die hoffte, dass die vorgelegten Indizien stärker wiegen als populäre Meinungen.

Vergleicht man die beiden Paper von Barré-Sinoussi [4] und Gallo [3] fällt auf, wie sehr sie sich stilistisch auf der sprachlichen Ebene unterscheiden. Gallo verkauft sein Paper – wie ein Außendienstler, der weiß was sein Kunde hören will, während Barré-Sinoussi zurückhaltend, an den Fakten orientiert, die weniger schöne aber auch wichtige Geschichte, berichtet.

Im ersten Satz ihres letzten Absatzes, in dem Barré-Sinoussi die Leser an die wichtigsten Schlußfolgerungen erinnern kann, schreibt sie: “Die Rolle dieses Virus in der Ätiologie von AIDS bleibt noch zu bestimmen”. Das Gallo-Paper endet damit, den Leser zu versichern, dass das Team, obwohl es noch keinen erwiesenen Krankheitserreger gefunden hat, die Methoden hat, die eine spätere Entdeckung gewährleisten.

Wer mehr zum sprachlichen Aspekt erfahren möchte und sich für Wissenschaftskommunikation interessiert, dem empfehle ich den Artikel Rhetoric and the AIDS Virus Hunt von Carol Reeves.

Fußnoten

1. In den ersten Jahren nach ihrer Entdeckung war die neue Krankheit ein Mysterium mit verschiedenen Namen und Abkürzungen. Eine davon war Gay-Related Immune Deficiency (GRID). Diese Bezeichnung erwies sich aber als zu eng gefasst, denn nach und nach tauchten auch heterosexuelle Patienten auf – Drogenabhängige, die an der Nadel hingen, Bluter und andere. Die CDC sprach für eine kurze Zeit von Kaposi’s sarcoma and opportunistic infections in previously healthy persons. Im September 1982 einigten sich die Ärzte und Wissenschaftler auf die Bezeichnung Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS).

2. 1986 beschloss ein Gremium angesehener Retrovirusforscher, das Virus Human Immune Deficiency Virus (HIV) zu nennen. 1991 trat Gallo von seinem Anspruch der Erstentdeckung von HIV zurück. Heute wird dem Team von Luc Montagnier die Erstentdeckung zugeschrieben. Entsprechend wurde der Medizin-Nobelpreis 2008 Montagnier und Barré-Sinoussi – und nicht Gallo – zuerkannt.

3. Montagniers Forscherteam war zunächst nicht in der Lage ihr Virusisolat in einer transformierten permanenten T-Zellen-Kultur (einer T-Zellenlinie), zu kultivieren. Es schickte jedoch geklonte Stämme ihres Virus an andere Laboratorien. Diese Stämme veränderten sich in vitro, wodurch sie in Kulturen anpassungsfähiger wurden und wuchsen.

4. Gallo erklärte später, dass die Daten von Essex ungültig waren, weil er ein Antigen benutzte, das HIV und HTLV gemeinsam hatten, nicht eins das ausschließlich in HTLV vorkam, weil seine AIDS-Patienten doppelt mit HTLV und HIV infiziert waren.

Weiterführende Literatur

1. Max Essex, Mary Francis McLane, Tun-Hou Lee, Lawrence A. Falk, Craig Walter Sandell Howe,James I.Mullins, C. Cabradilla, Donald P. Francis. (1983) Antibodies to Cell Membrane Antigens Associated with Human T-cell Leukemia Virus in Patients with AIDS. Science, 220, 859-862.

2. Gelmann, Edward P., MikulasPopovic, Douglas Blayney, Henry Masur, Gurdip Sidhu, Rosalyn E. Stahl, Robert C. Gallo. (1983) Proviral DNA of a Retrovirus, Human T-Cell Leukemia Virus, in Two Patients with AIDS. Science, 220, 862-864.

3. Gallo, Robert C, Prem S. Sarin, E.P. Gelrnann, Marjorie Robert-Guroff, Ersell Richardson, V.S. Kalyanaraman, Dean Mann, Gurdip D. Sidhu, Rosalyn E. Stahl, Susan Zolla-Pazner,JacqueLeibowitch, Mikulas Popovic. (1983) Isolation of Human T-Cell Leukemia Virus in Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS). Science, 220, 865-868.

4. Barré-Sinoussi, Françoise, Jean-Claude Chermann, Fran Rey, Marie Therese Nugeyre, S. Chamaret, J. Gruest, Charles Dauguet, C. Axler-Blin, FranoiseVezinet-Brun, Christine Rouzioux, Willy Rozenbaum, Luc Montagnier. (1983) Isolation of a T-lymphotropic Retrovirus from a Patient at Risk for acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS). Science, 220, 868-871.

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Der Ball ist nicht rund

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Damit ihr in der Halbzeitpause was zum klugscheißern habt während ihr auf das nächste Bier wartet und euch wundert, warum eure Mannschaft nicht das Runde ins Eckige bekommt. Ganz einfach – weil es nicht rund ist…

Der offizielle Spielball der WM, der Telstar 18, ist ein abgestumpftes Ikosaeder. Es besteht aus 12 regelmäßigen Fünfecken und 20 regelmäßigen Sechsecken und ist damit einer, der dreizehn archimedischen Körper. Archimedische Körper bestehen aus regelmäßigen Vielecken von mehr als einer Sorte und haben ein bestimmtes Bauprinzip. Beim Telstar 18 ist das Bauprinzip ein Fünfeck, das jeweils von 5 Sechsecken umgeben ist. Das ist bei ihm schwerer zu erkennen als beim Telstar der WM 1970, da die Fünfecke hier nicht schwarz, sondern, wie die Sechsecke, weiß sind. Die Ecken dieses Fußballs sehen alle gleich aus und liegen alle auf der Oberfläche einer umhüllenden Umkugel. Durch den Innendruck der Luft im Ball werden die Fünfecke und Sechsecke nach außen gewölbt (konvex) was dem abgestumpften Ikosaeder ein rundliches Aussehen gibt. Du kannst den Telstar 18 so drehen und spiegeln, dass man „vorher“ und „nachher“ nicht unterscheiden kann. Mathematiker nennen diese Eigenschaft auch die „Uniformität der Ecken“.

Credit: Urheber: Anton (rp) Winter 2004 This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Ein Fußball aber nicht der Telstar 18

Geometrisches Vorbild für diesen Ball ist einer der fünf platonischen Körper, das Ikosaeder. Die 20 regelmäßigen Sechsecke und 12 regelmäßigen Fünfecke erhälst du, indem du von einem Ikosaeder die 12 Ecken so abschneidet, dass regelmäßige Fünfecke als Schnittflächen entstehen und aus den 20 gleichseitigen Dreiecken 20 regelmäßige Sechsecke werden. Deshalb bezeichnen Mathematiker den Ball als abgestumpftes Ikosaeder.

Jeder Mensch hat seine Ecken und Kanten – und wenn es die Politiker nicht schaffen international die Menschen zusammenzubringen, dann schaffen es vielleicht die Fußballfans. Auf den 32 Flächen dieses abgestumpften Ikosaeder lassen sich gut jeweils die Passfotos und Namen der Fans aus den 32 teilnehmenden Länder unterbringen. Wäre das nicht ein schönes WM-Souvenir?

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Malaria: Ist ein neues Medikament in Sicht?

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Plasmodien sind parasitische eukaryotische Einzeller, die in der Speicheldrüse der weiblichen Anophelesmücke leben und im Menschen Malaria verursachen. Sticht eine mit plasmodieninfizierte Mücke einen Menschen, gelangen die Plasmodien in seinen Blutkreislauf und von dort in die Leber.

Credit: By CDC http://phil.cdc.gov/PHIL_Images/10061999/00022/07G0024_lores.jpg, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=745695 Plasmodium in der Leber

Plasmodien in der Leber

In der Leber dringen die Plasmodien in die Leberzellen ein und stehlen einen Teil der Zellmembran, um einen kleinen Membransack in der Zelle zu bilden. Dieser Membransack, parasitophore Vakuolenmembran (PVM) genannt, bietet für die Parasiten einen sicheren Zufluchtsort vor der zellulären Immunabwehr. So beschützt vermehren sich die Plasmodien1, sodass die PVM nach sechs bis acht Tagen 10 000 bis 30 000 Plasmodien enthält. Damit endet die Leberphase der Plasmodieninfektion. Die meisten Plasmodien verlassen nun die Leber und dringen in die roten Blutzellen (Erythrozyten) ein, womit die Blutphase beginnt, in der die Krankheitssymptome der Malaria einsetzen. Einige spezielle Plasmodien, die sogenannten Hypnozoiten, verlassen die Leber nicht, sondern verweilen wie „Schläfer“ vor ihrer Weiterentwicklung in den Leberzellen. Sie können so zum Wiederauftreten der Malaria lange nach einer Behandlung führen.

