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Ist das menschliche Gehirn ein Quantencomputer?

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Das neu gegründete Penrose-Institut in LaJolla, Kalifornien ist nach dem mathematischen Physiker Sir Roger Penrose benannt und widmet sich der menschlichen und künstlichen Intelligenz, der Quantenbiologie und Neuen Physik. Da Roger Penrose der Bruder des Schachgroßmeisters Jonathan Penrose ist, wurde zur Eröffnung des Instituts ein Schachproblem im Internet veröffentlicht, das laut Roger Penrose eine bemerkenswerte Besonderheit birgt: Schachcomputer können es angeblich nicht lösen aber für Menschen ist sehr einfach zu lösen.

Weiß ist am Zug und die Aufgabe lautet Weiß macht Remis.

Das Penrose-Institut fordert die Menschen auf die Lösung an die E-Mail: puzzles@penroseinstitute.com zu schicken.

Schachcomputer schätzen die Diagrammstellung wegen des großen Materialvorteils als gewonnen für Schwarz ein. Das Schachprogramm Stockfish 8, das gemeinsam mit Komodo die meisten Ranglisten im Computerschach anführt, bewertet sie nach 5 Minuten Bedenkzeit mit – 28.

Ein Mensch erkennt jedoch mit einem Blick, dass der schwarze Materialvorteil nur symbolisch ist. Bis auf die drei schwarzen Läufer kann keine der schwarzen Figuren ziehen – solange Weiß nicht einen der drei Bauern b3, c4 und c6 zieht. Die drei schwarzfeldrigen Läufer können aber alleine den weißen König nicht matt setzen. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass ein Schachprogramm mit moderner Bewertungsfunktion nach längerem Rechnen nicht auf die Lösung kommt.

Sir Roger Penrose erzählte dem The Telegraph das er durch dieses Schachproblem und weiteren, die in den nächsten Wochen online veröffentlicht werden, lernen möchte, wie sich das menschliche Denken von dem eines Computers unterscheidet.

„We know that there are things that the human mind achieves that even the most powerful supercomputer cannot but we don’t know why”

Penrose hat bezüglich dieser Errungenschaften des menschlichen Geistes eine kontroverse Idee. Er vermutet, dass das menschliche Gehirn wie ein Quantencomputer arbeitet.

Das enorme Speicherpotenzial des Quantencomputers beruht auf den überlagerten Zuständen. Während ein einzelnes Bit nur die Zustände 0 oder 1 annehmen kann, sind für ein sogenanntes Qubit auch überlagerte Zustände aus 0 und 1 möglich und davon gibt es unendlich viele. In einem einzelnen Qubit lässt sich also viel mehr Information speichern als in einem Bit.

Bisher sind für die Herstellung der Qubits zwei physische Trägersysteme im Gespräch. Eines welches auf der üblichen Halbleitertechnik beruht und ein anderes, welches einzelne Atome in elektromagnetischen Feldern einsperrt. In letzterem System wären die einzelnen Atome die Qubits.

Penrose, der gemeinsam mit dem Psychologen Stuart Hameroff an einer „Quantentheorie des Bewusstseins“ arbeitet, glaubt ein drittes Trägersystem im menschlichen Gehirn entdeckt, zu haben. Die Mikrotubuli, Proteinfilamente aus α-Tubulin und β-Tubulin, in den Synapsen der Nervenzellen.

Die Quantelung von Raum und Zeit in diesen Mikrotubuli soll zur Entstehung der menschlichen Wahrnehmung führen. Dieser Prozess wird von den zwei Wissenschaftlern “Orchestrierte objektive Reduktion” (ORCH-OR) genannt.

Holla, die Waldfee! Mir wird ganz schummrig vor Augen jetzt erst mal tief Luft holen.

Was passiert da gerade mit den Mikrotubuli in meinen Synapsen während ich dieses Schachproblem löse?

Habe ich das richtig verstanden, dass bestimmte Atome in diesen Mikrotubuli überlagerte Zustände bilden können?

Ist diese Erklärung jetzt im Funktionalismus oder Epiphänomenalismus verortet?

Ist das Esoterik im wissenschaftlichen Gewand?

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Warum färben Vögel ihre Eier?

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Schildkröten, Krokodile, Alligatoren und Vögel haben etwas gemeinsam: Sie legen ausschließlich Eier und immer mit Kalkschale. In dieser Gruppe beherrschen aber nur die Vögel die Kunst, ihre Kalkschale farbig zu bemalen. Es gibt Vogeleier in Rot, Gelb, Grün, Blau, Türkis, Violett, Braun und unzähligen weiteren Farbnuancen. Manche sind uni gehalten, andere mit kontrastierenden Punkten, Flecken, Strichen oder Kritzeln verziert. Die Vogelkundler nennen diese Verzierungen Makulatur.

Credit: Mit freundlicher Genehmigung von Claire N. Spottiswoode. Die Fotos stammen aus ihrem Fachartikel „How to evade a coevolving brood parasite: egg discrimination versus egg variability as host defences.“ [7] Eier der Rahmbrustprinie (Prinia subflava).

Zoologen fasziniert die große Vielfalt an Farben und Makulaturen schon lange und sie vermuten, dass die Färbung eine evolutionäre Anpassung an die Umweltbedingungen ist, unter denen die Eier bebrütet werden. Sie glauben, dass sowohl Faktoren aus der unbelebten Umwelt z. B. kalte Nistplätze als auch aus der belebten Umwelt z. B. Fressfeinde einen Selektionsdruck ausüben. Deshalb schrieb bereits 1890 der Evolutionsbiologe Edward Bagnall Poulton in seinem Buch „The Colors of Animals“ [1] über die gefärbten Vogeleier:

„any description of colour and marking [of eggs] will be considered incomplete unless supplemented by an account of meaning and importance in the life of the species“

Heute gibt es bereits acht Hypothesen zu dieser evolutionären Anpassung, die jeweils einen Faktor der unbelebten oder belebten Umwelt hervorheben: Wärmeregulierung, Tarnung um Räubern zu entgehen, Brutparasitismus, Sexuelle Selektion für die Evolution der Eierschalenfärbung, Strukturelle Funktion-Hypothese, Black Mail-Hypothese, Anämie-Hypothese, Abwehr gegen Bakterien-Hypothese. Diese Hypothesen schließen sich nicht alle gegenseitig aus, sodass es möglich ist, dass es mehrere Gründe für die Färbung gibt. Sechs Hypothesen heben einen Faktor aus der belebten Umwelt hervor und zwei einen aus der unbelebten Umwelt. Ich werde im Folgenden zwei der acht Hypothesen vorstellen.

Die Tarnung-um-Räubern-zu-entgehen-Hypothese

Die älteste Hypothese stammt von Alfred Russel Wallace [2] und wurde auch von Poulton favorisiert. Er glaubte, dass die Farben und Makulaturen der Eier der Somatolyse dienen. Die Somatolyse beschreibt das Verschmelzen eines Lebewesens mit seiner natürlichen Umgebung durch eine besonders gemusterte und farblich mit der Umgebung abgestimmte Tracht – das Tier wird gewissermaßen unsichtbar. So schützen die Vögel ihre Eier vor Fressfeinden.

Für diese Hypothese spricht, dass sich manche Vögel mit reinweißen Eiern begnügen, darunter Eulen, Wasseramseln, Kolibris, Strauße oder Geier. Viele dieser Vogelarten müssen ihre Eier nicht vor räuberischen Blicken schützen. Denn entweder wählen sie – wie die Greifvögel – unzugängliche Nistplätze oder sie brüten in Höhlen oder geschlossenen Nestern, in denen das Gehege sowieso vor fremden Augen verborgen ist. Liegen die Eier dagegen gut sichtbar im offenen Nest, dann sind sie meistens irgendwie gefärbt. Je nachdem, auf welchen Unter- oder vor welchem Hintergrund sie abgelegt werden, können ihre Schalen heller oder dunkler gehalten, einfarbig oder mit verschiedenen Punkten, Schlieren, Tupfen oder Linien verziert sein [3].

Die Eier des Austernfischers (Haematopus ostralegus) sind hell grundiert und mit wenigen, unregelmäßigen großen dunkleren Flecken betupft und heben sich kaum vom Boden der Sanddünen und Kiesbänke ab, auf denen sie liegen. Auch die graubraun gesprenkelten Eier des Flussregenpfeifers (Charadrius dubius) sind zwischen den umgebenden Kieselsteinen gut getarnt. Im Gegensatz dazu sind die Eier, die der Osterhase (Lepus pascha) färbt, so auffällig, dass er sie vor dem Nachwuchs des Menschen (Homo sapiens) verstecken muss. 😉

Das breite Spektrum an Farben geht auf nur zwei Farbstoffe zurück, die beide mit dem Blutfarbstoff Hämoglobin verwandt sind [4]. Das bläulich-grüne Pigment Biliverdin IXα wird im Eihalter, beim Bau der Eierschale, gleichmäßig in die inneren Kalkschichten eingelagert. Manche Vögel wie die Stare oder Wanderdrosseln belassen es bei dieser Grundierung. Andere bemalen zusätzlich die äußeren Schalenschichten des fertigen Eis, während dieses durch den Eileiter nach außen gleitet. Dazu nutzen sie das rötlich-braune Pigment Protoporphyrin IX, das aus speziellen Drüsen in der Eileiterwand abgesondert und dabei in allerlei Mustern auf das vorbeiziehende Ei geschmiert wird. Ruht das Ei, entstehen auf der Schale Punkte; andernfalls ergeben sich mehr oder weniger lang gezogene Flecken und Striche, die längs verlaufen können oder auch quer – je nachdem, ob und wie das Ei während der Vorwärtsbewegung gedreht wird.

Die Strukturelle-Funktion-Hypothese

Farbige Punkte und Flecken finden sich auch auf den Eiern von Vögeln, die ihr Gelege ohnehin mit Zweigen oder Gras vor feindlichen Blicken schützen. Biologen vermuten daher, dass die Färbung der Eier noch ganz anderen Aufgaben als der Tarnung vor Räubern dient.

Die Schale eines Vogeleis ist stabil, um beim Brüten das Gewicht des Vogels aushalten zu können. Sie ist aber gleichzeitig sehr dünn, etwa 0,3 bis 0,4 Millimeter, damit die Küken diese von innen aufpicken können. Die Eierschale besteht zu 95 % aus Kalziumkarbonat, die restlichen 5 % sind Kalziumphosphat, Magnesiumkarbonat und verschiedene Proteine.

Andrew Goslers Forscherteam von der Universität Oxford kommt nach ihren Befunden bei Kohlmeisen (Parus major) zu dem Schluss, dass die Farbpigmente die Stabilität der Schale erhöhen [5, 6]. Demnach legen Vögel aus kalziumarmen Regionen Eier mit deutlich dünneren Schalen und sehr viel mehr Flecken als ausreichend mit Kalzium versorgte Artgenossen. Somit gleichen die Weibchen einen Kalziummangel durch die vermehrte Einlagerung von Protoporphyrin aus; der chemisch sehr stabile Farbstoff macht die Schale elastischer, sodass sie Stöße an den dünneren Bereichen besser abfedern kann.

Fußnoten

1. Die Oologie ist die Vogeleierkunde und ein Teilgebiet der Ornithologie. In Abgrenzung von der Embryologie beschäftigt sie sich mit der Außenhülle der Eier und nicht mit deren Inhalt.

2. Das Henne-Ei-Problem ist bereits gelöst. Das Ei war zuerst da. Der Schlammspringer (Periophthalmus) legte bereits vor 400 Millionen Jahren Eier mit Kalkschale. Der Schlammspringer zählt zu den wenigen amphibisch, also im Wasser und an Land lebenden Fischen.

Unser heutiges Haushuhn stammt vom südostasiatischen Bankivahuhn (Gallus gallus) ab das bereits vor 50 Millionen Jahren lebte. Die Domestizierung, also die Umwandlung vom Wildtier zum Haustier, begann vor ca. 2500 v. Chr. in Südasien. Sehr wahrscheinlich ist, dass die ersten domestizierten Bankivahühner über die Seidenstraße Richtung Westen gebracht wurden und dabei mit Sonnerathühnern (Gallus sonneratii) und Ceylonhühnern (Gallus lafayettei) gekreuzt wurden. Ca 250 v. Chr gelangten sie in das Römische Reich und fanden von dort aus in Europa Verbreitung, weil die Römer sie im großen Stil als Eier- und Fleischlieferanten züchteten.

Weiterführende Literatur

[1] Edward Bagnall Poulton (1890) The Colors of Animals. K. Paul, Trench, Trübner

[2] Wallace A.R. (1889) Darwinism: An exposition of the theory of natural selection, with some of its applications. MacMillan

[3] Troscianko, J., Wilson-Aggarwal, J., Stevens, M., & Spottiswoode, C.N. (2016). Camouflage predicts survival in ground-nesting birds. Scientific Reports, 6, 19966.

[4] Sparks, Nicholas H.C. (2011) Eggshell pigments – from formation to deposition Avian Biology Research, 4 (4), 162-167.

[5] Gosler, A.G., Higham, J.P. & Reynolds, S.J. (2005) Why are birds‘ eggs speckled. Ecology Letters 8 (10), 1105-1113.

[6] Gosler, Andrew G.;Connor, Oliver R.;Bonser, Richard H.C. (2011) Protoporphyrin and eggshell strength: preliminary findings from a passerine bird Avian Biology Research, 4 (4), 214-223.

[7] Spottiswoode CN, Stevens M (2011) How to evade a coevolving brood parasite: egg discrimination versus egg variability as host defences. Proc Biol Sci., 278(1724):3566-3573.

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Die Quadratur des Kreises und von Lindemanns Geburtstag

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Heute vor 135 Jahren, an seinem 30. Geburtstag, bewies der Mathematiker Carl Louis Ferdinand von Lindemann, dass die Quadratur des Kreises unmöglich ist.
Die Quadratur des Kreises war ein ungelöstes mathematisches Problem der Antike,  was dem Mathematiker Anaxagoras (499 – 428 v. Chr.) zugeschrieben wird. Nur mit Zirkel und Lineal soll aus einem gegebenen Kreis in endlich vielen Schritten ein Quadrat mit dem gleichen Flächeninhalt konstruiert werden. Diese Konstruktion besteht aus einer Aufeinanderfolge von Schritten, deren jeder von einer der folgenden vier Arten ist:

1. Verbinden zweier Punkte durch eine Gerade
2. Bestimmen des Schnittpunktes zweier Geraden
3. Schlagen eines Kreises mit gegebenem Radius um einen Punkt
4. Bestimmen des Schnittpunktes eines Kreises mit einem anderen Kreis oder einer Geraden

Dabei wird von einer gegebenen Einheitsstrecke ausgegangen.

Sind zwei Strecken a und b bereits konstruiert, so können wir Strecken der Längen a + b, a − b,  a x b und a/b sowie der Quadratwurzeln von a und b mit Zirkel und Lineal konstruieren.