Die Leberphase ist ein Kontrollpunkt, ein Flaschenhals, wo aus wenigen Dutzend Parasiten viele Tausende werden. Fachärzte für Infektiologie möchten deshalb die Plasmodien bereits in der Leber töten, am besten vor ihrer Vermehrung. Bisher gibt es dafür nur die drei Medikamente Primaquin, Proguanil und Atovaquon, die direkt spezifische Stoffwechselwege der Plasmodien blockieren aber nicht gegen alle vier malariaauslösenden Plasmodienarten (Plasmodium ovale, Plasmodium vivax, Plasmodium malariae und Plasmodium falciparum) wirksam sind.

Mikrobiologen der Duke University in North Carolina, USA machen nun Hoffnung auf ein viertes Medikament. Sie publizierten in der Fachzeitschrift PLoS Pathogens eine Studie [1], die ein Zielprotein für neue Medikamente identifizierte. Sie hemmten die Vermehrung der Plasmodien in der Leber, indem sie das menschliche Protein Aquaporin-3 (AQP-3) blockierten.

Menschliche Gene, die in plasmodieninfizierten Leberzellen aktiv werden

Die Forscher legten die infizierten Mücken (Anopheles stephensi) unters Mikroskop, schnitten mit einer kleinen Nadel die Speicheldrüsen aus und extrahierten die darin versteckten Plasmodien (Plasmodium berghei). Dann infizierten sie mit diesen Plasmodien eine menschliche Leberzelllinie (Hep G2). Nach der Infektion durchsuchten sie mithilfe von RNA-Sequenzierung das gesamte menschliche Genom nach Genen, die in der infizierten Leberzelllinie aktiviert werden.

Die Wissenschaftler beschlossen die Rolle von Aquaporin-3 (AQP-3) zu untersuchen, einem Kanalprotein, das in Zellmembranen sitzt und Wasser und Glycerin in die und aus der Zelle transportiert. Leberzellen produzieren normalerweise kein AQP-3, sondern verwenden andere Aquaporine2 für den Wassertransport. Aber nach der Infektion mit Plasmodium beginnen sie das Protein in großen Mengen zu produzieren. Das Forscherteam verfolgte die AQP-3-Proteine dann mithilfe der Fluoreszenz-Bildgebung und entdeckte, dass sie nach der Produktion zur PVM transportiert wurden.

Die Zellbiologen behandelten die Leberzellen daraufhin mit dem AQP-3-Inhibitor Auphen, der das von den Plasmodien benötigte Glycerin daran hindert in die PVM, zu gelangen. Sie fanden heraus, dass die Zahl der Plasmodien dadurch erheblich zurückging. Das Gute daran ist: Das gezielte Blockieren eines menschlichen Proteins, das in den Leberzellen normalerweise nicht gebraucht wird, wird die Entwicklung arzneimittelresistenter Plasmodien sehr erschweren. Die Ergebnisse sind daher vielversprechend und interessant allerdings gibt es Folgendes zu bedenken:

1. Die Experimente wurden mit Plasmodium berghei durchgeführt einer Plasmodiumart, die bei Buschmäusen, Mäusen und Ratten Malaria auslöst aber nicht bei Menschen.

2. Die Experimente wurden mit einer Leberzelllinie (aus einem Karzinom) nicht mit einer Primärkultur von Leberzellen durchgeführt.

3. Auphen wirkte in vitro nur, wenn es 24 Stunden nach der Infektion angewandt wurde. Es wirkte in vitro nicht, wenn die Leberzellen vor der Infektion damit behandelt wurden, bei der Malaria ist der Zeitpunkt der Infektion der Leberzellen in vivo aber nicht bekannt.

Fußnoten

1. Plasmodien gehören zu den Apicomplexa. Die Apicomplexa sind eine extrem große und vielfältige Gruppe (> 5000 bekannte Arten), die fast ausschließlich aus parasitären Arten besteht. Sieben Arten infizieren Menschen: Plasmodium als Erreger der Malaria hat den größten Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Babesia ist eine relativ seltene zoonotische Infektion. Die anderen fünf Arten Cryptosporidium, Isospora, Cyclospora, Sarcocystis, Toxoplasma sind alle als Kokzidien klassifiziert.

2. Aquaporine sind Proteine, die als Wasserkanäle dienen, um den Wasserfluss durch biologische Zellmembranen zu regulieren. Sie entfernen auch überschüssiges Salz und Verunreinigungen aus dem Körper, und dieser Aspekt hat in den letzten Jahren zu großem Interesse an der Nachahmung biochemischer Prozesse von Aquaporinen geführt, die möglicherweise für Wasserentsalzungssysteme geeignet sind.

Weiterführende Literatur

[1]. Dora Posfai, Kayla Sylvester, Anupama Reddy, Jack G. Ganley, Johannes Wirth, Quinlan E. Cullen, Tushar Dave, Nobutaka Kato, Sandeep S. ]Dave, Emily R. Derbyshire (2018) Plasmodium parasite exploits host aquaporin-3 during liver stage malaria infection. PLoS Pathogens; 14 (5): e1007057 DOI: 10.1371/journal.ppat.1007057

Transgene Pilze zur Bekämpfung der Malariamücken

 

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Nerdkalender: 26. August

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Fangen wir mit der 26 an. 26 zwischen der 25 und der 27 liegend, ist eingebettet zwischen einer Quadratzahl 25 = 52 und einer Kubikzahl 27 = 33. 26 ist die einzige Zahl zwischen einer Quadratzahl und einer Kubikzahl bewiesen hat das Pierre de Fermat.

26 ist die kleinste Zahl mit drei Darstellungen als Summe von drei verschiedenen Primzahlen.

1. Darstellung: 26 = 2+5+19
2. Darstellung: 26 = 2+7+17
3. Darstellung: 26 = 2+11+13

Der August ist nach dem römischen Kaiser Augustus benannt, der in diesem Monat sein erstes Konsulat begann. Den Namen erhielt der Monat im Jahre 8 v. Chr. Davor wurde er Sextilis genannt, da er im römischen Kalendersystem, das das Jahr mit dem März begann, Monat Nummer 6 war. Als um 700 v. Chr. der Jahresanfang auf den Januar verlegt wurde, landete der August auf Platz 8. Mit der Einführung des Julianischen Kalenders im Jahre 8 v. Chr. wurde der Monat von 29 auf 31 Tage verlängert.

Geboren am 26. August 1951
Edward Witten
Mathematischer Physiker, dessen Arbeit in der Superstringtheorie ihn 1990 zum ersten Physiker machte, der mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde. Witten ist der Schöpfer der M-Theorie. Die M-Theorie ist ein Versuch die vier Grundkräfte; das sind die Gravitation, der Elektromagnetismus sowie die schwache und die starke Kernkraft einheitlich zu beschreiben. Die fünf Stringtheorien und die 11-dimensionale Supergravitation werden als Grenzfälle der M-Theorie betrachtet

Geboren am 26. Aug 1882
James Franck
Physiker, der 1913 Stoßversuche zwischen Elektronen und Atomen durchführte und dabei die für die Entwicklung der Quantentheorie bedeutende Entdeckung machte, dass (Quecksilber-)Atome, die sich im Grundzustand befinden, Energien unterhalb einer bestimmten Schwelle nicht aufnehmen können. Er erhielt 1925 gemeinsam mit Gustav Hertz den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung dieser Gesetzmäßigkeiten.

Er war einer der ersten, der offen gegen die Rassengesetze der Nazis demonstrierte, und gab 1933 als persönlicher Protest gegen das NS-Regime unter Adolf Hitler seine Professur an der Universität Göttingen auf.
1945, zwei Monate vor Hiroshima, verfasste er zusammen mit einer Gruppe von Atomwissenschaftlern den sogenannten “Franck-Bericht” für das amerikanische Kriegsministerium. Er schlug darin vor, die Atombombe öffentlich in einer unbewohnten Gegend zu zünden, anstatt sie ohne Vorwarnung im Krieg gegen Japan einzusetzen. Leider hatte der Franck-Bericht keinen Erfolg.