Von Lindemanns Kollegen aus der analytischen Geometrie hatten das ursprünglich geometrische Problem bereits mithilfe eines Koordinatensystems in ein äquivalentes algebraisches Problem umgewandelt: Sie beschrieben Geraden und Kreise durch algebraische Gleichungen und bestimmten die Schnittpunkte zweier Geraden, zweier Kreise oder einer Geraden mit einem Kreis durch das Lösen algebraischer Gleichungssysteme. Sie fanden heraus, dass die Längen, der mit Zirkel und Lineal konstruierten Strecken, algebraische Zahlen sind. Das bedeutete, sie sind eine Teilmenge der Zahlen, die eine Lösung einer algebraischen Gleichung beliebigen Grades mit rationalen Koeffizienten sind. Dadurch ergab sich der neue Lösungsansatz das geometrische Problem rechnerisch, zu lösen.

Von Lindemann bewies das die Kreiszahl π, das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser beim Kreis, transzendent ist und damit keine Lösung dieser algebraischen Gleichungen sein kann. Transzendente Zahlen haben unendlich viele Dezimalstellen ohne jede Regelmäßigkeiten. Wenn eine Zahl x transzendent ist, kann man keine Strecke der Länge x konstruieren. Von Lindemann gab seinem Manuskript den unscheinbaren Titel „Über die Zahl π“

Obwohl eine exakte Lösung mit Zirkel und Lineal nicht möglich ist, gibt es Näherungskonstruktionen für die Quadratur des Kreises.

Credit: von Petrus3743 (Eigenes Werk) [CC BY-SA 4.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons Die Quadratur des Kreises, Eine Näherungskonstruktion als Animation

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Die Flaschensammlerrepublik

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Die verschärfte Soziale Ungleichheit und die damit verbundene Soziale Gerechtigkeit sind im Wahljahr brisante Themen. Das Bundesarbeitsministerium hat in seinem fünften Armutsbericht die Ergebnisse einer Studie zum Einfluss der Reichen auf politische Entscheidungen weitgehend gestrichen1. Diese Studie der Osnabrücker Politikwissenschaftler Lea Elsässer, Svenja Hense und Armin Schäfer beschreibt, wie sehr politische Entscheidungen in Deutschland zulasten der Armen verzerrt sind2. Die Forscher untersuchten 252 politische Sachfragen aus dem Zeitraum von 1998 bis 2013, bei denen es um konkrete Reformvorschläge der Bundesregierung oder einer Bundestagsfraktion ging. Fragen zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns sind darin ebenso enthalten wie zu einer gesetzlichen Frauenquote in Führungsetagen von Unternehmen oder dem Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare. Die Wissenschaftler ermittelten für alle Vorschläge, ob sie innerhalb von zwei Jahren umgesetzt wurden oder nicht.

Laßt uns den Mut haben, die heißesten Kartoffeln in großer Fairneß anzupacken.
Angela Merkel

Für jeden dieser Vorschläge ermittelten sie aus den Umfragen des DeutschlandTrends3, wie hoch die Zustimmung in Prozent bei Menschen mit niedrigem, mittlerem oder hohen Haushaltsnettoeinkommen ist. Dazu wurden die Befragten für die Vergleichbarkeit  in Hundertstel (Perzentile) eingeteilt. Das 10., 50. und 90. Perzentil entsprechen niedrigen, mittleren und hohen Einkommen. Die Forscher schätzten dann statistisch, mit logistischen Regressionen, die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung des Vorschlags.

Die Studie zeigte, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass ein Reformvorschlag umgesetzt wird, wenn eine große Mehrheit der Spitzenverdiener ihn befürwortet. Wenn beispielsweise nur 20 Prozent der obersten Einkommensgruppe einen Reformvorschlag befürworten, dann liegt die Wahrscheinlichkeit für dessen Umsetzung bei 39 Prozent. Stimmen allerdings 80 Prozent der Befragten aus der oberen Einkommensgruppe einem Reformvorschlag zu, so liegen dessen Chancen auf Umsetzung bei fast 65 Prozent. Dieser deutlich positive und statistisch signifikante Zusammenhang gilt nur für die oberste Einkommensgruppe.

Für Menschen mit geringem Einkommen fanden sie dagegen keine Zusammenhang zwischen der Stärke ihrer Unterstützung für einen Reformvorschlag einerseits und dessen Umsetzung andererseits. Wie politischen entschieden wird, ist also unabhängig davon, ob viele oder wenige arme Bürger eine Reform befürworten. Dieses Muster verstärkt sich sogar noch, wenn die Meinungsunterschiede zwischen Armen und Reichen groß sind. So waren 2003 68 Prozent der Befragten in der Kategorie mit dem höchsten Haushaltseinkommen der Meinung, dass die Pläne zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe in die richtige Richtung gehen, in der untersten Einkommenskategorie teilten diese Einschätzung dagegen nur 27 Prozent der Befragten.

Politik: die Führung öffentlicher Angelegenheiten zu privatem Vorteil.
Ambrose Bierce

Eine Erklärung, warum die politischen Entscheidungen zulasten der Armen verzerrt sind, zielt auf die Bundestagsabgeordneten selbst: Sie gehören mehrheitlich zu den sozialen Gruppen, die besonders einflussreich sind4. Dies gilt zum einen für das Einkommen (sämtliche Abgeordnete liegen in der höchsten Einkommenskategorie des DeutschlandTrends), zeigt sich aber besonders im Hinblick auf die Berufsgruppen. Beamt_innen sind deutlich über-, Arbeiter_innen dagegen deutlich unterrepräsentiert. Hinzu kommt ein Akademikeranteil von 86 Prozent.

„Die da oben machen doch was sie wollen“ mag jetzt manch einer denken. Dieses diffuse Gefühl scheint einige wissenschaftliche Evidenz zu bekommen.

Diese Argumentationslinie hat wahrscheinlich das Bundesarbeitsministerium in Angst versetzt und zu den Streichungen geführt. Angst ist aber nicht immer ein guter Ratgeber. Die Osnabrücker Studie ist lesenswert und wichtig und ich denke eine breite Öffentlichkeit sollte ihre Ergebnisse konstruktiv diskutieren.

Fußnoten

1. In der ersten Fassung waren die Ergebnisse noch ausführlich dargestellt. Dann aber fielen sie der Ressortabstimmung zum Opfer – vermutlich, weil die Ergebnisse im Wahljahr 2017 politisch zu brisant waren.

2. In einer repräsentativen Demokratie sollte die Politik bei ihren Entscheidungen die Anliegen und Interessen der Bürger_innen berücksichtigen. Der Grundsatz politischer Gleichheit verlangt zudem, dass die Interessen aller Bürger_innen in gleichem Maße berücksichtigt werden und es keine systematische Verzerrung zugunsten einzelner Gruppen gibt.

3. Die infratest dimap führt seit Ende 1997 monatlich für die ARD Tagesthemen sowie mehrere Tageszeitungen die Umfragen des DeutschlandTrends durch. In TelefonInterviews werden dabei jeweils ca. 1.000 repräsentativ ausgewählte Wahlberechtigte zu aktuellen Sachthemen und zur Wahlabsicht befragt.

Wenn die Politik sich in den Entscheidungen an der öffentlichen Meinung orientiert, wird in der Politikwissenschaft von „Responsivität“ gesprochen. Sowohl vollständige Responsivität – Regieren nach Umfragen – als auch ihre vollständige Abwesenheit sind jedoch mit einem modernen Verständnis demokratischer Repräsentation unvereinbar. Die traditionelle Responsivitätsforschung untersuchte, inwieweit politische Handlungen mit der über Umfragen ermittelten, durchschnittlichen öffentlichen Meinung übereinstimmen. Die meisten Studien fanden ein hohes Maß an Responsivität, so auch die umfangreichste Studie für den deutschen Fall.

4. In der neuen Responsivitätsforschung wird hingegen die Bevölkerung in Gruppen unterteilt, um zu überprüfen, ob die Politik gegenüber allen Gruppen in gleichem Maß oder ob sie nur selektiv responsiv ist. Die neue Responsivitätsforschung geht davon aus, dass Responsivität selektiv erfolgt, da nicht alle Gruppen in gleicher Weise bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Um herauszufinden, ob die Entscheidungen des Deutschen Bundestags eine Schieflage zulasten der Präferenzen einkommensschwacher Gruppen aufweisen, gingen die Autoren dieser Studie in zwei Schritten vor. Im ersten prüften sie, wie groß die Meinungsunterschiede zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen in den von ihnen untersuchten Fragen sind. Dabei verglichen sie die Unterschiede zwischen Einkommensgruppen nicht nur mit denen von Männern und Frauen, Ost- und Westdeutschen, sondern auch mit Bildungs- und Berufsgruppen. Im zweiten Schritt prüften sie auf Grundlage dieser Unterschiede, mit wessen Einstellungen die anschließend getroffenen politischen Entscheidungen übereinstimmen.

Weiterführende Literatur

Schäfer, Armin; Elsässer, Lea; Hense, Svenja (2016):  Lebenslagen in Deutschland. Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Forschungsprojekt „Systematisch verzerrte Entscheidungen? Die Responsivität der deutschen Politik von 1998 bis 2015“.

Wenn Wissenschaftler Politiker beraten

Soziale Ungleichheit – Eine Gesellschaft rückt auseinander

Soziale Gerechtigkeit

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Kopfnüsse fürs Wochenende

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Es stehen uns regnerische und kalte Tage bevor. Die Gelegenheit es uns zu Hause gemütlich zu machen und ein paar Rätsel zu lösen. Hier drei Rätsel fürs Wochenende.

Die Aussagenliste

Welche der Aussagen in der folgenden Liste, wenn überhaupt, sind falsch?

1. In dieser Liste ist genau eine Aussage falsch.
2. In dieser Liste sind genau zwei Aussagen falsch.
3. In dieser Liste sind genau drei Aussagen falsch.
4. In dieser Liste sind genau vier Aussagen falsch.
5. In dieser Liste sind genau fünf Aussagen falsch.
6. In dieser Liste sind genau sechs Aussagen falsch.
7. In dieser Liste sind genau sieben Aussagen falsch.
8. In dieser Liste sind genau acht Aussagen falsch.
9. In dieser Liste sind genau neun Aussagen falsch.
10. In dieser Liste sind genau zehn Aussagen falsch.

Wasser predigen und Wein trinken

Ein Kellner hat eine Methode Wein zu stehlen. Er entnimmt am ersten Tag dem Weinfass die Menge von drei Gläsern Wein und ersetzt sie mit der Menge von drei Gläsern Wasser.

Am zweiten Tag entnimmt er dem gleichen Weinfass (mit dem nun verdünnten Wein) wieder drei Gläser Wein und ersetzt sie mit drei Gläsern Wasser.

Am dritten Tag entnimmt er dem gleichen Weinfass (mit dem stärker verdünnten Wein) wieder drei Gläser Wein und ersetzt sie mit drei Gläsern Wasser.
Danach enthält das Weinfass 50 % Wein und 50 % Wasser.

Wie viele Gläser Wein enthielt das Weinfass am ersten Tag, bevor der Kellner den Wein stahl? (Die Lösung ist keine natürliche Zahl, es muss gerundet werden.)

Eine Waschmaschine, die Socken frisst

Ein Statistiker besitzt nur Paare von weißen Socken und Paare von schwarzen Socken. Eine Socke ist in der Waschmaschine verloren gegangen.

Wenn er zufällig zwei Socken aus der Waschmaschine nimmt, haben sie in der Hälfte der Fälle die gleiche Farbe.

Der Statistiker hat mehr als 200 Socken und weniger als 250 Socken. Er hat mehr schwarze Socken als weiße Socken.

Wie viele schwarze Socken hat er?
Wie viele weiße Socken hat er?
Welche Farbe hat die Socke, die in der Waschmachine verloren gegangen ist?

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Ich rieche was, was Du nicht riechst……

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…und sag’s Dir nicht! Über die Geruchswahrnehmung beim Säugling.

Helene Loos

Helene Loos

Dieser Text entstand im Rahmen des Klaus-Tschira-Preises  für verständliche Wissenschaft. Hier schreiben Promovierte über ihre Doktorarbeit. Nur die Gewinnertexte wurden in Bild der Wissenschaft veröffentlicht. Es sind aber noch viele weitere hervorragende Texte darunter gewesen. Einigen von diesen wird in den Scilogs nun auch ein Platz in Form von Gastbeiträgen eingeräumt. Initiiert von Anna Müllner, die selbst am Preis teilnahm, hier bei den Scilogs bloggt und es schade fand, dass so viele spannende Geschichten über Wissenschaft nicht den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Die Artikel findet ihr gesammelt hier, sie werden hintereinander veröffentlicht.

Einer dieser Texte ist von Helene Loos. Helene Loos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Analytische Sensorik, Fraunhofer IVV, Freising, sowie in der Arbeitsgruppe für Aromaforschung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Identifizierung von Geruchsstoffen aus biologischen Matrices sowie der Wirkung von Geruchsstoffen auf Verhalten und Physiologie des Menschen.

Lest selbst:

Geboren zu werden bringt eine schlagartige Veränderung der Umgebung mit sich, die dem Neugeborenen einiges abverlangt. Selber atmen. Selber Krankheiten abwehren. Selber Nahrung aufnehmen. Säugetiere versorgen ihren Nachwuchs in den ersten Wochen oder Monaten nach der Geburt mit Milch. Doch wie kann das Junge die Milch finden?

Diese Frage ist keineswegs trivial, wenn man die eingeschränkten sensorischen und motorischen Fähigkeiten einiger Säugetierjungen bedenkt. Kaninchen zum Beispiel sind zunächst blind und taub und können sich nur auf ihren Tast-, Geschmacks-, und Geruchssinn verlassen. Dabei ist die Kaninchenmutter keineswegs stets verfügbar. Sie kommt nur einmal pro Tag zum Nest, so dass es für das Junge lebensnotwendig ist, diesen Zeitpunkt nicht zu verschlafen, erfolgreich die Zitze zu finden und Milch aufzunehmen. Dies gewährleistet ein Geruchsstoff in Kaninchenmilch, der beim Kaninchenjungen einen Saugreflex auslöst und durch eine französische Forschergruppe um Benoist Schaal, Gérard Coureaud und Dominique Langlois charakterisiert wurde. Eine solch reflexhafte Reaktion auf den Geruch von Milch wurde bislang bei keinem anderen Säuger beschrieben. Dennoch stützen sich auch Neugeborene anderer Tierarten auf ihren Geruchssinn, um erfolgreich Milch aufzunehmen. Und beim Menschen ruft der Geruch von Muttermilch eine positive Reaktion des Säuglings hervor, die sich zum Beispiel in vermehrten Saugbewegungen und einer Kopforientierung hin zur Geruchsquelle äußert. Doch welche Geruchsstoffe bedingen dieses Verhalten?

Als ich anfing, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war bereits einiges über die Geruchsstoffzusammensetzung von Muttermilch bekannt. Unter anderem enthält sie Schweißgeruchsstoffe, die in Tiermilchen noch nicht beschrieben sind und somit spezifisch für den Menschen sein könnten. Womöglich waren diese Geruchsstoffe mit einer positiven Reaktion des Säuglings verknüpft. Diese Idee wollte ich im Rahmen einer Kooperation zwischen der Gruppe um Andrea Büttner, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung, Freising, sowie der Gruppe um Benoist Schaal am Centre des Sciences du Goût et de l’Alimentation in Dijon überprüfen.

Klein, aber fein: die Nase eines Säuglings

In der Neugeborenenstation des Uniklinikums in Dijon rekrutierte ich Mütter mit ihren 3 Tage alten Neugeborenen für einen ca. 15-minütigen Riechtest. Dabei wurden dem Säugling im Laufe eines Tests ca. 3 verschiedene Geruchsstoffe in verschiedenen Konzentrationen zum Riechen gegeben. Zur Kontrolle beobachtete ich außerdem die Reaktion auf Muttermilch, pures Wasser und Vanillin.

Neugeborene sagen nicht, was sie riechen. Doch wer Säuglinge schon einmal beobachtet hat, weiß, dass sie ein ausgeprägtes Mienenspiel zeigen. Eine systematische Auswertung von Gesichtsausdrücken ist über die „Zerlegung“ der Mimik in die Bewegungsanteile einzelner Muskeln möglich. Im Facial Action Coding System nach Paul Ekman ist jeder Bewegung eines Muskels eine sogenannte Action Unit zugeordnet. Das Herabziehen der Augenbrauen zum Beispiel wird durch das Zusammenspiel der drei Muskeln Depressor glabellae, Depressor supercilli und Corrugator hervorgerufen und ist eine Action Unit. Die Auswertung der beobachteten Action Units erlaubt es zu einem gewissen Grad auf die mit dem Gesichtsausdruck verbundene Emotion zurückzuschließen. In meiner Studie nahm ich daher die Dauer bestimmter Action Units als ein Maß dafür, wie der untersuchte Geruchsstoff durch den Säugling wahrgenommen und bewertet wird. Des Weiteren nahm ich die Atmung des Säuglings mittels eines piezoelektrischen Atemgürtels auf (altgriechisch piezein: drücken). Dieser erzeugt je nach Ausdehnung ein unterschiedlich starkes Signal, und gibt so die durch das Atmen bedingte Bewegung des Brustkorbs/des Bauchs wieder.

Ich hatte angenommen, dass die Wahrnehmung eines Geruchs zu einer Veränderung der Atmung führen würde, beispielsweise zu einer erhöhten Atemfrequenz. Dies war jedoch nicht der Fall. Dennoch zeigten die Gesichtsausdrücke der Säuglinge, dass sie die Geruchsstoffe durchaus wahrnahmen. Überraschenderweise führten die Geruchsstoffe aber nicht zu einer positiven Reaktion, sondern im Gegenteil zu negativen Reaktionen wie z. B. einem Rümpfen der Nase oder einem Senken der Augenbrauen.

Weshalb aber empfinden Säuglinge Geruchsstoffe, die in Muttermilch vorkommen, als unangenehm oder gar abstoßend? Auf diese Frage könnte es mehrere Antworten geben. So wurden die Geruchsstoffe in meiner Studie einzeln präsentiert, während sie in der Natur immer als Mischung vorliegen. In Geruchsstoffmischungen können viele verschiedene Effekte auftreten. Die Einzelkomponenten können als solche wahrgenommen werden, sie können sich aber auch zu einem neuen Geruch vereinigen – je nach Art und Konzentration der miteinander vermischten Geruchsstoffe. Wie sich das mit den hier getesteten Substanzen verhält, ist unklar. Deshalb ist es durchaus möglich, dass die untersuchten Geruchsstoffe zwar in Muttermilch vorkommen, der Säugling jedoch die Geruchseigenschaften der einzelnen Geruchsstoffe nicht kennt. Dann wären die in der Studie präsentierten Gerüche neu für den Säugling und könnten eine ablehnende Reaktion aufgrund ihrer Neuheit hervorrufen.

Die Studie brachte noch einen weiteren interessanten Aspekt zutage: Die Säuglinge reagierten auf Konzentrationen, die unter der Geruchsschwelle von Erwachsenen lagen, d.h. die durch Erwachsene nicht wahrgenommen wurden. Dies deutet darauf hin, dass Säuglinge einen besseren Geruchssinn haben als Erwachsene, und könnte erklären, weshalb Säuglinge sogar den Milchgeruch ihrer Mutter von dem Geruch einer fremden Muttermilch unterscheiden können, obwohl Muttermilch für Erwachsene einen äußerst schwachen Geruch aufweist.

Durch die oben beschriebenen Versuche konnte ich zeigen, dass als humanspezifisch vermutete Schweißgeruchsstoffe kein ausgeprägtes positives Verhalten des Säuglings hervorrufen. Gibt es andere Geruchsstoffe in Muttermilch, für die das der Fall ist? Geruchsstoffe sind in der Regel leichte Moleküle. Sie lassen sich in einem Gaschromatographen voneinander trennen, wozu ihre unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften genutzt werden. Je nach Gewicht und Polarität (abhängig von der Verteilung elektrischer Ladung im Molekül) wandern sie unterschiedlich schnell in einem Gasstrom durch eine dünne Glaskapillare von ca. 0,3 mm Durchmesser. Der Gasstrom kann am Ende der Kapillarsäule an einem sogenannten Sniffing Port abgerochen werden. Durch diese „Gaschromatographie-Olfaktometrie“ könnten Hinweise auf weitere relevante Geruchsstoffe erhalten werden. Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass die Geruchsstoffanalytik von erwachsenen Nasen durchgeführt wird. Vielleicht riechen Säuglinge einfach mehr in der Milch.

 

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Die oxygene Fotosynthese der Cyanobakterien ist ein abgeleitetes Merkmal

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Cyanobakterien waren vor spätestens 2,7 Milliarden Jahren die ersten Lebewesen, die eine Fotosynthese durchführten, die Sauerstoff produzierte, die sogenannte oxygene Fotosynthese. Der modulare Fotosyntheseapparat für diese oxygene Fotosynthese besteht aus fünf Multiproteinkomplexen: Lichtsammel-Antennenkomplex, den Fotosystemen I und II (PS I und PS II), dem Cytochrom b6-f-Komplex (Cytb6f) und der ATP-Synthase. Hinzu kommen Enzyme für die Chlorophyll- und Carotenoidbiosynthese, die CO2-Fixierung und den Elektronentransport.

Credit: By Yikrazuul (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Die Thylakoidmembran eines Chloroplasts einer pflanzlichen Zelle, die oxygene Fotosynthese betreibt.

Es gibt neben den Cyanobakterien1 fünf Bakterienfamilien, die Fotosynthese betreiben: Purpurbakterien, grüne Nichtschwefelbakterien, Heliobakterien, grüne Schwefelbakterien und Acidobakterien. Bei diesen anoxygenen Fotosynthesen entsteht aber kein Sauerstoff. Es ist bisher nur klar, dass die anoxygene Fotosynthese vor der oxygenen Fotosynthese entstand, es ist aber nicht klar welche dieser fünf Bakterienfamilien die erste war die anoxygene Fotosynthese betrieb.

Nur die Cyanobakterien besitzen die Fotosysteme I und II, die anderen fotosynthetischen Bakterien besitzen jeweils nur ein Reaktionszentrum, das evolutionär entweder mit dem Fotosystem I oder mit dem Fotosystem II verwandt ist. Was das Verständnis der Evolution der Fotosyntheseapparate enorm erschwert ist deren modularer Aufbau: die fünf Multiproteinkomplexe und die Enzyme haben jeweils ihre eigene Evolutionsgeschichte. Die Biologen sprechen daher von einer mosaikartigen Evolution der Fotosynthese. Die jeweils etwas mehr als 100 Gene, die für die Proteine der Fotosynthesapparate codieren, haben ähnliche DNA-Sequenzen, sodass Forscher glauben, dass sie von gemeinsamen Urgenen abstammen. Da Cyanobakterien, die einzigen Bakterien sind, die zur oxygenen Fotosynthese fähig sind, möchten Evolutionsbiologen wissen wie und wann sie die dafür notwendigen Gene erwarben.

Um diese Fragen zu beantworten, benutzten Forscher der Universität Queensland in St. Lucia, Australien und des California Institute of Technology in Pasadena, USA eine phylogenetische Analyse [1]. Bei der phylogenetischen Analyse ordnen Wissenschaftler Lebewesen in Stammbäume ein, um die stammesgeschichtliche Entwicklung dieser Lebewesen bildlich darzustellen. Dabei stellen sie die Stammbäume auf der Grundlage von vererbbaren Merkmalen auf. Daher verwendet die moderne Phylogenetik auch DNA-Sequenzen, um mit Algorithmen der Bioinformatik den Verwandtschaftsgrad zwischen Arten zu bestimmen.

Wichtig für die phylogenetische Analyse ist das neu entstandene Merkmal einer Art, das sie von einer anderen verwandten Art unterscheidet. Stammbaumforscher bezeichnen ein solches Merkmal als abgeleitetes oder autapomorphes Merkmal. Ein abgeleitetes Merkmal stellt das Alleinstellungsmerkmal einer Art dar. Demgegenüber steht das ursprüngliche oder plesiomorphe Merkmal. Ursprüngliche Merkmale sind bereits vor der jeweils betrachteten Stammeslinie entstanden und haben sich nicht im Laufe der Zeit verändert. Sie sind also bei mehreren Arten zu finden.

Ein Merkmal gilt dann sicher als abgeleitet, wenn es innerhalb des eigenen Taxons homolog vorhanden ist und bei allen Schwestergruppen nicht vorhanden ist. Ein Beispiel: Das Taxon der Fluginsekten (Pterygota) hat als begründendes abgeleitetes Merkmal zwei Flügelpaare. Die Vorfahren der heutigen Fluginsekten waren flügellos. Die Flügellosigkeit der Urinsekten (Apterygota) und übrigen Gliederfüßer (Arthropoda) wie Spinnen (Arachnida), Tausendfüßern (Myriapoda), Krebsen (Crustacea) ist ein ursprüngliches Merkmal. Betrachtet man die Fluginsekten für sich, ist das Merkmal „zwei Flügelpaare“ ein ursprüngliches Merkmal! Erst deren weitere Veränderung, z. B. Umwandlung des vorderen Paares zu Flügelklappen bei allen Käfern (Coleoptera) stellt ein neues abgeleitetes Merkmal dar, welches nun innerhalb der Fluginsekten das Taxon der Käfer begründet. Bei der Suche nach abgeleiteten Merkmalen beziehen die Stammbaumforscher auch das Fehlen von Merkmalen (Negativmerkmale) in ihre Argumentation mit ein. Ein Beispiel: Die Flügellosigkeit der Urinsekten ist ein ursprüngliches Negativmerkmal die Flügellosigkeit der Flöhe (Siphonaptera), die zu den Fluginsekten gehören, ein abgeleitetes.

Evolutionsbiologen möchten wissen, welches die ursprünglichen und welches die abgeleiteten Merkmale sind, da sie so bestimmen können, in welche Richtung die Evolution der Merkmale innerhalb eines Taxons verlief. Dabei untersuchen sie zusätzlich zu den eigentlich interessierenden Taxa eine weitere Gruppe, die nach Möglichkeit nah mit den zu analysierenden Taxa verwandt ist aber auf gar keinen Fall in eines dieser Taxa gehört oder Schwestergruppe eines dieser Taxa ist. Eine solche Gruppe wird als Außengruppe bezeichnet, die Taxa, für die man die Verwandtschaftsbeziehungen wissen möchte als Innengruppe.

Treten in der Innengruppe für ein Merkmal die Ausprägungen a und b auf, so ist allein aufgrund dieser Feststellung nicht entscheidbar, welche Ausprägung die ursprüngliche ist. Wird nun in der Außengruppe das gleiche Merkmal untersucht und festgestellt, dass hier die Ausprägung a vorhanden ist, so kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass a der ursprüngliche Zustand ist.

Die Fähigkeit zur oxygenen Fotosynthese ist ein physiologisches vererbbares Merkmal. Bis vor vier Jahren besaßen alle bis dahin bekannten Klassen von Cyanobakterien dieses Merkmal. Da aber weder die Vorfahren der Cyanobakterien noch deren nächsten Verwandten bekannt waren, konnten die Wissenschaftler nicht sagen, ob es sich bei der oxygenen Fotosynthese der Cyanobakterien um ein ursprüngliches oder ein abgeleitetes Merkmal handelt.

Das Bild änderte sich 2013 mit der Entdeckung der Melainabacteria, einer Gruppe von nichtphotosynthetischen Cyanobakterien, die eng mit den photosynthetischen Cyanobakterien verwandt sind. 2016 entdeckten die Bakteriologen eine weitere Gruppe von nichtphotosynthetischen Cyanobakterien, die Sericytochromatia. Oxyphotobacteria, Melainabacteria und Sericytochromatia bilden eine monophyletische Gruppe, die eine jüngste gemeinsame Stammform und auch alle Untergruppen, die sich von dieser Stammform herleiten, umfasst, jedoch keine andere Gruppe.

Die Biochemiker vermuteten, dass der gemeinsame Vorfahre dieser drei Gruppen oxygene Fotosynthese betrieb und diese Fähigkeit bei den Melainabacteria und den Sericytochromatia im Laufe der Evolution verloren gegangen ist, weil die Fotosynthesegene durch Mutationen geschädigt wurden oder einige ganz verloren gingen. Die Forscher sequenzierten daher insgesamt 41 Bakteriengenome der Melainabacteria (38) und Sericytochromatia (3), um Überbleibsel von jenen Fotosynthesegenen zu finden.

Sie wurden enttäuscht: Sie fanden keine Fotosynthesegene. Die Genetiker vermuten daher, dass der gemeinsame Vorfahr dieser drei Gruppen auch keine Fotosynthesegene besaß und deshalb nicht zur Fotosynthese fähig war. Aber wie und wann haben dann die Oxyphotobacteria ihre Fotosynthesegene erworben?

Durch horizontalen Gentransfer, nachdem sich die Oxyphotobacteria von den Melainabacteria getrennt hatten. Das bedeutet, die oxygene Fotosynthese der Oxyphotobacteria ist ein abgeleitetes Merkmal.

Fußnoten

1. Blaualgen ist ein Begriff, der heute leider noch oft für Cyanobakterien verwendet wird. Das liegt daran, dass sie früher zu den Algen (Phycophyta) gerechnet wurden und als Klasse Blaualgen (Cyanophyceae) geführt wurden. Algen sind jedoch Eukaryoten und keine Bakterien. Die Vorsilbe cyano leitet sich vom griechischen Wort kyanos für Blau ab. Einige Cyanobakterien enthalten blaues Phycocyanin und ihre Farbe ist deshalb blaugrün. Darum wurden sie „Blaualgen“ genannt und diese Bezeichnung wurde für alle Cyanobakterien verwendet – auch für diejenigen, die kein Phycocyanin enthalten und nicht blaugrün gefärbt sind.