Geboren am 26. August 1743
Antoine Laurent de Lavoisier
Chemiker, der als “Vater der modernen Chemie” bezeichnet wird. 1778 entdeckte er, dass Luft aus einer Mischung zweier Gase besteht, die er Sauerstoff und Stickstoff nannte. Durch die Untersuchung der Rolle von Sauerstoff bei der Verbrennung widerlegte er die damals vorherrschende Phlogistontheorie. Lavoisier entdeckte auch das Gesetz der Erhaltung der Masse und entwickelte die moderne Methode der Benennung von Verbindungen, die die ältere nicht-systematische Methode ersetzte.

Gestorben am 26. August 1895
Johann Friedrich Miescher
Biochemiker, der in Tübingen zunächst daran arbeitete, die chemische Zusammensetzung von Zellen aufzuklären. Weiße Blutkörperchen dienten ihm als Ausgangsmaterial für seine Studien. Er isolierte im Rahmen dieser Arbeit erstmals DNA aus Zellen und nannte sie aber nicht DNA, sondern Nuclein, weil er sie aus dem Zellkern, dem Nucleus isoliert hatte. In Basel forschte er weiter am Nuclein und veröffentlichte 1874 seine Ergebnisse über das Vorkommen von Nuclein in den Spermien verschiedener Wirbeltiere. Diese Veröffentlichung erregte einiges Aufsehen, denn schon damals versuchten die Entwicklungsbiologen zu verstehen, wie Merkmale und Eigenschaften von einer Generation zur nächsten vererbt werden.

Miescher schrieb:

„Sofern wir […] annehmen wollten, dass eine einzelne Substanz […] auf irgendeine Art […] die spezifische Ursache der Befruchtung sei, so müsste man ohne Zweifel vor allem an das Nuclein denken.“

Miescher glaubte allerdings nicht daran, dass eine einzige Substanz für die Vererbung zuständig sei, weil er sich nicht erklären konnte, wie die gleiche Substanz zu den verschiedenen Tierarten führen könne, deren Spermien er untersucht hatte. Zwar schrieb er noch:

„Unterschiede im chemischen Bau der Moleküle werden vorkommen“, dann jedoch weiter: „aber nur in begrenzter Mannigfaltigkeit“.

Nach Miescher zu wenig, um selbst die geringen Unterschiede zwischen den Individuen in nur einer Art hervorzubringen.

Gestorben am 26. August 1723
Antonie van Leeuwenhoek
Biologe, der unter anderem Bakterien (Bazillen, Kokken und Spirillen), rote Blutkörperchen und das Kapillarsystem des Blutkreislaufes entdeckte. Er wird als “Vater der Mikrobiologie” bezeichnet. Mit seinem selbst gebauten Mikroskop konnte er Vergrößerungen um das 270-fache erreichen – und das bei einer einigermaßen scharfen Auflösung. Da er das Geheimnis, wie er seine Mikroskope herstellte, nie veröffentliche, wurde die von ihm erreichte Auflösung erst wieder im 19. Jahrhundert erreicht.

Van Leeuwenhoek hatte nie studiert und konnte kein Latein, damals die Sprache der Wissenschaft. 1673 hatte van Leeuwenhoek jedoch Glück: Reiner de Graf, ein Mitglied der Royal Society in London, der ebenfalls aus Delft stammte, führte van Leeuwenhoek und seine Mikroskope in wissenschaftliche Kreise ein. 1680 wurde van Leeuwenhoek Mitglied der Royal Society und damit populär. Er bekam Besuch von bedeutenden Persönlichkeiten wie z. B. Zar Peter den Großen, Gottfried Wilhelm Leibniz oder der britischen Königin Anne.

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Die Einmauerung

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Vom Problemkomponisten Frédéric Lazard (20.2.1883 – 18.11.1948) stammt folgendes schöne Schachproblem. Es wurde 1946 in L’Italia Scacchistica veröffentlicht. Weiß am Zug hält Remis: Erst muss der schwarze König eingemauert werden. Dann schlägt die große Stunde des Läufers.

Weiß am Zug hält Remis

 

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Das Cotard-Syndrom als Nebenwirkung von Valaciclovir

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Krankenhausserien müssen nicht nur herzergreifend und spannend – sie müssen auch medizinisch korrekt sein. Drehbuchautoren und Ärztliche Berater von Krankenhausserien holen sich daher auch Ideen aus medizinischen Fachartikeln. Eine solche Idee wurde in der Folge “Der Mann ohne Organe” aus der Serie “Klinik am Südring“, die auf SAT.1 läuft, umgesetzt.

Rettungssanitäter bringen einen 56-jährigen Mann in die Notaufnahme. Er war im Schlafanzug auf der Autobahn herumgeirrt und angefahren worden. Der Patient ist völlig verwirrt und erzählt dem Arzt, dass er tot sei und keine Organe mehr habe, weil sie ihm nach seinem Tod herausgenommen wurden.

Sofort klingelte es in meinem neurowissenschaftlichen Hinterstübchen: das Cotard-Syndrom.

Das Cotard-Syndrom
Im Jahr 1880 beschrieb der Neurologe Jules Cotard einen Fall von “Deliren hypochondrieque” bei einer Frau mittleren Alters, die die Existenz ihres Gehirns, ihrer Nerven und ihrer Brust verneinte und sich selbst als aus Haut und Knochen bestehend ansah. Sie verneinte auch die Existenz von Gott und Teufel. Wenige Jahre später führte Cotard den Begriff “Delire des negation” für Patienten ein, die eine psychotische negierende Wahrnehmung haben. Das umfasst die Verleugnung der Existenz verschiedener Organe des Körpers oder Verleugnung des am Leben-Seins, dazugehört aber auch die Verneinung von Geist oder Kosmos. Der Begriff Cotard-Syndrom wurde zuerst von Emil Regis benutzt und später von anderen Psychiatern übernommen, um Patienten mit ähnlichen negierenden Wahrnehmungsstörungen zu beschreiben.

Cotard betrachtete diese Fälle als psychotische Depressionen. In einer Literaturübersicht [1] analysierten Berrios und Luque 100 Fälle des Cotard-Syndroms und stellten fest, dass die meisten Patienten das Cotard-Syndrom im Verlauf einer Depression entwickelten.

Der Patient hatte einen erhöhten Blutzuckerwert jedoch keine Depression und erschien am Vortag, laut Aussage der Tochter, psychisch normal. Verletzungen oder Entzündungen des Gehirns, Epilepsie, Migräne, Hirntumore oder Erkrankungen der Blutgefäße im Gehirn können ebenso das Cotard-Syndrom auslösen.

Vielleicht hatte der Unfall das Gehirn verletzt und so das Cotard-Syndrom ausgelöst?

Keine Auffälligkeiten in der Computertomografie des Gehirns
Der Arzt fand in der Computertomografie (CT) des Gehirns aber nichts Krankhaftes. Natürlich war es möglich, dass er etwas übersehen hatte: Kleine Metastasen und Tumore sind in der CT oftmals leicht zu übersehen bzw. können nicht hinreichend sicher von normalen Gewebestrukturen unterschieden werden. Deshalb wird je nach Krankheitsverdacht manchmal ergänzend eine Positronen-Emissions-Tomographie (PET) gemacht.

Schließlich fand der Arzt heraus, dass die Ursache für das Cotard-Syndrom, das Medikament der Ehefrau war, das der Patient versehentlich eingenommen hatte.

An diesem Punkt wurde ich skeptisch. Welche Medikamente können als Nebenwirkung das Cotard-Syndrom auslösen? Vielleicht ein Medikament, das eine Entzündung oder Blutung im Gehirn auslösen kann – aber bei welcher Dosis und über welchen Zeitraum?

Das Virostatikum Valaciclovir
Die Frau des Patienten hatte Gürtelrose1 und nahm deshalb ein Virostatikum ein. Tatsächlich fand ich in der medizinischen Fachliteratur zwei Fallstudien, in denen ein Virostatikum gegen Herpesviren das Cotard-Syndrom auslöste:

Das Virostatikum Valaciclovir, ein DNA-Polymerase-Inhibitor, hat bei einer Frau mit Gürtelrose und einer chronischen Nierenkrankheit das Cotard-Syndrom ausgelöst [2] ebenso bei einem Mann mit einer Herpesvirusinfektion des Schleimhautepithels (Mukosa) und eingeschränkter Nierenfunktion [2]. Bei beiden Patienten war die Leber gesund.

Valaciclovir ist ein Analogon der Nukleinbase Guanin, die in der DNA vorkommt.

Noch glaubhafter wäre die Geschichte also gewesen, hätte der Mann neben dem erhöhten Blutzuckerwert schon eine diabetische Nephropathie gehabt. Bei dauerhaft hohem Blutzucker werden im Laufe der Zeit die kleinen Blutgefäße in der Niere, die das Blut filtern, geschädigt. Als Folge tritt das Protein Albumin aus dem Blut in den Urin über2. Vor allem bei Patienten mit einer Kombination von Diabetes und Bluthochdruck sind die Risiken für eine solche Nierenschädigung hoch.