Weiterführende Literatur

[1] Soo, R, M., Hemp, J., Parks, D. H., Fischer, W. W., and Hugenholtz, P. (2017) On the origins of oxygenic photosynthesis and aerobic respiration in Cyanobacteria Science. 355: 1436-1440.

Blankenship, R. E. (2017) How Cyanobacteria went green Science. 355: 1372-1373

Rubin BE, Wetmore KM, Price MN, Diamond S, Shultzaberger RK, Lowe LC, Curtin G, Arkin AP, Deutschbauer A, Golden SS. (2015) The essential gene set of a photosynthetic organism. Proc Natl Acad Sci U S A. 112 (48):E6634-43.

Mulkidjanian AY, Koonin EV, Makarova KS, Mekhedov SL, Sorokin A, Wolf YI, Dufresne A, Partensky F, Burd H, Kaznadzey D, Haselkorn R, Galperin MY. (2006) The cyanobacterial genome core and the origin of photosynthesis Proc Natl Acad Sci U S A. 103 (35):13126-13131.

Shi T, Bibby TS, Jiang L, Irwin AJ, Falkowski PG. (2005) Protein interactions limit the rate of evolution of photosynthetic genes in cyanobacteria. Mol Biol Evol. (11):2179-2189.

Das zelluläre Genom im 21. Jahrhundert

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Die substitutive Nomenklatur der Benzenderivate ist kinderleicht! [Video]

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Benzen ist ein aromatischer Kohlenwasserstoff mit der Summenformel C6H6. Die organischen Chemiker brauchten mehr als 30 Jahre seine korrekte Strukturformel zu erstellen, was unter anderem an der Vielzahl der theoretisch möglichen Strukturformeln liegt. Ein Computer würde für die Summenformel C6H6 217 Strukturformeln finden.

Credit: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=356411 Die Strukturformel des Benzens

Die chemische Nomenklatur

Die Strukturformel eines Moleküls ist die Grundlage für seine standardisierte, chemisch eindeutige Benennung. Benennung? wird der Laie erstaunt fragen und sich wundern, denn diese Substanz hat ja schon ein Namen – Benzen1 nämlich. Dieser Name sagt aber im Gegensatz zu Cyclohexatrien nichts über die Struktur des Moleküls aus. Wichtig bei der systematischen Nomenklatur2 (Namensgebung) für chemische Substanzen ist, dass der Name einer chemischen Verbindung nur zu einer einzigen Strukturformel führt.

Im Benzen kann man die Wasserstoffatome durch andere Atome oder Atomgruppen ersetzen. Chemiker bezeichnen diesen Vorgang als Substitution. Die neuen Atome und Atomgruppen werden als Substituenten bezeichnet. Die Benzenderivate mit ihren Substituenten werden nach der substitutiven Nomenklatur benannt. Die substitutive Nomenklatur ist eine Methode der chemischen Nomenklatur, bei der sich die Substituenten bzw. funktionellen Gruppen entweder als Vorsilben (Präfixe) oder als Endungen (Suffixe) im Namen der Gesamtverbindung wiederfinden.

Der wissenschaftliche Nachwuchs

Ich habe die substitutive Nomenklatur erst im Grundstudium in der organischen Chemie gelernt (und heute bestimmt wieder alles vergessen). Der im folgenden Video getestete Romanieo Golphin Jr. ist erst sechs Jahre alt und beherrscht die substitutive Nomenklatur der Benzenderivate bereits wie ein Profi. Wow! Mit sechs Jahren war ich in der Grundschule, lernte lesen und schreiben und wusste noch nicht mal, was Chemie ist.

Der sechsjährige Romanieo Golphin Jr. beantwortet Fragen zur Nomenklatur der Benzenderivate

Fußnoten

1. Benzen ist die Bezeichnung dieser Verbindung nach der IUPAC-Nomenklatur. Sehr häufig findet man noch den älteren Namen Benzol. Diese Substanz ist aber weder ein Alken, noch ein Alkohol.

2. Chemiker aus der Industrie und der Universitäten gründeten 1919 die International Union of Pure and Applied Chemistry (IUPAC). Ziel dieser Organisation war es, die weltweite Kommunikation der Chemiker untereinander zu ermöglichen und zu fördern. Die IUPAC legt die Regeln für die Nomenklatur fest. Trivialnamen stammen meist aus der Zeit vor der Einführung der Nomenklatur oder werden der Einfachheit halber verwendet, wenn der systematische Name sehr kompliziert ist. Teilweise (etwa bei Heterocyclen, Biomolekülen oder kondensierten polycyclischen Kohlenwasserstoffen) sind Trivialnamen auch als Bestandteile in die heutige systematische Nomenklatur eingegangen.

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Kopfnüsse fürs Wochenende: Auflösung

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Liebe Rätselfreunde hier die Auflösung der Rätsel von Mai 2017.

Die Aussagenliste

Lösung

Falsch sind die Aussagen 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 10. Richtig ist die neunte Aussage.

Lösungsweg

Wenn die zehnte Aussage wahr ist, dann sind alle Aussagen der Liste, einschließlich der zehnten, falsch. Das ist ein Widerspruch, daher muss die 10. Aussage falsch sein. Wie wissen jetzt, dass mindestens eine Aussage der Liste falsch ist. Wie viele Aussagen der Liste können gleichzeitig wahr sein? Da sich die Aussagen gegenseitig ausschließen, kann höchstens eine Aussage wahr sein. Wenn eine Aussage wahr ist, müssen also neun Aussagen falsch sein.

Wasser predigen und Wein trinken

Lösung

In dem Weinfass waren zu Beginn vierzehneinhalb Gläser Wein.

Lösungsweg

Abnahme der Weinmenge und der Weinkonzentration im Weinfass nach Diebstählen

Nach dem dritten Diebstahl ist die Weinkonzentration 50%.

X ≈ 14,54

Eine Waschmaschine, die Socken frisst

Lösung

Der Statistiker hat 120 schwarze Socken und 106 weiße Socken. Eine weiße Socke ist in der Waschmaschine verlorengegangen.

Lösungsweg

Wie viele Möglichkeiten gibt es nach zwei Ziehungen zufällig ein Paar gleichfarbiger Socken oder ein Paar ungleichfarbiger Socken aus der Waschmaschine zu ziehen.

Die Möglichkeit zufällig ein gleichfarbiges Sockenpaar zu ziehen ist 50%. Das bedeutet die Möglichkeit zufällig ein ungleichfarbiges Sockenpaar zu ziehen ist auch 50%.

Daraus folgt: s(s – 1) + w(w – 1) (Möglichkeit zufällig gleichfarbige Socken zu ziehen) = sw + ws (Möglichkeit zufällig ungleichfarbige Socken zu ziehen)

Diese Gleichung lässt sich zu (s – w)2 = s + w vereinfachen

Wir erkennen das die Gesamtzahl der Socken (s + w) in der Waschmaschine eine Quadratzahl ist.

Wir wissen das die Gesamtzahl der Socken in der Waschmaschine größer als 200 und kleiner als 250 ist (200 < s + w < 250).

Das bedeutet, wir müssen nach einer Quadratzahl suchen, die zwischen 200 und 250 liegt.

Die Quadratzahl ist 225 = 152.

Das bedeutet, die Gesamtzahl der Socken in der Waschmaschine (s + w) ist 225.

Wir wissen (s – w)2 = 152 und das die Anzahl der schwarzen Socken größer als die der weißen Socken ist. Daraus folgt s – w = 15.

Wir erhalten nun ein lineares Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und zwei Unbekannten.

s + w = 225

s – w = 15

Wir erhalten als Lösung s = 120, w = 105.

Wir wissen, dass der Statistiker Socken nur als gleichfarbige Paare kauft. Entweder ein schwarzes Paar oder ein weißes Paar. Das bedeutet, die Anzahl der schwarzen Socken ist gerade und die Anzahl der weißen Socken ist gerade. Da wir aber rausgefunden haben, dass die Anzahl der weißen Socken (105) in der Waschmaschine ungerade ist, muss die fehlende Socke weiß sein.

Kopfnüsse fürs Wochenende

 

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80 Jahre Collatz-Vermutung: Let’s play!

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Die Collatz-Vermutung ist eine Vermutung über Zahlenfolgen, die 1937 von dem Mathematiker Lothar Collatz geäußert wurde. Er konstruierte diese Zahlenfolgen nach einem einfachen Bildungsgesetz:

1.    Denk Dir eine natürliche Zahl
2.    Falls die Zahl gerade ist, teile sie durch 2.
3.    Falls sie ungerade ist, multipliziere sie mit 3 und addiere 1.

Ich nehme z. B. die 11 und konstruiere mit obigem Bildungsgesetz folgende Zahlenfolge:

11, 34, 17, 52, 26, 13, 40, 20, 10, 5, 16, 8, 4, 2, 1, 4, 2, 1, 4, 2, 1, 4, 2, 1 …….

Die Collatz-Vermutung lautet:

Jede so konstruierte Zahlenfolge mündet in den Zyklus 4, 2, 1, egal, mit welcher natürlichen Zahl man beginnt.

Die Mathematiker haben bisher keine Gegenbeispiele gefunden. Es gibt zwei verschiedene Typen von Gegenbeispielen.

Typ 1: Eine natürliche Zahl, deren Zahlenfolge gegen unendlich wächst
Typ 2: Eine natürliche Zahl, deren Zahlenfolge in einen anderen Zyklus als 4, 2, 1 mündet.

Die Vermutung ist aber auch noch nicht bewiesen.

Wenn man die Zahlenfolgen in einem Koordinatensystem visualisiert, zeigen deren Verläufe charakteristische Muster. Haben Zahlen, deren Zahlenfolgen das gleiche Muster zeigen, weitere mathematische Eigenschaften gemeinsam? Im ersten Graph gezeigt am Beispiel des Zahlentripels 107, 125, 129 und im zweiten Graph gezeigt am Beispiel des Zahlenpaars 521, 529.

Eine Erläuterung zu allen folgenden Graphen: Die Graphen beginnen links mit n und enden rechts mit 1. Der Zyklus 4, 2, 1 wird ausgespart. Die Graphen zeigen zwischen n und 1 nur die ungeraden Zahlen der Zahlenfolgen.

Zahlenfolgen der Collatz-Vermutung visualisiert

Zahlenfolgen der Collatz-Vermutung visualisiert

Zahlenfolgen der Collatz-Vermutung visualisiert

An die Mathematiker unter den Lesern, bitte erleuchtet uns, falls das der Fall ist!

Was hat es mit den Zahlen auf sich, deren Zahlenfolgen zueinander spiegelsymmetrische Muster zeigen? Hier gezeigt am Beispiel der Zahlen 63 und 1279. (Das ist natürlich kein perfektes Beispiel wegen der Skalierung und anderen Dingen, aber ihr versteht, worauf ich hinaus will. Vielleicht findet ja einer von Euch ein besseres Beispiel.) Auch diese Frage geht an die Mathematiker.

Zahlenfolgen der Collatz-Vermutung visualisiert

Zahlenfolgen der Collatz-Vermutung visualisiert

Den Rest lade ich auf die Spielwiese für große Mädchen und Jungs ein ;-).

Wer findet natürliche Zahlenpaare, Zahlentripel, (vielleicht sogar Zahlenquadrupel) mit neuem Muster oder Zahlenpaare mit zueinander spiegelsymmetrischen Mustern?

Bitte in den Kommentarspalten melden!

Hier geht’s zum Muster finden → Collatz-Vermutung-Muster-Finder

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Wie aus Dinosauriern Vögel wurden: Eine genetische Spurensuche in Wirbeltiergenomen

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Vor mehr als vier Jahren schrieb ich in meinem Artikel über das ENCODE-Projekt, dass Evo-Devo-Forscher die cis-regulatorischen Elemente (CREs) der Gene für die genetische Basis der Körperbaupläne der Tiere halten. 

Cis-regulatorische Elemente (CREs) beeinflussen die Transkription eines Gens

CREs sind spezifische DNA-Sequenzen, die vor dem, nach dem oder direkt im Gen liegen. Bestimmte Proteine sogenannte Transkriptionsfaktoren (TFs) binden an diese CREs und regulieren so die Transkription eines Gens. CREs, die zu einer Hemmung der Transkription führen, werden als Silencer bezeichnet (und der bindende Transkriptionsfaktor als Repressor). CREs, die zu einer Verstärkung der Transkription führen, werden Enhancer genannt (und der bindende Transkriptionsfaktor Aktivator).

CREs sind typischerweise artübergreifend konserviert, deshalb schlug ich damals vor, dass die CREs benutzt werden könnten, um auf der Ebene der Makroevolution eine alte stammesgeschichtliche Kontroverse in der Systematik der Zweiseitentiere (Bilateria) aufzulösen. In diesem Streit ging es zum einen um die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Plattwürmern, Fadenwürmern, Gliederfüßern und Chordatieren, zum anderen darum, ob die Aufspaltung der Hauptgruppen erst im Kambrium oder davor stattfand.

Jetzt hat ein internationaler Zusammenschluss von Forschern aus Japan, China, Dänemark, Norwegen, USA diesen genetischen Ansatz verwendet [1], um herauszufinden, wie innerhalb von 50 Millionen Jahren aus Theropoden Vögel wurden.

Theropoden, die Vorfahren der Vögel

Die Theropoden1 gehörten zu den echsenhüftigen Dinosauriern (Saurischia) und waren die Vorfahren der heutigen Vögel. Sie waren die einzigen fleischfressenden Dinosaurier und blieben während ihrer gesamten Evolution zweibeinig. Der bekannteste Theropode ist der Tyrannosaurus rex dessen Skelett mein Nachbarblogger Gunnar Ries neulich in Chicago bewunderte.

Fossilfunde zeigen, dass die Theropoden im Laufe ihrer Evolution sehr schnell schrumpften. In zwölf identifizierbaren Schüben verloren die zu Vögeln führenden Entwicklungslinien an Größe und Gewicht und fingen vor circa 210 Millionen Jahren an vogeltypische Merkmale auszuprägen: das Ausbrüten von Eiern, relativ lange Arme, ein Gabelbein2. Ihre Hälse waren, wie bei Vögeln, meist s-förmig gebogen und einige Vertreter der Theropoden waren sogar befiedert. Die ersten Theropodenfedern waren jedoch keine Federn, wie wir sie von den heutigen Vögeln kennen, sondern sogenannte Protofedern, die etwa mit Daunen vergleichbar sind.

Credit: By Zina Deretsky, National Science Foundation (National Science Foundation) [Public domain], via Wikimedia Commons Vergleich des Luftsacksystems eines Vogels mit dem des Theropoden Majungasaurus.