Fußnoten
1. Die Gürtelrose ist die Zweiterkrankung nach einer Windpockenvirusinfektion. Das Windpockenvirus (Varicella-Zoster-Virus) gehört zur Familie der Herpesviren. Herpesviren haben die Fähigkeit, im von ihnen infizierten Organismus lebenslang zu überdauern. Eine Gürtelrose kann noch Jahre nach der Ansteckung mit dem Virus auftreten. Bei der Gürtelrose nistet sich das Virus in den Hirnnerven und in den Nervenwurzeln des Rückenmarks (Spinal- und Hirnnervengang) ein. Beginnen sich die Viren erneut zu vermehren, wandern sie den Nerv entlang nach außen in die Haut. Im Versorgungsgebiet des Nerven, in den sich die Viren zurückgezogen hatten, tritt dann die Gürtelrose auf. Während bei Windpocken der gesamte Körper befallen ist, bilden sich die Symptome der Gürtelrose nur in dem Hautgebiet aus, das vom jeweils betroffenen Hirn- oder Rückenmarksnerv versorgt wird.

2. Dieser Übertritt von Albumin in den Urin tritt schon lange vor dem Entstehen von ernsthafteren Schäden auf und sollte jährlich bei allen Diabetikern mit einem Urintest überprüft werden. Der Albuminverlust kann nach verbesserter Blutdruck- und Diabeteseinstellung wieder verschwinden.

Weiterführende Literatur

Cotard-Syndrom: Haley (17) hielt sich drei Jahre lang für tot

[1] Berrios GE, Luque R. (1995) Cotard’s syndromee: Analysis of 100 cases. Acta Psychiatr Scand. 1995, 91:185–188.

[2] Helldén A, Odar-Cederlöf I, Larsson K, Fehrman-Ekholm I, Lindén T. Death delusion. BMJ. 2007;335:1305.

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Cuvier testet Lamarcks Evolutionstheorie

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Mehr als 50 Jahre vor Darwins Buch “Die Entstehung der Arten” stritten die beiden Biologen Georges Cuvier und Jean-Baptiste Lamarck über die Veränderlichkeit der Arten. Im Zentrum ihres Streits standen mumifizierte Vögel, die Napoleon von seinem Ägyptenfeldzug nach Frankreich gebracht hatte. 1798 hatten Forscher Napoleons Armee begleitet und Hunderte von mumifizierten Tieren1 nach Frankreich gebracht, darunter viele Ibisse2, Vögel, die von den alten Ägyptern als heilig3 verehrt wurden.

Cuviers Theorie von der “Korrelation der Organe”
Cuvier, der Vergleichende Anatomie lehrte, war während dieses Feldzugs in Paris geblieben und hatte mithilfe der Exponate des Nationalen Naturkundemuseums, die Theorie von der “Korrelation der Organe” entwickelt. Er glaubte, dass bei jedem Tier die verschiedenen Organe in Bau und Funktion genau aufeinander abgestimmt sind, sodass es einem Paläontologen, in gewissen Grenzen, möglich war aus den Überresten eines Tieres das ganze Tier, zu rekonstruieren.

Keiner der verschiedenen Körperteile eines Organismus kann seine Form ändern, ohne eine entsprechende Änderung in anderen Teilen des gleichen Tieres, und folglich weist jedes Teil für sich genommen auf alle anderen Teile hin, zu welchem er gehörte.
Georges Cuvier

Cuvier glaubte, dass die Teile eines Tiers perfekt angepasst und so miteinander verbunden waren, dass jede Veränderung an einem der Teile das Überleben des Tiers als Ganzes verhindern würde. Jede Art basiert auf einer idealen Form, die sich im Laufe der Zeit nicht verändern kann. Aufgrund dieser Argumente glaubte er nicht an eine Veränderlichkeit der Arten, sondern an eine “Konstanz der Arten”.

Lamarcks Theorie von der Veränderlichkeit der Arten
Lamarck4 glaubte, dass die Arten an ihre Umgebung angepasst waren. Er nahm an, dass eine Lebenskraft5 die Tiere dazu veranlasste sich anzupassen, und dass diese Anpassungen von dem Gebrauch oder Nichtgebrauch der entsprechenden Organe abhängig sind, ähnlich, wie sich Muskeln an Übung anpassen. Er glaubte, dass diese Veränderungen erblich sind und so langsame Anpassungen an die Umgebung verursachten. Ein Konzept, das heute als phyletischer Gradualismus bekannt ist. Die Lebenskraft trieb die Arten dazu an, sich weiterzuentwickeln und auf einer Stufenleiter der Komplexität aufzusteigen.

Credit: Curtis C, Millar CD, Lambert DM (2018) The Sacred Ibis debate: The first test of evolution. PLoS Biol 16(9): e2005558. https://doi.org/10.1371/journal.pbio.2005558 (A) Georges Cuvier (1769–1832) und (B) Jean-Baptiste Lamarck (1744–1829)

Cuvier untersucht die mumifizierten Ibisse
Der Zoologe Étienne Geoffroy Saint-Hilaire, der Napoleon nach Ägypten begleitet hatte, brachte Cuvier zwei mumifizierte Ibisse, später kamen weitere Exemplare hinzu. Cuviers Assistent Rousseau setzte das vollständige Skelett eines mumifizierten Ibisses zusammen. Cuvier verwendete dieses Skelett (und andere lose Knochen der Ibismumien), um die mumifizierten Vögel sorgfältig zu messen. Er verglich diese Messungen mit den Messungen an Knochen verstorbener Ibisse seiner Epoche und stellte fest, dass sich die Gestalt des Ibisses im Laufe der Zeit nicht verändert hatte.

Cuvier verglich die mumifizierten Knochen mit Skeletten von sechs Exemplaren einer anderen Vogelart mit ähnlicher Gestalt. Diese Exemplare hatten die gleiche Färbung, Körpergröße und vor allem einen gebogenen Schnabel. Er bezog zwei Exemplare einer bekannten Storchart (M.ibis) in die Analyse mit ein. Er dokumentierte alle diese Messungen sorgfältig. Er entdeckte in einer Ibismumie auch einige einzigartig geformte schwarze Schwanzfedern. Diese Federn sahen genauso aus wie die Schwanzfedern der damals lebenden Ibisse und waren für Cuvier ein weiteres Indiz für die Artkonstanz der Ibisse.

Credit: By Christiaan Kooyman [Public domain], from Wikimedia Commons Heiliger Ibis (Threskiornis aethiopicus)

Der Heilige Ibis-Streit in der Französischen Akademie der Wissenschaften
1802 präsentierten6 Lamarck und Cuvier, gemeinsam mit Comte de Lace´pède, die mumifizierten Ibisse der Französischen Akademie der Wissenschaften [1]. Bezugnehmend auf die Ibismumien bemerkte de Lace´pède: “Diese Tiere sind denen von heute vollkommen ähnlich”. Cuvier beschrieb den Mangel an Veränderung in den Ibismumien wie folgt:

“Wir beobachten sicherlich keine größeren Unterschiede zwischen diesen Kreaturen und denen, die wir heute sehen, als zwischen menschlichen Mumien und heutigen menschlichen Skeletten.”
Cuvier

Während Cuvier und Lamarck darin übereinstimmten, dass seit der Zeit der alten Ägypter keine erkennbaren Veränderungen bei den Ibissen stattgefunden hätten, führten ihre gegensätzlichen Ansichten über die Konstanz der Arten dazu, dass sie sich über die Bedeutung dieses Befunds stritten. Lamarck bestand darauf, dass ausgedehnte Zeiträume mit sich ändernden Umweltbedingungen erforderlich seien, um die langsamen, allmählichen Veränderungen (Transmutationen, wie er sie später nannte) in Tieren zu beobachten. Lamarcks Argumentation war, dass ein Zeitraum von 3000 Jahren nicht ausreichen würde, um evolutionäre Prozesse zu beobachten, da sich die Umweltbedingungen in Ägypten während dieser Zeit nicht geändert hatten. Er sagte:

Es wäre in der Tat sehr seltsam, wenn es anders wäre; denn die Lage und das Klima Ägyptens sind noch immer fast so, wie sie damals waren. Nur konnten die Vögel, die dort leben, noch unter den gleichen Bedingungen wie zuvor, unmöglich zu einer Änderung der Gewohnheiten gezwungen werden “.
Lamarck

Cuvier räumte ein, dass nur 2.000 höchstens 3.000 Jahre verstrichen waren (diese Schätzung wurde kürzlich bestätigt [2]), aber er leugnete, dass es in längeren Zeiträumen zu Veränderungen kommen würde. Er argumentierte, dass längere Zeiträume einfach die Summe der Änderungen in kürzeren Zeiträumen enthalte.