Gene für Federn

Vögel sind befiederte Wirbeltiere3, die es seit ca. 160 Millionen Jahren gibt. Es gibt keinen rezenten4 Vogel ohne Federn und kein rezentes federtragendes Tier, das nicht ein Vogel ist. Federn sind wie Haare und Hornschuppen Hautanhangsgebilde und bestehen größtenteils aus Keratinen, einer Gruppe von faserbildenden Strukturproteinen. Biochemiker unterscheiden, aufgrund der Sekundärstruktur als α-Helix oder β-Faltblatt, zwischen α- und β-Keratinen. Die Federn der Vögel und die Hornschuppen der Reptilien enthalten β-Keratine. Alle Wirbeltiere haben Gene für α–Keratine. Nur Vögel und Reptilien besitzen zusätzlich Gene für β-Keratine. Die Gene für die β-Keratine der Federn stammen von Genen für die β-Keratine der Hornschuppen ab.

Die Konturfedern der Theropoden

Vögel entwickelten mithilfe der befiederten Arme eine neue Art des Fliegens5. Die Beine blieben für das Laufen in Theropodenmanier erhalten. Da Flügel in der Evolutionsgeschichte viel später auftraten als Flugfedern, haben sich Evolutionsbiologen lange gefragt, wie sich vor 170 Millionen Jahren dieser neue Typ von Federn durchsetzen konnte, bevor er wirklich nutzbar wurde. Welchen evolutionären Vorteil hatten Tiere, die solche glatten, vergleichsweise steifen Federn ausprägten, lange bevor sie fliegen konnten?

Die Wissenschaftler Marie-Claire Koschowitz, Christian Fischer und Martin Sander der Universitäten Bonn und Göttingen vermuten, dass diese Deck- und Konturfedern den Theropoden zur visuellen Kommunikation bei der Balz und der Revierverteidigung dienten [2]. Das Forschertrio glaubt, dass das Federkleid deshalb glatter, schillernder und bunter wurde, weil Dinosaurier eine besonders gute Farbwahrnehmung hatten. Alle heutigen Verwandten der Dinosaurier – zu denen neben Vögeln auch Schuppenkriechtiere, Schildkröten, Brückenechsen und Krokodile zählen – sind sogenannte Tetrachromaten. Sie verfügen in ihren Augen über vier Farbrezeptoren und nehmen damit ein erweitertes Lichtspektrum bis hin zu Ultraviolett wahr.

Bei auf Reflexion beruhende Effekten – Schillern und Schimmern, Blau-, Grün- und Ultravioletttöne sind die glatten Federn den Daunenfedern klar überlegen: Als Konturfedern ermöglichen sie in Kombination mit Musterung6 vor allem dann besonders spektakuläre Effekte, wenn sie sich auch noch drehen und in verschiedener Weise arrangieren lassen – ein Aspekt, der die Ausprägung von Konturfedern vor allen an den Gliedmaßen begünstigt haben könnte.

Die ersten richtigen Konturfedern sind für die Stammart der Pennaraptora7 – wörtlich “gefiederte Räuber” nachgewiesen.

Credit: By Uwe Gille (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0)], via Wikimedia Commons Aufbau einer Konturfeder
1 Schaft, 2 Spule, 3 Fahne (3b Außen-, 3a Innenfahne), 4 Nebenfeder, 5 oberer Nabel, 6 unterer Nabel, 7 Federast, 8 Bogenstrahl, 9 Hakenstrahl

Die Konturfedern (Pennae conturae) werden funktionell weiter unterteilt in:

Körperfedern (Pennae conturae generales): die Deckfedern des Rumpfes
Schwungfedern (Remiges): Sie bilden die eigentliche Tragfläche des Flügels an Hand (Handschwingen) und Unterarm (Armschwingen)
Steuerfedern (Rectrices): die Schwanzfedern
Deckfedern (Tectrices): die übrigen Federn an Flügel und Schwanz

Die Pennaraptora besaßen neben Körperkonturfedern schon verlängerte Konturfedern an Armen und Schwanz, jedoch noch mit symmetrischen Fahnen. Erst später entwickelten sich aus symmetrischen Konturfedern solche mit asymmetrischen Fahnen und somit besseren aerodynamischen Eigenschaften. Erst mit diesem Schritt traten echte Flügel und Flugfähigkeit auf. Aus dem Bau der recht kurzen Armen schließen die Paläontologen, dass die Stammart der Pennaraptora noch nicht fliegen konnte.

Vogelspezifische CREs und die Evolution von Flugfedern

Auf der Suche nach Indizien für vogeltypische Körpermerkmale im Genom verglichen die Evolutionsgenetiker 48 Vogelgenome mit 9 Genomen aus den anderen Wirbeltierklassen Reptilien, Säugetiere, Amphibien und Fische. Sie fanden vogelspezifische CREs, die sie ‘avian-specific highly conserved elements‘ (ASHCEs) nannten. Die DNA-Sequenzen dieser ASHCEs sind sich einander sehr ähnlich, zeigen aber keinerlei Sequenzähnlichkeiten mit den CREs anderer Wirbeltiergenome.

Ein besonders interessantes ASHCE, ein 284 bp langer Enhancer, befindet sich im achten Intron des Gens Sim1. Sim1 codiert für einen Transkriptionsfaktor, dessen Expression im Flügel räumlich und zeitlich mit der Bildung von Flugfedern übereinstimmt8. Die DNA-Sequenz von Sim1 ist hochkonserviert, sodass es wahrscheinlich ist, dass Sim1 schon zurzeit der Theropoden existiert hat.

Vögel haben zwei Regionen, die flache Federn haben: entlang der hinteren Kanten der Flügel (Flugfedern) und im Schwanz (Steuerfedern). Wenn die Expression von Sim1 nicht nur an der Flugfedernbildung der modernen Vögel beteiligt ist, sondern auch bei der Bildung der Flugfedern bei den Pennaraptora involviert war, würden wir ein Sim1-Expression in den Regionen der Schwanzfedern erwarten. In Übereinstimmung mit dieser Erwartung fanden die Forscher, dass Sim1 auf beiden Seiten des Schwanzes und der Region um die Kloake im Hühnerembryo exprimiert wurde.

Fußnoten

1. Theropod bedeutet auf Deutsch “Raubtierfuß”. Diese Bezeichnung bezieht sich auf ihre dreizehigen Füße mit Klauen.

2. Bei den Vögeln sind beide Schlüsselbeine (Clavicula) zu einem V-förmigen Knochen, dem Gabelbein (Furcula), verwachsen, das als Spannfeder die beiden Schultergelenke beim Fliegen auseinanderhält.

3. Vögel sind die jüngste Klasse der Wirbeltiere.

4. Als rezente Arten bezeichnet man all jene, die in der geologischen Gegenwart, dem Holozän (beginnend vor knapp 12.000 Jahren bis zur Jetztzeit), auftreten oder in dieser Zeit ausstarben. Diejenigen Arten, die zuvor oder während des Übergangs vom Pleistozän zum Holozän ausstarben, bezeichnet man als fossil.

5. Die meisten Vögel können fliegen. Auch die wenigen, flugunfähigen Vogelarten, zu ihnen zählen Pinguin, Kiwi, Strauß oder Stummelkormoran, haben sich ursprünglich aus Arten entwickelt, die fliegen konnten.

6. Man denke nur an die enorme Farben- und Formenvielfalt bei Hühnervögeln, Papageien und Paradiesvögeln.

7. Diese Klade umfasst die Oviraptorosaurier, Dromaeosaurier, Archaeopteryx und die heutigen Vögel.

8. Ich vermute, dass Sim1 an der Transkription von β-Keratin-Genen beteiligt ist.

Weiterführende Literatur

[1] Ryohei Seki, Cai Li, Qi Fang, Shinichi Hayashi, Shiro Egawa, Jiang Hu, Luohao Xu, Hailin Pan, Mao Kondo, Tomohiko Sato, Haruka Matsubara, Namiko Kamiyama, Keiichi Kitajima, Daisuke Saito, Yang Liu, M. Thomas P. Gilbert, Qi Zhou, Xing Xu, Toshihiko Shiroishi, Naoki Irie, Koji Tamura & Guojie Zhang (2017) Functional roles of Aves class-specific cis-regulatory elements on macroevolution of bird-specific features Nat Commun., 8, 14229. doi: 10.1038/ncomms14229.

[2] Marie-Claire Koschowitz, Christian Fischer, Martin Sander (2014) Beyond the rainbow Science,Vol. 346, Issue 6208, pp. 416-418.

ENCODE und die Körperbaupläne von Tieren

Ein Tyrannosaurus rex namens „Sue“

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Transgene Pilze zur Bekämpfung der Malariamücken

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Afrika südlich der Sahara ist am stärksten von Malaria betroffen. Auf diese Region entfallen mehr als 90 Prozent aller Malarianeuinfektionen und -todesfälle. Fast drei Viertel der Malariatodesopfer dort sind Kinder unter fünf Jahren.
Die Malariaerreger sind einzellige Parasiten der Gattung Plasmodium. Von dieser gibt es vier Arten, die beim Menschen Malaria auslösen können: Plasmodium ovale, Plasmodium vivax, Plasmodium malariae und Plasmodium falciparum. Diese Plasmodienarten gelangen durch den Stich einer Stechmücke der Gattung Anopheles1 in den Blutkreislauf des Menschen. Nur die trächtigen Weibchen stechen. Sie brauchen die Proteine im menschlichen Blut für die Entwicklung ihrer Eier, ernähren sich aber sonst, wie die Männchen, von Nektar und Pflanzensäften. Die Männchen sind mit ihrem stark unterentwickelten Stechapparat unfähig, zu stechen und Blut zu saugen.

Credit: By Photo Credit: James Gathany Content Providers(s): CDC [Public domain], via Wikimedia Commons Eine weibliche Anopheles albimanus, die einen Menschen sticht und sich dabei mit Blut vollsaugt.

Die Gattung Anopheles besteht aus ca. 420 verschiedenen Arten, von denen 40 Arten fähig sind Malariaplasmodien zu übertragen2. Stechmücken der Art Anopheles gambiae, die mit Plasmodium falciparum infiziert sind, finden den Geruch von Menschen wesentlich attraktiver als nicht infizierte Stechmücken [1]. Dieser Parasit verändert das Geruchssystem seiner Wirtsmücke und sorgt somit für seine Übertragung in den Menschen [2].

Verhindern Epidemiologen den Kontakt zwischen weiblichen, trächtigen, infizierten Anophelesmücken und Menschen, können sie damit die Ausbreitung der Malaria stoppen. Dazu dienen Maßnahmen der Vektorkontrolle wie die Verteilung von Moskitonetzen oder das Versprühen von Insektiziden. Da die Anophelesmücken resistent gegen die üblichen chemischen Insektizide geworden sind, möchten Insektenforscher die Anophelesmücken mit dem parasitischen Pilz Metarhizium pingshaensei biologisch bekämpfen.

Dieser Pilz befällt spezifisch Stechmücken wie z. B. Anopheles gambiae und die Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti), die Überträgerin des Gelbfiebervirus. Für Säugetiere, Vögel, Bienen und andere nützliche Insekten ist dieser Pilz ungefährlich. Die Sporen des Pilzes haften auf dem Außenskelett der Insekten und wachsen3 dort über einen Keimschlauch in das lebende Insekt hinein. Das Insekt stirbt innerhalb von acht Tagen und wird vom Pilz durchwachsen. Schließlich bilden sich auf der Oberfläche des toten Insekts wieder Millionen von Sporen, die auf andere Insekten übertragen werden können.

Da Metarhizium pingshaensei ziemlich langsam tötet und dafür eine relativ große Anzahl von Sporen benötigt, suchte ein Forscherteam mit Forschern aus Burkina Faso, China, Australien und den USA nach einem Weg, den Pilz effizienter zu machen. Das heißt, der Pilz soll mit weniger Sporen schneller töten [3]. Genetiker statteten den Pilz deshalb zusätzlich mit zwei Genen für Nervengifte aus, die die Erregungsleitung in Nervenzellen blockieren. Das eine Nervengift stammt aus dem Nordafrikanischen Wüstenskorpion4 (Androctonus australis), das andere aus der Australischen Blaue Berge-Trichternetzspinne (Hadronyche versuta). Das Skorpiontoxin AaIT blockiert die spannungsgesteuerten Natriumkanäle in der Nervenzellmembran, das Spinnentoxin ω/κ-hexatoxin-Hv1a die spannungsgesteuerten Kalium- und Kalziumkanäle.

Das Tolle an dem Skorpiontoxin ist, dass es mit den Pyrethroiden, das sind synthetische Insektizide die gegen Anophelesmücken eingesetzt werden, zusammenwirkt. Auch Pyrethoide blockieren den spannungsgesteuerten Natriumkanal binden aber an einer anderen Stelle als das Skorpiontoxin. Es ist sogar so, dass Mutationen in diesem Natriumkanalgen, die Resistenz gegen Pyrethroide verleihen, die Bindungsfähigkeit des Skorpiontoxins an den Natriumkanal erhöhen. Zusammen mit dem gänzlich anderen Wirkmechanismus des Spinnentoxins wird so eine Resistenzbildung in den Anophelesmücken stark vermindert.

Die Neurotoxingene stehen unter der Kontrolle eines hochspezifischen genetischen Schalters5, der nur aktiv wird, wenn sich der Pilz in der Hämolymphe, im Körperinneren, einer Stechmücke befindet. Tödlich wird der Erreger also nur in der Steckmücke – es besteht keine Gefahr, dass diese Nervengifte in Menschen oder Vögel produziert werden. Beide Neurotoxine wurden bereits von der amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA) für den Einsatz als Insektizid zugelassen.

In Tests an insektizidresistenten Anopheles gambiae und Anopheles coluzzii, in einem abgeschlossenen Forschungslabor, hat der „so bewaffnete“ transgene Pilz die Erwartungen der Forscher erfüllt: Er benötigte 1,5-mal weniger Pilzsporen um die Hälfte der Mückenpopulation zu töten als der normale Pilz (LC50). In vier Tagen war die Hälfte der Population, der mit durchschnittlich sechs Pilzsporen pro Mücke infizierten Mücken, beim transgenen Pilz gestorben, während es beim normalen Pilz mit der gleichen „Dosis“ Pilzsporen sieben Tage dauerte (LD50).

Die Infektion mit dem transgenen Pilz hatte einen weiteren negativen Effekt auf das Blutmahlzeitverhalten (und damit auch auf die mögliche Plasmodiumübertragungsrate): Benutzten die Biologen einen transgenen Pilz, der nur das Spinnentoxin produzierte, flogen, 3 Tage nach der Infektion, 37% weniger Mücken ein Meerschweinchen für eine Blutmahlzeit an als nicht infizierte Mücken. Anophelesmücken sind nachtaktiv und meiden das Licht. Die Genetiker hatten den normalen Pilz und den transgenen Pilz deshalb zusätzlich mit Genen für fluoreszierende Proteine ausgestattet, sodass die Sporen, mit Licht spezifischer Wellenlänge angestrahlt, im Dunkeln leuchten. Auf diese Weise ließen sich die mit dem Pilz infizierten Mücken leichter erkennen. Die normalen Pilzsporen leuchteten Rot, die transgenen Pilzsporen Grün.