Für die damals anwesenden Wissenschaftler ging der Streit zugunsten Cuviers aus, denn sie sahen in seinen Messergebnissen ein starkes Indiz für die Konstanz der Arten. Lamarcks Evolutionstheorie war bei diesem Streit zwar nicht widerlegt worden, aber sie hatte unter Lamarcks Fachkollegen keine Anhänger gewinnen können. Folglich hatte die Evolutionstheorie in den nächsten Jahrzehnten einen schweren Stand bei den Biologen.

Fußnoten

1. Sie brachten mumifizierte Katzen, Schakale, Hunde, Krokodile, Schlangen und andere Vögel mit.

2. Heiliger Ibis (Threskiornis aethiopicus)

3. Die alten Ägypter verehrten den Ibis als eine Manifestation von Thoth, dem Gott der Weisheit und des Schreibens. Bilder von Ibis wurden in Hieroglyphenschriften und als Amulette und Statuen für Thoth verwendet. Ab der Spätzeit (ca. 7. Jahrhundert v. Chr.) wurden diese Vögel als Opfer für Thoth mumifiziert. Im Allgemeinen wurden sie, sobald sie getötet worden waren, mit Salzen ausgetrocknet und mit Ölen und Harzen bedeckt. Die eingewickelten Vögel wurden dann typischerweise in großen Tongefäßen versiegelt – manchmal zwei oder mehr in einem Topf. Andere wurden in Holzsärge gelegt oder mit einer Schicht aus Kartonage (ähnlich “papier-ma che”) bedeckt, die verputzt und bemalt wurde.

4. Lamarck ist heute leider nur dafür berühmt, fälschlicherweise an die “Vererbung erworbener Eigenschaften“ geglaubt zu haben. Umso wichtiger ist es zu würdigen, dass er fünfzig Jahre vor Darwin ein wichtiger Theoretiker und Verfechter der Evolution war. 1809 beschrieb er in seinem Buch “Philosophie Zoologique” eine Theorie der Transmutation der Arten. Das war 50 Jahre vor Darwins Buch „Die Entstehung der Arten“ (1859).

5. Der Begriff Lebenskraft (lateinisch Vis vitalis) war in seiner Entstehungszeit sehr populär und wurde oft auch wenig spezifisch gebraucht, als weitverbreiteter Platzhalterbegriff für unverstandene körperliche Vorgänge.

6. Debatten wie diese fanden im späten 18. / frühen 19. Jahrhundert oft in öffentlichen Räumen wie den Hallen des Pariser Museums statt.

Weiterführende Literatur

Was uns Mumien erzählen

1. Curtis C, Millar CD, Lambert DM (2018) The Sacred Ibis debate: The first test of evolution. PLoS Biol 16(9): e2005558.https://doi.org/ 10.1371/journal.pbio.2005558

2. Wasef S, Wood R, Ikram S, Curtis C, Holland B, Willerslev E, Millar C, Lambert DM. (2015) Radiocarbon dating of Sacred Ibis mummies from ancient Egypt. J Archaeol. Sci., 4: 355–361.

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Provenienzforschung für menschliche Gebeine aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika

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In der Geschichte der deutschen Anthropologie war das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eines ihrer dunkelsten Kapitel: Deutsche Forscher hatten zwischen 1898 und 1913 schätzungsweise 3000 Schädel, Knochen und Hautreste von Afrikanern aus der Kolonie Deutsch-Südwestafrika für “rassenkundliche” Forschungen in die anatomischen Institute deutscher Universitäten bringen lassen.

“Ich habe das von meinen Großeltern gehört. Das ist bei uns in der Familie so erzählt worden, dass der Kopf von Cornelius Fredericks abgeschlagen wurde. Cornelius Fredericks ist der ältere Bruder von meinem Großvater.” sagt der Namibier Dawid Fredericks, der den Schädel seines Großonkels in einer anatomischen Sammlung in Deutschland vermutet und seine Rückgabe fordert.

Cornelius Fredericks war einer der Anführer der Nama, die sich im Oktober 1904 gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben hatten. Nach seiner Kapitulation im Jahr 1906 wurde er in das berüchtigte Konzentrationslager1 auf der Haifischinsel bei Lüderitz im Süden des heutigen Namibias gesteckt. Dort starb er im Februar 1907.

Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen Sammlungen
18 Köpfe von Gefangenen, die zwischen 1905 und 1907 auf der Haifischinsel gestorben waren, wurden in Formalin konserviert und an Paul Bartels2, Anthropologe und Anatom in Berlin, geschickt. Es war damals nicht ungewöhnlich das deutsche Anthropologen an die deutschen Kolonialverwalter schrieben, und um Gebeine verstorbener Afrikaner zu Forschungszwecken baten.

Bartels forschte zusammen mit seinen Doktoranden Christian Fetzer und Heinrich Zeidler an den Gesichtsmuskeln dieser Köpfe. Sie versuchten zu beweisen, dass die Gesichtsmuskeln der Afrikaner weniger entwickelt waren als die der Europäer. Nach dem diese Forschung beendet war, wahrscheinlich um 1913, wurden die Weichteile entfernt und die trockenen Schädel in die anthropologische Sammlung des Anatomischen Instituts der Universität Berlin aufgenommen. Die Schädel lagerten seitdem in verschiedenen Berliner Sammlungen und gelangten teilweise erst nach 1990 in die Obhut der Charité3.

Dieses Gemälde (Öl auf Leinwand) von Paul Cézanne (1839-1906) trägt den Titel “Drei Totenköpfe auf einem Orientteppich”. Es entstand zwischen 1898 und 1905.

Im September 2011 wurden diese Schädel in einer Übergabezeremonie in Berlin an Namibia zurückgegeben. „Wir bekennen, dass die deutsche Wissenschaft damals Schuld auf sich geladen hat. Wir möchten um Entschuldigung bitten“, sagte der Leiter des Medizinhistorischen Museums der Charité, Thomas Schnalke damals.

Die Schädel gehören zu Frauen und Männern der Nama und Herero. Die meisten waren zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 20 und 40 Jahre alt, darunter aber auch der Schädel eines Jungen im Alter von vier Jahren.

Leider weiß niemand wer diese Menschen waren, denn für die deutschen Kolonialärzte auf der Haifischinsel (höchstwahrscheinlich aus Feldlazarett XII), die die Toten enthauptet hatten, waren die Namen der Gefangenen nicht wichtig und für die Forscher in Berlin auch nicht. Also wurden sie nirgendwo vermerkt. Daher konnten die Schädel nach ihrer Rückkehr nach Namibia nicht an namibianische Familien zurückgeben werden und in Familiengräbern bestattet werden.

Nach der Rückgabe: Identifizierung der Opfer mittels forensischer DNA-Analyse
Aus diesem Grund schlage ich, Namibia bzw. den entsprechenden namibianischen Opferorganisationen vor, diese Schädel an die Internationale Kommission für Vermisste Personen (The International Commission on Missing Persons, ICMP) zu übergeben, damit diese versucht die Toten mittels forensischer DNA-Analyse zu identifizieren. Die ICMP vergleicht dabei die aus den Schädeln gewonnene DNA mit der DNA aus dem Blut der Nachfahren der Gefangenen. Sie hat mit dieser Methode bisher die Gebeine von 15 000 Menschen identifiziert. Die große Mehrheit – 12 600 – von ihnen kam in Bosnien um, fast die Hälfte starb beim Genozid von Srebrenica. Allerdings wird die DNA-Analyse der namibianischen Schädel dadurch erschwert, dass hier nicht das Blut von Verwandten der ersten und zweiten Generation zur Verfügung steht, sondern wahrscheinlich nur der Dritten und Vierten. Es wäre hier mit den Angehörigen zu diskutieren, ob man als Ultima Ratio auch bereit wäre Gräber zu öffnen, um an DNA von Verwandten der ersten und zweiten Generation zu kommen.

Die ICMP müsste für dieses Projekt in Namibia eine DNA-Datenbank aufbauen. Sie müsste in Namibia Blutproben von Nama und Herero sammeln, deren Verwandten zwischen 1905 und 1907 im Gefangenenlager auf der Haifischinsel verstorben sind. Namibianische Historiker sollten zusätzlich gemeinsam mit deutschen Historikern Archivdokumente (wenn es die noch gibt) des Gefangenenlagers aus der Zeit von 1905 bis 1907 durchforsten, um an Namen und andere persönliche Daten der Gefangenen zu kommen. Gut wären vor allem Krankenakten aus dieser Zeit, da damals viele an Skorbut gestorben sind. Zusätzlich sollte dieses Team aus Historikern, die Nachfahren dieser Gefangenen befragen.