Vektorkontrolle ist eine wichtige Strategie im Kampf gegen Malaria. Der in dem Fachartikel vorgestellte transgene Pilz hat bereits einige Kriterien der Weltgesundheitsorganisation, für die Zulassung zur Malariavektorkontrolle, erfüllt, doch weitere Experimente sind notwendig. Hoffen wir, dass diese Experimente erfolgreich sind, damit weniger Kleinkinder in Malariagebieten sterben.

Fußnoten

1. Anophelesmücken sind auf allen Kontinenten der Erde verbreitet. Sie sind zu erkennen an der speziellen Form und Gestalt ihres Rückenschilds. Es ist gleichmäßig rund und mit einer Reihe durchgehender Borsten versehen. Die Weibchen dieser Mückenart sind an ihren langen Tastern zu erkennen.

2. Anophelesmücken übertragen Plasmodien auch auf Reptilien, Vögel und Affen. Sie sind in ihren Hauptwirten jedoch wenig krankheitserregend. Die Infektionen verlaufen meist symptomlos oder gehen mit leichten Symptomen ein her (z. B. Fieber). Einige Vogelplasmodien können allerdings in nichtadäquaten Wirten schwere Erkrankungen und Todesfälle verursachen. Die Affenmalaria ist als Modellinfektion in der Forschung bedeutsam.

3. Der Pilz arbeitet dabei mit einer Kombination von mechanischem Druck und enzymatischen Prozessen: Er bildet Proteasen, Lipasen und Chitinasen, welche die Kutikula abbauen, sodass der Pilz in das Körperinnere eindringen kann.

4. Androctonus australis zählt zu den giftigsten Skorpionen überhaupt und verursacht jährlich mehrere Todesfälle. Das Gift ist ähnlich stark wie das einer Schwarzen Mamba.

5. Bei dem genetischen Schalter handelt es sich um den Mcl1-Promotor.

Weiterführende Literatur

[1] Smallegange RC, van Gemert G-J, van de Vegte-Bolmer M, Gezan S, Takken W, Sauerwein RW, et al. (2013) Malaria Infected Mosquitoes Express Enhanced Attraction to Human Odor. PLoS ONE 8(5): e63602.

[2] Koella JC, Sørensen FL, Anderson RA (1998) The malaria parasite, Plasmodium falciparum, increases the frequency of multiple feeding of its mosquito vector, Anopheles gambiae. Proc. R. Soc. B, 265 (1398), 763–768.

[3] Etienne Bilgo, Brian Lovett, Weiguo Fang, Niraj Bende, Glenn F. King, Abdoulaye Diabate, Raymond J. St. Leger. (2017) Improved efficacy of an arthropod toxin expressing fungus against insecticide-resistant malaria-vector mosquitoes. Scientific Reports 7, Article number: 3433 (2017)

Der Beitrag Transgene Pilze zur Bekämpfung der Malariamücken erschien zuerst auf Die Sankore Schriften.

Roots: Afrikanische Sklaven und ihre regionale Isotopensignatur

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1767 erwirbt der amerikanische Plantagenbesitzer John Reynolds bei einer Sklavenauktion in Annapolis, Maryland den jungen Mandingo Kunta Kinte. ”Roots“ ist die Geschichte von Kunta Kinte und seinen Nachfahren: Eine Familiensaga, die der Afroamerikaner Alex Haley, ein direkter Nachfahre Kunta Kintes, aufschrieb. Zwölf Jahre recherchierte Haley die Geschichte seiner Familie, deren Fernsehverfilmung 1976 einer der größten TV-Erfolge der USA wurde. Kinte war einer von 1,1 Millionen Afrikanern, die zwischen 16191 und 18082 in Westafrika gefangengenommen und in die USA verschleppt wurden, über deren ursprünglichen Herkunftsorte jedoch Historiker und Archäologen kaum etwas wissen.

Zum einen weil es sehr wenige Autobiografien3 von afrikanischen Sklaven (Slave Narratives) gibt, die in Afrika geboren waren und die Verschleppung und Überfahrt als Kind oder Erwachsener erlebten, zum anderen weil ein Problem der historischen Handelsdokumente zur Mittelpassage (Middle Passage), dass sie sich nur auf die Anlegestellen der Sklavenschiffe in Westafrika beziehen. Das bedeutet aber nicht, dass ein von dort aus verschiffter Sklave aus der unmittelbaren Region der Anlegestelle stammen muss. Viele Afrikaner wurden aus dem Inneren Afrikas in die Küstenregionen verschleppt.

Credit: By Africa_map_no_countries.svg: *Africa_map_blank.svg: Eric Gaba (Sting – fr:Sting) derivative work: User:Zscout370 (Return fire) derivative work: Grin20 [CC BY-SA 2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5-2.0-1.0), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons Regionen Afrikas aus denen zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert Afrikaner für den transatlantischen Sklavenhandel verschleppt wurden. Die afrikanischen Sklaven stammten aus sieben Regionen, die von über 45 verschiedenen Ethnien bewohnt wurden. Von diesen Ethnien wurden neun Ethnien am häufigsten als Sklaven nach Nordamerika, Südamerika und die Karibikinseln verkauft: Bakongo (Demokratische Republik Kongo und Angola), Mandé (Guinea), Gbe (Togo, Ghana, Benin), Akan (Ghana und Elfenbeinküste), Wolof (Senegal und Gambia), Igbo (Nigeria), Mbundu (Angola), Yoruba (Nigeria), Chamba (Kamerun).

So geschehen mit Cudjoe Kossola4 Lewis, der 1840 in Tarkar geboren wurde, einem Dorf, das einige Tagesmärsche von der Küste entfernt liegt und heute zu Benin gehört5. Lewis wurde in Tarkar gefangen genommen, in die Hafenstadt Ouidah verschleppt und auf die Clotilda gebracht. Mit 110 geschmuggelten Sklaven an Bord legte diese am 8. Juli 1860 illegal, an einem gut versteckten Landungssteg, in Mobile, Alabama an. Nach der Ankunft brachten die Seeleute die Sklaven schnell an Land und verbrannten das Schiff, damit die Polizei es nicht entdeckte. Die Clotilda war das letzte bekannte Sklavenschiff, das in den USA anlegte. Cudjoe Kossola Lewis war der letzte Überlebende der Clotilda-Sklaven. Die amerikanische Autorin Emma Langdon Roche interviewte Lewis und schrieb als erste die Lebensgeschichten von Lewis und seinen Leidensgenossen auf – von ihrer Gefangennahme in Tarkar bis zu ihrem Leben als freie Afrikaner in Africatown, Alabama.

Eine Karte, die Cudjoe Kossola Lewis für Emma Langdon Roche zeichnete. Sie zeigt den Weg seiner Gefangennahme in Tarkar und seine Verschleppung in die Küstenregion.

Die genetische Ahnenforschung der Afroamerikaner

Da es nur wenige historische Aufzeichnungen gibt, die so detailliert sind wie die von Emma Langdon Roche, beauftragen die afroamerikanischen Nachfahren der afrikanischen Sklaven Biotechnologiefirmen wie AfricanAncestry, AfricanDNA, 23andMe mit der genetischen Ahnenforschung mittels DNA. Werbeanzeigen für diese genealogischen DNA-Tests erwecken den Eindruck, dass das individuelle Testergebnis einzigartig ist und das der Test dem Kunden etwas über seine persönliche Familiengeschichte erzählen wird. Je nach DNA-Test werden die Ursprungsregion (bzw. heutiger afrikanischer Staat), die Ethnie und Haplogruppe, der Vorfahren des Kunden bestimmt.

Das Ganze funktioniert so: Die Firma schickt dem Kunden ein Testkit mit zwei Plastikröhrchen und zwei Wattestäbchen. Mit den Wattestäbchen bearbeitet er etwa eine Minute lang das Innere seiner Wange, steckt dann die Wattestäbchen, an denen jetzt Mundschleimhautzellen haften, in die Röhrchen, die er an das Unternehmen zurückschickt6. Das Unternehmen isoliert dann aus den Mundschleimhautzellen die DNA und analysiert sie. Je nach Anbieter bekommt der Kunde dann sechs bis acht Wochen später sein Analyseergebnis, was ungefähr so aussieht.

Geografische Grobzuordnung der DNA des Kunden in Prozent

Geografische Feinzuordnung der DNA des Kunden innerhalb Afrikas in Prozent

Was bedeutet z. B. Nigeria: 18 % und Senegal 1 %? Das bedeutet, 18 % der Kunden-DNA kommen von Vorfahren, deren Nachfahren in einer Region leben, die heute Nigeria ist und 1 % der Kunden-DNA kommen von Vorfahren, deren Nachfahren in einer Region leben, die heute Senegal ist. Die Firmen nehmen als Referenz die DNA von Menschen, die heute in Nigeria leben und die heute in Senegal leben. Diese Prozentwerte sind aber statistische Schätzungen. Die Firma kann nicht mit Sicherheit sagen, dass jemand 18 % nigerianisch und 1 % senegalesisch ist. Zusätzlich ist es so, dass sich diese Prozentzahlen noch ändern können, wenn die Referenzdaten, mit denen die Daten des Kunden verglichen werden, aktualisiert/geändert werden oder wenn der Algorithmus, mit dem die Prozentzahlen berechnet werden, geändert wird.

Ahnenverlust

Der Mensch erbt verschiedene Abschnitte seiner DNA von seinen Vorfahren mütterlicherseits und väterlicherseits, zudem verdoppelt sich deren Anzahl mit jeder Generation, die wir in die Vergangenheit gehen. Unsere Vorfahren der ersten Generation sind unsere zwei Eltern (21). Unsere Vorfahren der zweiten Generation sind unsere vier Großeltern (22).

Gehen wir mal bei einem heutigen Afroamerikaner vom schlimmsten Fall aus: Seine Vorfahren waren die ersten afrikanischen Sklaven, die im 17. Jahrhundert in die USA kamen: Wir gehen von 400 Jahren aus und rechnen drei Generationen pro Jahrhundert (je 33 Jahre) für männliche Linien und 3,5 Generationen pro Jahrhundert (je 29 Jahre) für weibliche Linien. Wenn wir zwölf Generationen zurückgehen, wären wir rechnerisch bei 8191 Vorfahren insgesamt und bei 4096 (212) Vorfahren der zwölften Generation. In Wirklichkeit sind es aber weniger Vorfahren. Die Ahnenforscher sprechen hier von Ahnenverlust.

Je weiter der Kunde bei den Verzweigungen des Stammbaums in die Vergangenheit zurückgeht, desto häufiger werden Personen mehrfach gezählt. Das liegt daran, dass solche Personen durch Verwandtenehen – bewusst (bei naher Verwandtschaft) oder unbewusst (bei weiterer Verwandtschaft), auf vielfache Weise die Vorfahren sind. Verwandtenehen sind umso häufiger, je kleiner die Gruppe der möglichen Heiratspartner ist.

Biologische Vorfahren und genetische Vorfahren

Die Vorfahren des Kunden haben jeweils ihre DNA-Abschnitte in die nächste Generation weitergegeben. Die DNA-Abschnitte von mehr als 99 % seiner Vorfahren sind im Laufe der Generationen aber verloren gegangen und haben es gar nicht bis in die heutige Generation geschafft. In dem Fall sprechen wir von biologischen Vorfahren. Die Vorfahren deren DNA-Abschnitte es in die heutige Generation geschafft haben machen weniger als 1 % aus und wir nennen sie genetische Vorfahren. Die genetischen Vorfahren in der mütterlichen (mitochondriale DNA) und väterlichen Linie (Y-Chromosom), die vor wenigen Hundert Jahren lebten, tragen ungefähr 0,1 % zu unserem Genom bei. Wie groß der jeweilige individuelle Beitrag des einzelnen Vorfahren zur DNA des Kunden aber ist (z. B. gemessen in Anzahl der Basenpaare), lässt sich nicht genau bestimmen, da uns die DNA dieses Vorfahren nicht vorliegt und wir sie nicht sequenzieren können.

Zusätzlich wird die genealogisch/geografische DNA-Analyse dadurch erschwert, dass manche Ethnien im Laufe ihre Geschichte nicht an einem Ort blieben, sondern gewandert sind. In welchen Regionen Westafrikas lebten diese Ethnien zurzeit des transatlantischen Sklavenhandels? In Westafrika haben sich in den letzten 400 Jahren stetig Populationen vermischt. Das genetische Profil einer afrikanischen Ethnie von heute muss nicht zwangsläufig mit dem dieser Ethnie vor 400 Jahren übereinstimmen. Seit dieser Zeit sind einfach sehr viele DNA-Sequenzen ausgetauscht worden, sodass es zwangsläufig binnen weniger Generationen zu Verschiebungen in dem für die Populationsgenetik wichtigen DNA-Abschnitten gekommen ist. Manche Ethnien von damals existieren heute vielleicht nicht mehr. Für gesicherte Aussagen bedarf es daher Datenbanken, die auch die genetischen Populationsprofile aus der Zeit des 16. – 19. Jahrhunderts enthalten.

Zusammenfassend würde ich sagen, dass diese DNA-Tests dem afroamerikanischen Kunden nicht sagen können, wo genau in Westafrika seine vielen Vorfahren der 12. Generation vor 400 Jahren jeweils lebten. Sie können aber grob sagen, wie groß sein genetischer Verwandtschaftsgrad mit Menschen ist, die heute z. B. in Nigeria oder Senegal leben.

Who Am I? ‘The Real’ DNA Results

Archäogenetik und kulturelle Zahnfeilungen

Der Archäologe Hannes Schroeder vom Naturhistorischen Museum der Universität Kopenhagen und der Genetiker Carlos D. Bustamante von der Universität Stanford haben mittels DNA-Analyse7 herausgefunden, dass drei afrikanische Sklaven, die zwischen 1660 und 1688 zusammen auf der Karibikinsel Saint Martin bestattet wurden, mit heutigen westafrikanischen Ethnien verwandt sind. [1]. Die zwei Männer und eine Frau, The Zoutsteeg Three, waren im Alter von 25 bis 40 Jahren gestorben und ihre Überreste 2010, im Rahmen von Bauarbeiten in Philipsburg, geborgen worden. Die Schneidezähne der drei Skelette zeigten kulturelle Zahnfeilungen, die typisch für westafrikanische Ethnien sind.

Die Wissenschaftler isolierten daher die extrem schlecht erhaltene DNA aus den Zahnwurzeln, sequenzierten die DNA8 und verglichen die Sequenzen mit DNA-Sequenzen aus Datenbanken zu elf westafrikanischen Ethnien. Die Forscher fanden heraus, dass einer der Männer von Bantu sprechenden Gruppen abstammt, die heute im Norden von Kamerun leben. Der andere Mann und die Frau sind mit nicht Bantu sprechenden Gruppen verwandt, die heute in Nigeria und Ghana leben.

Die Strontiumisotopenanalyse des Zahnschmelzs

Vor der Isolation der DNA aus den Zahnwurzeln hatte Schroeder am Zahnschmelz eine Strontiumisotopenanalyse durchgeführt, um herauszufinden, ob die Sklaven auf Saint Martin oder in Westafrika [2] geboren waren.

Aufbau eines menschlichen Zahns

Die Strontiumisotopenanalyse ist ein Teil der Stabilisotopenanalyse9. Die Stabilisotopenanalyse untersucht die Atome der „leichten“ Bioelemente wie Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Sauerstoff (O) und Schwefel (S) sowie der „schweren“ Geoelemente Strontium (Sr) und Blei (Pb), die in der Natur als unterschiedliche Atomarten, die Isotope, vorkommen. Isotope eines Elements haben in ihren Atomen gleiche Protonen-, aber unterschiedliche Neutronenzahlen. Sie unterscheiden sich daher in ihrer Masse, verhalten sich aber chemisch fast gleich. Die stabilen Isotope (Stabilisotope) sind die Isotope eines chemischen Elements, die nicht radioaktiv sind, also nicht zerfallen, sondern dauerhaft erhalten bleiben. Das Mengenverhältnis der Isotope eines Elements ist regional unterschiedlich und stellt so was wie einen geochemischen Fingerabdruck dar.

Das Isotopenverhältnis des Erdalkalimetalls Strontium, das in Boden bzw. Gestein vorkommt, ist hauptsächlich abhängig von der mineralischen Zusammensetzung und dem Alter des Gesteins. Da die verschiedenen Gesteine in Alter und Chemie unterschiedlich sind, sind die Isotopenverhältnisse in den Gesteinen und den darauf entstehenden Böden ebenfalls unterschiedlich. Für die Isotopenverhältnisse des Strontiums gilt, dass in alten geologischen Formationen, z. B. der böhmischen Masse, ein wesentlich höheres Isotopenverhältnis vorliegt als in Gebirgen oder Ablagerungen jüngeren Datums, z. B. den Alpen. Für die Strontiumisotopenanalyse wird das Mengenverhältnis der Strontiumisotope 86Sr und 87Sr verwendet (87Sr/86Sr).

Pflanzen nehmen mit ihren Wurzeln das Strontium aus dem Boden als Mineral auf und speichern es in ihren Zellen. Der Mensch nimmt es beim Essen pflanzlicher Nahrung in seinen Körper auf und baut es in Zähne und Knochen ein.

Zahnschmelz wird – im Gegensatz zu Knochen – nach seiner Bildung nicht mehr erneuert und speichert das regionale Strontiumisotopenverhältnis zur Zeit seines Wachstums. Da der Zahnschmelz bis zum vierten Lebensjahr fertig ausgebildet ist, ist das Strontium darin besonders gut geeignet zu bestimmen, wo ein Mensch seine frühe Kindheit verbrachte. Da die Schmelzbildung je Zahn schichtweise innerhalb von circa ein bis eineinhalb Jahren erfolgt und sich Zahnbildung und -durchbruch der verschiedenen Zähne über Jahre erstrecken, können durch die Analyse von Zahnschmelzproben von verschiedenen Positionen je Zahn und zwei bis drei Zähnen je Individuum die Veränderungen der Isotopenverhältnisse über mehrere Jahre verfolgt werden10. Es ist so möglich zu sagen, dass z. B. ein Mensch im Rheinland aufgewachsen ist und mit 14 Jahren in den Stuttgarter Raum zog.

Credit: By Kaligula [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons International benutzen Zahnmediziner das Zahnschema der Fédération Dentaire Internationale (FDI). Die Abbildung zeigt das Zahnschema für das Bleibende Gebiss: 11-18 oben rechts, 21-28 oben links, 31-38 unten links, 41-48 unten rechts, Prämolaren (Vormahlzähne) Molaren (Mahlzähne)

Die Strontiumisotopenverhältnisse des Zahnschmelzes ließen sich nicht mit einer Geburt in Saint Martin vereinbaren aber mit einer in Westafrika. Leider gelang es den Forschern nicht mit der Strontiumisotopenanalyse und den kulturellen Zahnfeilungen die westafrikanischen Herkunftsregionen der Sklaven genauer einzugrenzen. Sie griffen deshalb zur vorher beschriebenen genealogischen DNA-Analyse.

Mobility and Migration Strontium Isotopes

Die Wissenschaftler hätten zusätzlich die Isotopenverhältnisse von Kohlenstoff und Sauerstoff im Zahnschmelz analysieren können11. Am Verhältnis der Kohlenstoffisotope lässt sich ablesen, ob ein Mensch hauptsächlich C3-Pflanzen wie z.B. Weizen, Roggen, Hafer, Gerste, die meisten Gemüse- und Obstarten oder C4-Pflanzen wie z.B. Mais oder Zuckerrohr aß. Wenn man weiß, wo damals in Westafrika diese Pflanzen angebaut wurden, ist man einen Schritt weiter den Herkunftsort einzugrenzen.

Das Verhältnis der Sauerstoffisotope zeigt die Herkunft des Wassers in der Nahrung. Dieses Verhältnis ist abhängig von der mittleren Lufttemperatur und Entfernung der Wassereinzugsgebiete vom Meer, der topografischen Höhenlage, der geografischen Breite und der Niederschlagshäufigkeit. Am Kollagen aus dem Zahnbein (Dentin) können die Archäologen das Isotopenverhältnis von Schwefel bestimmen. Das Verhältnis der Schwefelisotope zeigt die Nähe zum Meer und gibt Hinweise auf den geologischen Untergrund.

Ich würde mich freuen, wenn Geochemiker eine auf Strontiumisotopenanalyse basierende Herkunftslandkarte Westafrikas erstellen würden. Das würde den Archäologen die regionale Einordnung ähnlicher Funde in Zukunft erleichtern.

Fußnoten

1. 20. August 1619 Auf einem niederländischen Schiff erreichen die ersten afrikanischen Sklaven Jamestown, Virginia.

2. Am 1. Januar 1808 trat ein Bundesgesetz in Kraft, mit dem der transatlantische Sklavenhandel verboten wurde. Illegal ging der transatlantische Sklavenhandel aber bis mindestens 1860 weiter. Am 31. Januar 1865 wurde der 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten vom Kongress verabschiedet. Mit dem am 18. Dezember 1865 ratifizierten 13. Zusatzartikel wurde die Sklaverei auf dem gesamten Gebiet der USA endgültig abgeschafft. Mississippi ratifizierte erst 1995 den 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Durch einen Verfahrensfehler trat dieser erst 2013 in Kraft. Somit wurde formal die Sklaverei 148 Jahre später als in den restlichen USA abgeschafft. Rechtliche Bedeutung hatte die späte Ratifizierung jedoch nicht, da ein Zusatzartikel zur Verfassung lediglich von drei Viertel aller Bundesstaaten unterzeichnet werden muss, um in Kraft zu treten.

3. Eine der wenigen Ausnahmen ist die Autobiografie von Olaudah Equiano (1745-1797). Sie ist auf Deutsch erhältlich: Olaudah Equiano: Merkwürdige Lebensgeschichte des Sklaven Olaudah Equiano. ISBN 3-458-16073-6.

4. Die Amerikaner haben diesen Namen später falsch als Kazoola übertragen.

5. Es ist fraglich, ob das Dorf heute noch existiert.

6. Alternativ sendet der Kunde ein bestimmtes Volumen seines Speichels ein.

7. Da die DNA in einem schlechten Zustand war mussten die Forscher für ihre vergleichende DNA-Analyse eine spezielle, von Bustamante entwickelte, Methode benutzen. Die kommerziellen Biotechnologie-Firmen benutzen diese Methode nicht.

8. Die DNA-Stränge, die sequenziert wurden, waren je 67 bp lang.

9. Die wichtigste Methode zur Bestimmung der Isotopenverhältnisse der Bioelemente in organischen Verbindungen ist die Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie (isotope ratio mass spectrometry = IRMS), mittlerweile mit der Möglichkeit einer simultanen Messung der C-, H-, N- und S-Isotopenverhältnisse. Der Materialbedarf für die Isotopenanalyse der Bioelemente liegt bei etwa 20 mg/Probe, für die Isotopenanalyse der Geoelemente werden zusätzlich 50–100 mg benötigt.

10. Am besten eignen sich für die Stabilisotopenanalyse ein Schneidezahn (21 oder 22 im FDI-Schema) und ein Mahlzahn (26, 27 oder 28 im FDI-Schema).

11. Bei der Laser Ablation Multicollector Inductively Coupled Plasma Mass Spectrometry (LA-MICP-MS), einer neuen Methode der Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie werden kleinste Mengen an biologischem Material mit einem Laser abgetragen, der nur winzige Spuren auf der Zahnschmelzoberfläche hinterlässt.

Weiterführende Literatur

[1] Schroeder H, Ávila-Arcos MC, Malaspinas AS, Poznik GD, Sandoval-Velasco M, Carpenter ML, Moreno-Mayar JV, Sikora M, Johnson PL, Allentoft ME, Samaniego JA, Haviser JB, Dee MW, Stafford TW Jr, Salas A, Orlando L, Willerslev E, Bustamante CD, Gilbert MT. (2015) Genome-wide ancestry of 17th-century enslaved Africans from the Caribbean. Proc Natl Acad Sci U S A, 112(12), 3669-3673. doi:10.1073/pnas.1421784112.

[2] H Schroeder, JB Haviser, TD Price (2014) The Zoutsteeg Three: Three New Cases of African Types of Dental Modification from Saint Martin, Dutch Caribbean. Int. J. Osteoarchaeol., 24, 688–696.

Sylviane Diouf. – Dreams of Africa in Alabama: The Slave Ship Clotilda and the Story of the Last Africans Brought to America

Der gestrichene Absatz der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung

The Trans-Atlantic Slave Trade Database

Die DNA-Weltkarte

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Schulz und die Kanzlerfrage: Inferenzstatistik im Datenjournalismus

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Die Wahlkampfzeit ist auch die Zeit der Daten und ihrer Visualisierung in den Medien. Diese Visualisierung soll beim wahlberechtigten Bürger das Verständnis für Zusammenhänge fördern, hat aber öfters den negativen Nebeneffekt, dass sie den Eindruck erweckt, dass die Interpretation dieser Daten kinderleicht ist. Wer sich im Studium mit Inferenzstatistik befassen musste, weiß es besser. Inferenzstatistik trifft Wahrscheinlichkeitsaussagen über eine Grundgesamtheit. Wir haben dabei Daten aus einer Stichprobe vorliegen, möchten anhand dieser jedoch Aussagen über die Grundgesamtheit treffen. Um diese Aussagen machen zu können, muss der Studierende die Annahmen und Bedingungen kennen, die erfüllt werden müssen, damit bestimmte statistische Verfahren angewandt werden können.

Binomialverteilungen für verschiedene p und n

Wahlkampfstatistik ist Inferenzstatistik, die anhand von Stichproben Aussagen über die Grundgesamtheit der Wahlberechtigten macht. Eine der wichtigsten Aussagen ist die über den künftigen Kanzler/die künftige Kanzlerin.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat einen beispiellosen Absturz in der Wählergunst hinter sich: Im Februar erreichte er in der Kanzlerfrage1 des Instituts Infratest dimap mit 50 %  einen Höchstwert und lag 16 Punkte vor Kanzlerin Angela Merkel (34 %). Ende August ist der Wert von Schulz auf 26 % abgesunken (Merkel 49 %). Das ist eine statistisch signifikante Veränderung, die so groß ist, das auch ein Laie sie ohne ein besonderes mathematisches Verfahren feststellen kann. Der Datenjournalist aber muss sich generell fragen, ab wann eine Änderung statistisch signifikant ist und welches Signifikanzniveau sinnvoll ist.

Kann er z. B. mit 95 % (das bedeutet eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %) annehmen, dass sich der Umfragewert von Schulz vom Februar 2017 geändert hat?

Diese Frage lässt sich mittels Inferenzstatistik in acht Schritten beantworten.

1. Erwartungswert festlegen: p0 = 50 % (500 Befragte im Februar 2017)

2. Hypothesenformulierung

Nullhypothese H0: Der Umfragewert für Schulz beträgt unverändert 50 %. (p0 = 50 % = 0,50)
Alternativhypothese H1: Der Umfragewert hat sich verändert. p1≠ 0,50

3. Zahl der Befragten (Stichprobenumfang) bestimmen: n = 10002

4. Irrtumswahrscheinlichkeit festlegen: α= 5 % = 0,05

5. X bestimmen: Zahl der Personen in der Stichprobe vom Umfang 1000, welche Schulz als Kanzler wählen würden.

6. Annahmen festlegen: X ist binomialverteilt mit p = 0,50 (falls die Nullhypothese richtig ist).

7. Zweiseitigen Signifikanztest durchführen:

Bei diesem Signifikanztest kann eine Abweichung vom Erwartungswert p0 in beide Richtungen erfolgen. Abweichungen vom Erwartungswert nach rechts oder links haben bei einer Binomialverteilung die gleiche Wahrscheinlichkeit.

Wird ein zweiseitiger Signifikanztest durchgeführt, so ist die vorgegebene Irrtumswahrscheinlichkeit zu halbieren, um auf beiden Seiten des Erwartungswerts einen Ablehnungsbereich mit derselben Irrtumswahrscheinlichkeit festlegen zu können. Dabei ist bl die größte Zahl des Ablehnungsbereichs bei einer Unterschreitung des Erwartungswerts und br die kleinste Zahl des Ablehnungsbereichs bei einer Überschreitung des Erwartungswerts.

a) Die linke Grenze – nicht weniger als bl Wähler dürfen für Schulz stimmen um die Nullhypothese beizubehalten.
5 % : 2 = 2,5 % = 0,025
p(Xbl) ≤ 0,025

Aus der Tabelle der kumulierten Binomialverteilung kann entnommen werden (n = 1000, p = 0,50).
Für X = 468; p(X ≤ 468) = 0,0231

Folglich ist 468 (46,8 %) die größte Zahl des Ablehnungsbereichs (bl).

b) Die rechte Grenze – nicht mehr als br Wähler dürfen für Schulz stimmen um die Nullhypothese beizubehalten.
p(Xbr) ≤ 0,025
p(Xbr -1) ≥ 0,975

Aus der Tabelle der kumulierten Binomialverteilung kann entnommen werden (n = 1000, p = 0,50).
Für X = 531; p(X ≤ 531) = 0,9769

Folglich ist 531 (53,1 %) die kleinste Zahl des Ablehnungsbereichs (br)

8. Entscheidungsregel bestimmen

Als Entscheidungsregel ergibt sich, dass die Nullhypothese genau dann beibehalten wird, wenn X im Bereich [bl;br] liegt. Damit ist die Entscheidungsregel: Für 468<X<531 = 46,8 %<X<53,1 %

Bezogen auf den Umfragewert von Schulz von Februar 2017 wird bei der Kanzlerfrage die Nullhypothese abgelehnt, wenn die nachfolgenden Umfragewerte unter 46,8 % oder über 53,1 % liegen (unter den Annahmen und Bedingungen unseres Testverfahrens).