Unter der Voraussetzung, dass Geochemiker bereits eine auf Strontiumisotopenanalyse basierende Herkunftslandkarte Namibias erstellt haben, könnten forensische Chemiker mit den Zähnen aus den Schädeln versuchen herauszufinden, wo in Namibia die Gefangenen geboren wurden. Sie müssten dafür eine Strontiumisotopenanalyse des Zahnschmelzes machen. Diese Analyse müsste aber vor der DNA-Analyse durchgeführt werden.

Von 2010 bis 2013 hat das “Human Remains Project” der Charité – auch im Sinne einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte –, ausgewählte Teile ihrer Sammlungen exemplarisch unter zwei Aspekten ergebnisoffen beforscht: Erstens sollten verlässliche Informationen über die Herkunft und den Erwerbskontext der Sammlungsstücke zusammengetragen werden (Provenienzforschung). Zweitens sollte die zugehörige Sammlungs- und Sammlergeschichte in ihrem wissenschafts- und kolonialhistorischen Kontext erstmals eingehend aufgearbeitet werden.

Im Rahmen dieses Projekts sind bisher dreimal menschliche Gebeine an Namibia zurückgegeben worden: 20 Schädel im September 2011, 18 Schädel und 3 Skelette im März 20144, elf Schädel, fünf Skelette und ein Schulterblatt im August 2018. Der Berliner Senat steht auf dem Standpunkt, dass über Rückgaben nur nach aufwendiger Provenienzforschung und im Einzelfall entschieden wird. Für diese Provenienzforschung ist aber bisher nicht genügend Geld da, weil der politische Wille fehlt. Politiker von Land und Bund wollen das benötigte Geld nicht ausgeben, um die missliebige Frage der Rückgabe der Gebeine auszusitzen. Schade!

Fußnoten
1. Der Begriff „Konzentrationslager“ wurde erstmals offiziell im deutschen Sprachraum in den Jahren 1904/05 verwandt, um Internierungs- und Sammellager für gefangene Herero und Nama zu bezeichnen. Der britische Feldmarschall Herbert Kitchener hat diesen Begriff erfunden: Während des Zweiten Burenkriegs gegen die holländischstämmigen Buren in Südafrika um 1900 wurden dort die Frauen und Kinder der burischstämmigen Bevölkerung, die als potenzielle Feinde galten, in Lagern, die man amtlich als concentration camp bezeichnet hat, zusammengefasst und interniert.

2. Er wurde 1897 mit der Arbeit „Über Geschlechtsunterschiede am Schädel“ promoviert. Er meinte eine biologische Unterlegenheit von Frauen aus deren Schädeln herauslesen zu können. Wie sein Vater, der Anthropologe Maximilian Bartels, war er an den Neuauflagen des Buches „Das Weib in der Natur- und Völkerkunde“ von Hermann Heinrich Ploss beteiligt.

3. Die anthropologische Schädelsammlung der Berliner Anatomie enthielt 345 Schädel aus Afrika. Im Jahr 2011, hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Sammlung von der Berliner Charité übernommen: Rund 8000 Schädel aus aller Welt lagern in den Depots der Stiftung.

4. Im gleichen Monat gab auch die Historische Sammlung der Universität Freiburg 14 Schädel an Namibia zurück.

Weiterführende Literatur
Die Rückgabe namibianischer Schädel im Jahr 2011

Provenienzforschung für koloniale Objekte

Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen

Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte

 

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HIV-Controllers halten HIV ohne Medikamente in Schach

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0,5 % der HIV-infizierten Patienten, die als “HIV-Controllers” bezeichnet werden, kann die Vermehrung des Virus im Körper ohne antiretrovirale Medikamente kontrollieren. Bei diesen Patienten geht die Krankheit nicht in die symptomatische Phase mit dem Vollbild AIDS über, sondern verharrt in der symptomlosen Latenzphase. HIV-Controllers werden deshalb auch “Slow Progressors” genannt.

Credit: By Hiv-timecourse_copy.svg: Sigvederivative work: Furfur [CC0], via Wikimedia Commons Zeitlicher Verlauf der HIV-Infektion bis zum Auftreten klinischer Symptome in Abhängigkeit von der T-Helferzellzahl.

Immunologen haben beobachtet, dass die CD4+ T-Immunzellen der HIV-Controllers in der Lage sind, winzige Mengen des Virus durch Rezeptoren in der Zellmembran und das zytoplasmatische Protein TRIM5α zu erkennen [1, 2].

Diese Immunzellen exprimieren in der Zellmembran spezifisch und in großer Menge, T-Zell-Rezeptoren, die mit hoher Affinität an das HIV-Kapsidprotein p24 des Viruskapsids (die Virusproteinhülle) binden. Die bevorzugte Expression dieser Rezeptoren scheint diese T-Zellen in Alarmbereitschaft bzgl. HIV zu halten, wodurch diese Patienten in die Lage versetzt werden, HIV zu kontrollieren [1]. Im Vergleich wurden diese T-Zell-Rezeptoren bei CD4+ T-Zellen von Patienten, die mit antiretroviralen Medikamenten behandelt wurden, sehr selten gefunden.

Credit: Daniel Beyer [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], from Wikimedia Commons Die Abbildung zeigt den Aufbau und die Vermehrung des HIV.

Wenn HIV in die Zelle eingdrungen ist, zerfällt das Kapsid durch einen Prozess, den Virologen „Uncoating“ nennen. Die Virus-RNA wird freigesetzt und die Reverse Transkription kann stattfinden. TRIM5α erkennt ein Proteinmotiv innerhalb des p24 und verhindert den Uncoating-Prozess, so dass die nachfolgende Reverse Transkription nicht stattfinden kann und das Virusgenom nicht in den Zellkern eingeschleust werden kann. Bei den meisten HIV-Infizierten wird die Aktivierung von TRIM5α unterdrückt nicht jedoch bei den HIV-Controllers [2].

Weiterführende Literatur

Erste Hinweise, dass ein Retrovirus AIDS verursacht: Die vier Science-Paper vom 20. Mai 1983

1. Daniela Benati, Moran Galperin, Olivier Lambotte, Stéphanie Gras, Annick Lim, Madhura Mukhopadhyay, Alexandre Nouël, Kristy-Anne Campbell, Brigitte Lemercier, Mathieu Claireaux, Samia Hendou, Pierre Lechat, Pierre de Truchis, Faroudy Boufassa, Jamie Rossjohn, Jean-François Delfraissy, Fernando Arenzana-Seisdedos, Lisa A. Chakrabarti. (2016) Public T cell receptors confer high-avidity CD4 responses to HIV controllers. J Clin Invest., 126(6):2093-2108.

2. Natacha Merindol, Mohamed El-Far, Mohamed Sylla, Nasser Masroori, Caroline Dufour, Jia-xin Li, Pearl Cherry, Mélodie B. Plourde, Cécile Tremblay, Lionel Berthoux. (2018) HIV-1 capsids from B27/B57 elite controllers escape Mx2 but are targeted by TRIM5α, leading to the induction of an antiviral state. PLOS Pathogens, 2018; 14 (11): e1007398

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Afrikas Dieselproblem: Schwefel

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Verbrennt ein Automotor Diesel, der Schwefel enthält, entsteht das Gas Schwefeldioxid1. Schon 0,04 Volumenprozent2 in der Luft führen zu Husten, Atemnot oder einer Entzündung der Schleimhäute. In feuchter Luft wird aus Schwefeldioxid Schweflige Säure, die Bauwerke aus Naturstein zerfrisst und für den sauren Regen mitverantwortlich ist.

In Deutschland darf kein Diesel verkauft werden, dessen Schwefelkonzentration 10 ppm (parts per million) übersteigt. Das bedeutet 1 Kilogramm Diesel darf höchstens 10 Milligramm Schwefel enthalten. Diesel mit max. 10 ppm gilt gesetzlich als „schwefelfrei“. Seit 2008 ist Diesel in der EU schwefelfrei. Leider noch nicht in den meisten Länder Afrikas, die Diesel mit hoher Schwefelkonzentration erlauben, wie die folgenden Karten zeigen.

 

Der Schwefel im Diesel kommt aus dem Rohöl
In der Raffinerie wird Diesel durch Destillation aus Erdöl isoliert. Erdöl enthält je nach Herkunft bis zu 5 % Schwefel. Schwefelarme Rohöle enthalten immer noch 0,5 bis 1 % Schwefel. Diese niedrigen Schwefelkonzentrationen können jedoch nur durch einen chemischen Prozess in der Raffinerie erreicht werden.

Die afrikanischen Raffinerien sind aber technisch nicht in der Lage, den Schwefelgehalt des Rohöls auf EU-Standard zu senken. Die afrikanischen Länder müssen für schwefelfreien Diesel daher schwefelarme Rohöle importieren. Das darf nicht länger so bleiben! Hoffnung macht in dieser Hinsicht Marokko: Marokko hat als erstes afrikanisches Land, im Januar 2016, den Schwefelgrenzwert von 50 ppm auf 10 ppm gesenkt. Marokko ist vollständig von Treibstoffimporten abhängig. Wird die einzige SAMIR-Raffinerie des Landes wiedereröffnet, erwarten die Marokkaner, dass sie Diesel mit 10 ppm Schwefel für den lokalen Markt herstellt. Nigeria, Togo, die Elfenbeinküste und Benin haben Ende 2016 versprochen, die Verwendung von Diesel mit hohem Schwefelanteil zu verbieten. Ghana hat 2017 den Schwefelgrenzwert für importierten Diesel von 3000 ppm auf 50 ppm gesenkt.

Schwefelvergiftung des Oxidationskatalysators
Dieselmotoren arbeiten mit einem Luftüberschuss, daher haben sie einen hohen Anteil an Sauerstoff im Abgas. Dieser Sauerstoff oxidiert die Kohlenwasserstoffe (HC) und das Kohlenmonoxid (CO), die sich im Abgas befinden, zu Kohlendioxid (CO2) und Wasserdampf (H2O). Diese Oxidationen sind jedoch bei den Temperaturen3, mit denen die Gase aus dem Zylinder ausgestoßen werden, viel zu langsam. Es soll ja viele Oxidationen stattfinden, bevor die Abgase das Auto durch den Auspuff verlassen. Der Oxidationskatalysator beschleunigt diese Oxidationen und dadurch kann im Abgas eine größere Menge dieser Schadstoffe beseitigt werden, bevor das Abgas das Auto verlässt.

Credit: Hastdutoene [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons Nachbehandlung des Abgases im Dieselauto

Nachdem das Abgas den Brennraum verlassen hat, treibt es den Turbolader an und kommt dann zur Nachbehandlung. In dieser Einheit trifft das Abgas auf den Oxidationskatalysator. Der Oxidationskatalysator besteht aus einem Edelstahlgehäuse in das ein metallischer (Metalith) oder keramischer (Monolith) Träger eingelagert ist. Der Träger ist in Längsrichtung von vielen kleinen Kanälen durchzogen, um eine möglichst große Oberfläche zu schaffen, sodass der Katalysator eine optimale Wirkung hat. Die Trägeroberfläche ist eine hochporöse Schicht in die Edelmetalle (Platin, Palladium und/oder Rhodium) eingelagert sind.

Die Beschleunigung der Oxidationen funktioniert so, dass sich die Kohlenwasserstoffe und das Kohlenmonoxid zeitweilig an die Edelmetalle der Trägeroberfläche anlagern (und dort eine schwache Bindung eingehen), bis sie dort auf die Sauerstoffmoleküle treffen, von denen sie oxidiert werden. Nach Ablauf der Oxidation bleibt der Katalysator unverändert und kann somit weitere Oxidationen beschleunigen. Der Schwefel im Diesel lagert sich auf der Trägeroberfläche ab und verriegelt diese4. Die Kohlenwasserstoffe und das Kohlenmonoxid können sich nicht mehr an die Edelmetalle anlagern und der Katalysator funktioniert nicht mehr.

Wenn afrikanische Länder für Diesel den EU-Standard einführen, würden sie sofort die verkehrsbedingte Luftverschmutzung durch Feinstaub um 50 % senken. In Kombination mit der Einführung bestehender Emissionsminderungstechnologien würden diese Emissionen um 99 % reduziert [1].

Fußnoten
1. Der ESA-Umweltsatellit Sentinel-5P liefert unter anderem Daten zur Luftverschmutzung durch Abgase. Die Forscher sehen, ob an bestimmten Orten besonders viel Schwefeldioxid vorhanden ist und wo der Wind es hinträgt. Diese Satellitendaten kann sich jeder kostenfrei ansehen. Leider beherrsche ich nicht die Computerprogramme, mit denen ich diese Satellitendaten strukturieren und auf einer Karte Afrikas visualisieren kann. (Ich bin daher diesbezüglich für jede Hilfe dankbar).

2. In Deutschland gilt zum Schutz der menschlichen Gesundheit ein Tagesgrenzwert von 125 µg/m³, der nicht öfter als dreimal im Jahr überschritten werden darf, und ein Stundengrenzwert von 350 µg/m³, der nicht öfter als 24 Mal im Jahr überschritten werden darf [2]. Der Richtwert der WHO beträgt jedoch nur 20 µg/m³, da die WHO erhebliche Unsicherheiten bei der Einschätzung des Gesundheitsrisikos durch Schwefeldioxid sieht [3]. Dieser Wert gilt in Europa zum Schutz der Ökosysteme, wird aber nicht immer eingehalten.

3. Ausgestoßen werden die Verbrennungsgase mit einer Temperatur von bis zu 900 °C bei einem Druck von bis zu 4 bar.

4. Chemiker nennen diesen Vorgang Katalysatorvergiftung.

Weiterführende Literatur
[1]. Blumberg K.O., Walsh M.P., Pera C., (2003), “Low-Sulphur Gasoline & Diesel: The Key to Lower Vehicle Emissions”, United Nations Environment Program, p. 25

[2]. 39. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz. Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen.

[3]. WHO Air quality guidelines for particulate matter, ozone, nitrogen dioxide and sulfur dioxide. Global update 2005. World Health Organization 2006

Der Beitrag Afrikas Dieselproblem: Schwefel erschien zuerst auf Die Sankore Schriften.

Sprachenlernen und die Evolution des menschlichen Gehirns

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Zoosemiotiker erforschen die verschiedenen Formen der tierischen Kommunikation. Einige von Ihnen haben versucht Hunden, Affen und Vögeln eine menschliche Sprache beizubringen. Nach langem Training lernten diese Tiere Wortassoziationen. Es gab kein Tier, das durch die bloße Exposition Worte und die mit ihnen verbundenen Bedeutungen gelernt hat – es wurde immer explizit und mühsam dafür trainiert. Das ist ein kritischer Unterschied zu dem Spracherwerb bei Kindern, die ab einem bestimmten Alter ohne irgendeine Anleitung Sprache verstehen und erzeugen können. Diesen Unterschied erklärt eine Gruppe von Neurolinguisten damit, dass das menschliche Gehirn spezifische Sprachmodule hat, die nur im menschlichen Gehirn vorkommen. Eine andere Gruppe vertritt die neuere Meinung, dass Sprache wie ein Trittbrettfahrer auf bereits existierende Mechanismen zurückgreift, unabhängig davon, ob sich diese für die neuen Funktionen (evolutionsbiologisch oder entwicklungsbiologisch) weiter spezialisiert haben oder nicht.

Dieses deklarativ-prozedurale (DP)-Modell des Sprachenlernens sagt voraus, dass, da Lexikon und Grammatik einer Sprache erlernt werden müssen, das Lexikon stark vom deklarativen und die Grammatik stark vom prozeduralen Gedächtnis abhängig ist. Darüber hinaus sagt das DP-Modell voraus, dass sich bei einem Sprachenlerner das Grammatiklernen in der frühen Lernphase stärker auf das deklarative in der späten Lernphase stärker auf das prozedurale Gedächtnis stützen wird, weil das Lernen mit dem deklarativen Gedächtnis schneller erfolgt als mit dem prozeduralen Gedächtnis.

Semantisches und prozedurales Gedächtnis beim Sprachenlernen

Das semantische Gedächtnis, eine Form des deklarativen Gedächtnisses, beinhaltet das bewusste Faktenwissen. Es speichert unser Wissen über die Welt und die Sprache und ist im Gegensatz zum autobiografischen Gedächtnis nicht emotional gefärbt und frei von eventuellen Rahmenbedingungen, d. h. wir erinnern die Gegebenheit nicht in Verbindung mit einem Ort oder einem bestimmten Zeitpunkt. Das semantische Gedächtnis ermöglicht uns “automatisch” zu erinnern, dass die Hauptstadt von Frankreich Paris ist. In der Regel erinnerst du dich aber nicht daran, wann, wo und von wem du diese Tatsache das erste Mal gehört hast. Das semantische Gedächtnis dient uns als mentales Lexikon. Dafür sind im Gehirn der Temporallappen und der Hippocampus wichtig.

“Diese Hirnsysteme sind auch bei Tieren zu finden – Ratten verwenden sie zum Beispiel, wenn sie lernen, in einem Labyrinth zu navigieren”, sagt Koautor Phillip Hamrick, “Unabhängig von den Änderungen, die diese Systeme zur Unterstützung der Sprache durchlaufen haben, ist die Tatsache, dass sie eine wichtige Rolle in dieser typisch menschlichen Fähigkeit spielen, bemerkenswert.”

Das prozedurale Gedächtnis ist das Gedächtnis für unbewusste Bewegungsabfolgen wie Laufen oder Fahrradfahren. Wenn wir einen Bewegungsablauf oft genug wiederholt und geübt haben, können wir ihn ausführen, ohne darüber nachdenken zu müssen. Dafür sind im Gehirn vor allem das Kleinhirn und die Basalganglien zuständig.

Sprachforscher aus den USA, England und Australien haben das DP-Modell jetzt in einer Metaanalyse von 16 Studien statistisch überprüft und diese in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht [1]. In ihrem Artikel beschreiben sie wie Kinder ihre Muttersprache und Erwachsene Fremdsprachen mit evolutionär alten Gehirnstrukturen lernen, die es bereits vor der Entstehung des Menschen gab und die auch für so unterschiedliche Aufgaben wie das Erinnern an Omas Geburtstag und Fahrrad fahren lernen verwendet werden – also nicht spezifisch für Sprache sind.

Die Ergebnisse zeigen, wie gut wir uns an die Wörter einer Sprache (oder Vokabeln bei Fremdsprachen) erinnern, hängt davon ab, wie gut wir mit dem semantischem Gedächtnis lernen können, mit dem wir uns das kleine Einmaleins merken.

Die Grammatikfähigkeiten, die es uns ermöglichen, Wörter gemäß den Regeln einer Sprache zu Sätzen zu kombinieren, zeigen ein anderes Muster. Die Grammatikfähigkeiten von Kindern, die ihre Muttersprache lernen, korrelierten am stärksten mit dem Lernen des prozeduralen Gedächtnisses, mit dem wir Aufgaben wie Fahrradfahren lernen. Bei Erwachsenen, die eine Fremdsprache lernen, korrelieren die Grammatikfähigkeiten jedoch mit dem semantischen Gedächtnis in frühn Stadien des Fremdspracherwerbs, jedoch mit dem prozeduralen Gedächtnis in späten Stadien.

Die Korrelationen waren stark und wurden in Sprachen wie Englisch, Französisch, Finnisch und Japanisch und Aufgaben wie Lesen, Zuhören und Sprechen konsistent gefunden, was darauf schließen lässt, dass die Verbindungen zwischen Sprache und Gehirnsystem robust und zuverlässig sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass Menschen beim Sprachenlernen auf kognitive Allzwecksysteme angewiesen sind. Die Allgemeinheit dieser Systeme schließt jedoch nicht die gleichzeitige Existenz domänenspezifischer Substrate für die Sprache aus, entweder aufgrund einer ontogenetischen (Entwicklungs-) oder phylogenetischen (evolutionären) Spezialisierung innerhalb dieser Systeme oder aufgrund zusätzlicher spezialisierter Schaltungen.

Credit: Pegado F, Nakamura K and Hannagan T [CC BY 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons Ein Schlüsselaspekt der Alphabetisierung besteht darin, die als “Phonem-Graphem-Entsprechung” bekannte audio-visuelle Abbildung festzulegen, wobei elementare Töne von Sprache (d. h. Phoneme) mit visuellen Darstellungen (d. h. Graphemen) verknüpft werden.

Evolution des Gehirns bei Wirbeltieren

Das Studium der Evolution der Gehirnbereiche, die dem semantischen und dem prozeduralen Gedächtnis zugrunde liegen, kann uns vielleicht neue Erkenntnisse über den Spracherwerb beim Menschen liefern. Evolutionsbiologen haben bisher drei wichtige Schlussfolgerungen aus der Evolution des Gehirns bei Wirbeltieren gezogen [2]:

1. Alle Wirbeltiere, mit Ausnahme der Kieferlosen (Agnathen), denen ein Kleinhirn fehlt, haben die gleiche Anzahl Gehirnglieder.

2. Die Gehirngröße hat bei einigen Mitgliedern jeder Wirbeltierklasse unabhängig zugenommen. Sowohl Vögel als auch Säugetiere haben ein Gehirn, das 6–10 Mal größer ist als das Gehirn von Reptilien der gleichen Körpergröße.

3. Zunahme der Gehirngröße hat häufig zu einer Zunahme der Anzahl neuronaler Zentren, einer Zunahme der Anzahl neuronaler Zellklassen innerhalb eines Zentrums und wahrscheinlich einer Zunahme der Verhaltenskomplexität geführt. Das auffälligste Beispiel für eine Zunahme der Nervenzentren mit Zunahme der relativen Gehirngröße fanden die Neurobiologen bei den Säugetieren. Von den Nagetieren zu den Primaten steigt die Anzahl der kortikalen Unterteilungen um das Fünffache.

Die meisten Neurobiologen nehmen an, dass die Komplexität des Gehirns und die Komplexität des Verhaltens irgendwie miteinander verbunden sind. Gehirne existieren, um Informationen zu verarbeiten, die es einem Tier ermöglichen, Probleme zu lösen, was wiederum zur Fitness dieses Tieres beiträgt. Mit zunehmender Größe des Gehirns nehmen auch die Anzahl der Nervenzellen und ihrer Verbindungen zu, wodurch die verfügbare Ausrüstung für die Informationsverarbeitung erweitert wird. Diese gesteigerte Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, ermöglicht es einem Tier, eine komplexere Wahrnehmungswelt aufzubauen, die wiederum erhöhte Möglichkeiten zur Problemlösung aufzeigen und dazu führen soll, dass Verhalten komplexer und anpassungsfähiger wird.

Pyramidenzellen eignen sich für Deep Learning

Die KI-Forscher Blake Richards und Jordan Guerguiev haben in der Fachzeitschrift eLife einen Algorithmus publiziert [3], der simuliert, wie Deep Learning in unserem Gehirn funktionieren kann. Das Netzwerk zeigt, dass die neokortikalen Pyramidenzellen von Säugetieren die Form und die elektrischen Eigenschaften besitzen, die sich für Deep Learning eignen.

“Die meisten dieser Neuronen sind wie Bäume geformt, mit “Wurzeln” tief im Gehirn und “Ästen” in der Nähe der Oberfläche”, sagt Richards. “Interessant ist, dass diese Wurzeln andere Eingaben erhalten als die Äste, die ganz oben im Baum stehen.”

Mit dem Wissen über die Struktur der Pyramidenzellen bauten Richards und Guerguiev ein Modell, das auf ähnliche Weise Signale in getrennten Kompartimenten empfing. Diese Kompartimente ermöglichten es simulierten Neuronen in verschiedenen Schichten, zusammenzuarbeiten und Deep Learning zu erreichen.

“Es handelt sich lediglich um eine Reihe von Simulationen, so dass wir nicht genau sagen können, was unser Gehirn tut. Es ist jedoch ausreichend, um weitere experimentelle Untersuchungen zu rechtfertigen, wenn unser eigenes Gehirn die gleichen Algorithmen verwendet”, sagt Richards. Langfristig hofft er, dass die KI-Forscher die großen Herausforderungen meistern können, beispielsweise durch Erfahrung lernen, ohne Feedback zu erhalten.

Weiterführende Literatur

Auf Dr Doolittles Spuren: Lautlernen und Interspecies-Kommunikation

Plato und die Papageien: Zur Naturgeschichte des Geistes

Nature vs Nurture: Universalien der Intonation bei Singvögeln und Menschen

[1]. Phillip Hamrick, Jarrad A. G. Lum, Michael T. Ullman. (2018) Child first language and adult second language are both tied to general-purpose learning systems. Proceedings of the National Academy of S[ciences, 115 (7), 1487-1492.

[2]. R. Glenn Northcutt (2002) Understanding Vertebrate Brain Evolution; Integrative and Comparative Biology, 42 (4), 743–756.

[3]. Jordan Guergiuev, Timothy P. Lillicrap, Blake A. Richards. 2017 Towards deep learning with segregated dendrites. eLife, 2017

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