Fußnoten

1. Frage: Wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte: für wen würden Sie sich entscheiden, für Angela Merkel oder Martin Schulz?

Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren, Angaben in Prozent
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl/ Dual Frame
(Relation Festnetz-/Mobilfunknummern 70:30)
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews (CATI)
Fallzahl: 1006 Befragte
Erhebungszeitraum: 30. bis 31. Januar 2017
Durchführendes Institut: Infratest dimap

2. Zur Vereinfachung habe ich mit einem Stichprobenumfang von 1000 gerechnet.

 

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Die Bundestagswahl: Eine mathematische Baustelle

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Im Bundestag schlage das “Herz der Demokratie”, so Bundestagspräsident Norbert Lammert. Deshalb sollte die Bundestagswahl für jeden Demokraten eine Herzens- und keine Schmerzensangelegenheit sein. Schmerzensangelegenheit, weil einem die Sitzverteilung Kopfschmerzen bereiten kann.

Wie sich der Wählerwille bei der Bundestagswahl in Mandate umsetzt, welche Mehrheitsverhältnisse sich im Bundestag ergeben und welche Parteien letztlich das Land regieren, entscheidet das Bundeswahlgesetz. Ein Wahlgesetz, das in der Bevölkerung auf eine breite Akzeptanz stößt, verschafft der Demokratie und der Regierung somit ihre Legitimation.

Überhangmandate verzerren die Verhältniswahl

Die idealerweise 598 Abgeordneten des Bundestags werden durch die personalisierte Verhältniswahl gewählt: Personenwahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl und Parteienwahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Mit der Erststimme wählt der Wähler einen Direktkandidaten seines Wahlkreises, mit der Zweitstimme1 die Landesliste einer Partei. Um die Zweitstimmen geht es in den Hochrechnungen am Wahlabend. Anders als ihr Name vermuten lässt, ist die Zweitstimme, die wichtigere von beiden Stimmen: Denn sie entscheidet, wie viele der insgesamt 598 Sitze einer Partei zustehen. Gewinnt eine Partei z. B. 32 % der Stimmen, stehen ihr im Prinzip mindestens 32 % der Sitze zu. Im Prinzip – denn die Realität sieht anders aus: Dieses Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahl hat in der Vergangenheit zu Problemen mit der Sitzverteilung und dem Stimmgewicht geführt.

Wenn in einem Bundesland mehr Direktkandidaten gewählt wurden, als einer Partei nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden, dann bekam sie zusätzliche Mandate sogenannte Überhangmandate. Dadurch kamen mehr Abgeordnete in den Bundestag als die vorgesehenen 598. Die Überhangmandate führten dazu, dass der Wählerwille nicht mehr 1:1 in Mandate übersetzt wurde. Bei der Bundestagswahl 2009 z. B. erhielten die Unionsparteien CDU/CSU zusammen 24 Überhangmandate. Bei einem sehr knappen Wahlausgang hätte es also passieren können, dass nicht die Zahl der Zweitstimmen über die Mehrheitsverhältnisse entscheidet, sondern die Überhangmandate. Eine knappe Wahlniederlage hätte sich bei der Vergabe der Sitze in einen Wahlsieg verwandeln können. Das Wahlergebnis wäre auf den Kopf gestellt worden. Noch 1997 erklärte das Bundesverfassungsgericht Überhangmandate aber für verfassungskonform2 und einige Parteien wollen auf Überhangmandate nicht verzichten. 2011 schlugen Die Grünen und Die Linke vor die Überhangmandate einer Partei in einem Bundesland mit Abzug von Listenmandaten dieser Partei in einem anderen Bundesland zu neutralisieren. Diese Länder wären damit insgesamt unterrepräsentiert. Laut dem Politikwissenschaftler Joachim Behnke von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen träfe es vor allem Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Das negative Stimmgewicht ist verfassungswidrig

In manchen Fällen bekam eine Partei mehr Sitze im Bundestag, wenn sie weniger Zweitstimmen in einzelnen Bundesländern hatte. Dieses Phänomen nennen die Politikwissenschaftler negatives Stimmgewicht. Wenn ein Bürger mit seiner Zweitstimme eine bestimmte Partei wählte, konnte das also sogar schlecht für diese Partei sein. Am 3.7.2008 beurteilte das Bundesverfassungsgericht deshalb das negative Stimmgewicht als verfassungswidrig und forderte den Bundestag auf das Bundeswahlgesetz entsprechend zu ändern.

Credit: CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=551670

Die erste Änderung, 2011, schlug fehl, daher beauftragte der Bundestag 2012 den Stochastiker Friedrich Pukelsheim von der Universität Augsburg das Wahlverfahren zu korrigieren: Es sollte kein negatives Stimmgewicht mehr auftreten und Überhangmandate sollten ausgeglichen werden. Nach diesen Korrekturmaßnahmen sollte die Sitzverteilung im Bundesstag das prozentuale Zweitstimmenergebnis der Wahl wiedergeben.

Pukelsheim dachte sich eine neue Methode aus, bei der die Wählerstimmen in zwei Verteilungsstufen mit je zwei Rechenschritten3 in Mandate umgerechnet werden: In der ersten Verteilungsstufe werden die Sitze wie gewohnt nach dem Zweitstimmenergebnis verteilt zusätzlich erhalten alle Direktkandidaten, die ihren Wahlkreis gewonnen haben, einen Sitz. Treten nun Überhangmandate auf, folgt die zweite Verteilungsstufe: Nun wird die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag so lange erhöht, bis alle Überhangmandate auf Listenplätze der Partei anrechenbar sind (Oberverteilung). Die anderen Parteien erhalten im Gegenzug, abhängig vom ihrem Wahlergebnis, Ausgleichsmandate (Unterverteilung).

Eine geringe Zahl von Überhangmandaten kann zu einer hohen Zahl an Ausgleichsmandaten führen. Bei der Wahl 2013 hatte es vier Überhangmandate und 29 Ausgleichsmandate gegeben. Besonders problematisch ist für den Bundestag die CSU. Da sie nur in Bayern antritt, der Ausgleich aber bundesweit erfolgt, hat jedes Überhangmandat der CSU eine besonders große Ausgleichswirkung.

Kleine Partei große Wirkung.

Scheidet während der Legislaturperiode ein Abgeordneter des Bundestags aus, so wird sein Sitz im jeden Fall nachbesetzt unabhängig davon, ob es sich um ein Direktmandat, ein Listenmandat oder ein Ausgleichsmandat handelt. Es rückt ein Listenkandidat der Partei aus dem jeweiligen Bundesland nach.

Die Zahl der Bundestagsabgeordneten wächst

Pukelheims Methode4 hat ihren Preis: weil die Überhangmandate ausgeglichen werden, wird der Bundestag noch größer. Kritiker, wie Der Bund der Steuerzahler, sagen: zu groß. Mehr Abgeordnete – das sei teuer und ineffizient. Derzeit sitzen 630 Abgeordnete im Bundestag, theoretisch könnten es 800 sein. Am 21.8.17 prognostizierte election.de für den nächsten Bundestag eine Größe von 649 Sitzen. Lammert sprach deshalb im Frühjahr 2016 mit den Fraktionsvorsitzenden über mögliche Lösungen für das Größeproblem. Leider blieben Lammerts Gespräche ohne Ergebnis. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht den Bundestagsabgeordneten schon 2008 den entsprechenden Gestaltungsspielraum gegeben: Ausdrücklich schrieben die Richter damals in ihr Urteil zum negativen Stimmgewicht, der Gesetzgeber dürfe “das Verfahren der Wahl zum Deutschen Bundestag als Mehrheitswahl oder als Verhältniswahl gestalten”. Er dürfe auch beide Wahlsysteme miteinander verbinden, “indem er eine Wahl des Deutschen Bundestages hälftig nach dem Mehrheits- und hälftig nach dem Verhältniswahlprinzip zulässt (Grabensystem)”.

Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg.

Grundsätzlich gehen die Überlegungen in zwei Richtungen 1. die Zahl der Mandate zu deckeln oder 2. die Zahl der Wahlkreise zu verringern. Die erste Lösung wäre vermutlich verfassungsrechtlich schwer durchzusetzen, die zweite Lösung benötigt einen Neuzuschnitt der Wahlkreise.

Die Abgrenzung der Wahlkreise wird durch eine Anlage zum Bundeswahlgesetz festgelegt. Danach muss die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil so weit wie möglich entsprechen. Die deutsche Bevölkerung (unabhängig von ihrem Alter), die in einem Wahlkreis lebt, sollte also in jedem Wahlkreis gleich groß sein. Deswegen gibt es die Vorschrift, dass die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises nicht mehr als 15 % nach oben oder unten von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise abweichen soll. Beträgt die Abweichung mehr als 25 %, ist eine Neuabgrenzung vorzunehmen.

Bei der Neuabgrenzung sollen die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte nach Möglichkeit eingehalten werden. Für die Bundestagswahl 2017 hat der Gesetzgeber auf der Grundlage des Gebietsstandes vom 29. Februar 2016 gegenüber der bisherigen Wahlkreiseinteilung insgesamt 34 Wahlkreise (von insgesamt 299) neu abgegrenzt.

Gerrymandering bei der Erststimme verhindern (und damit mögliche Überhangmandate)

Politische Parteien versuchen bei dieser Grenzziehung oft Gerrymandering, um Wahlkreise mit einer unverhältnismäßig großen Anzahl von Parteianhängern zu schaffen (Strategie der Hochburgbildung). Dem muss die staatliche Verwaltung entgegen wirken – aber wie? Hier kommen die Mathematiker Peter Gritzmann und Fabian Klemm von der Technischen Universität München (Lehrstuhl Angewandte Geometrie und Diskrete Mathematik) und Andreas Brieden von der Universität der Bundeswehr München (Lehrstuhl Statistik) ins Spiel: In ihrem Fachartikel im European Journal of Operational Research [1] beschreiben sie eine effektive und neutrale Methode um Wahlkreise zu schaffen, in denen die deutsche Bevölkerung etwa gleich groß ist (Abweichungen von 0,3 bis 8,7 Prozent von der durchschnittlichen Größe der Wahlkreise). Dieses Ziel erreichen sie in einer “minimal-invasiven” Weise, die keinen Wähler nötigt, den Wahlkreis zu wechseln. “Unser Prozess kommt der theoretischen Grenze in jedem Staat nahe, und wir enden weit unter der 15-prozentigen Abweichung, die gesetzlich zulässig ist”, sagt Gritzmann.

Das ist doch mal ein Fortschritt!

Wählerverhalten und Sitzverteilung

Interessant fand ich folgende Analyse von election.de (10.9.17):

“So neigen die Anhänger von Union und SPD dazu, ihre beiden Stimmen in gleicher Weise abzugeben. Nur jeweils fünf Prozent dieser Wähler bevorzugen die Kandidatin oder den Kandidaten der jeweils anderen Seite. Besonders stark profitieren beide von der Erkenntnis, dass die Direktkandidaturen der kleineren Parteien nur wenig Aussicht auf Erfolg haben. Daher erhalten sie zusätzliche Erststimmen aus dem jeweils nahestehenden Lager. Die SPD konnte zur rot-grünen Regierungszeit bis zu 60 Prozent der Erststimmen von Zweitstimmen-Wählern der GRÜNEN verbuchen, während zuletzt bei 63 Prozent der FDP-Zweitstimmenwähler die Erststimme an CDU oder CSU ging. Eine wichtige Rolle spielen programmatische oder gefühlte Koalitions-Präferenzen. So werden in der Regierungszeit schwarz-roter Koalitionen die kleinen Parteien wieder eigenständiger wahrgenommen mit der Konsequenz, dass häufig auch die Erststimme ebenfalls an diese Partei geht. Beides gilt ohnehin für DIE LINKE und die AfD, deren Anhänger nur wenig zum Stimmensplitting neigen.”

Fußnoten

1. Allerdings zählen die Zweitstimmen einer Partei nur, wenn sie mindestens 5 % aller Zweitstimmen oder aber drei Wahlkreise direkt über die Erststimmen gewonnen hat. Bei den Wahlen vom 11. bis zum 16. Deutschen Bundestag von 1987 bis 2005 wurde die Sitzzuteilung nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren (Quotenverfahren mit Restausgleich nach größten Bruchteilen) vorgenommen. Der 16. Deutsche Bundestag beschloss am 24. Januar 2008, im Bundeswahlgesetz das Hare/Niemeyer-Verfahren durch das Sainte-Laguë/Schepers -Verfahren (Divisorverfahren mit Standardrundung) zu ersetzen, weil es als gerechter beurteilt wurde. Diese Änderung trat am 21. März 2008 in Kraft und kam erstmals bei der 17. Bundestagswahl am 27. September 2009 zur Anwendung.

2. 2012 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Überhangmandate nur in einem begrenzten Umfang zulässig sind, weil sie das Ergebnis der Verhältniswahl verzerren.

3. Allen vier Rechenschritten liegt das Sainte-Laguë/Schepers -Verfahren zugrunde.

4. Durch die 22. Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 3. Mai 2013 wurde Pukelheims Methode offiziell zur Berechnung der Sitzverteilung im Bundestag eingeführt.

Weiterführende Literatur

1. Andreas Brieden, Peter Gritzmann, Fabian Klemm. (2017) Constrained clustering via diagrams: A unified theory and its application to electoral district design. European Journal of Operational Research, 263 (1): 18 DOI: 10.1016/j.ejor.2017.04.018

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Die großen Fragen: Wie entstand in der Evolution das menschliche Bewusstsein?

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Wir sehen, hören und fühlen dreidimensional und können uns dreidimensionale Objekte vorstellen. Warum können wir die Welt in dieser Art und Weise erkennen? Die Evolutionäre Erkenntnistheorie beantwortet diese Frage: Sie behauptet, dass Denken und Erkennen Leistungen des menschlichen Gehirns sind und dieses Gehirn ein Ergebnis evolutionärer Prozesse ist: Wir wissen das, weil wir die gesamte Stammesgeschichte des Gehirns rekonstruieren können, beispielsweise die Entstehung der Großhirnrinde (Kortex). Kognitive Strukturen wie die Großhirnrinde haben sich stammesgeschichtlich in Anpassung an die Umwelt entwickelt und befähigen das Individuum sich erfolgreich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen (meistens jedenfalls).

Der Biologe George Gaylord Simpson (1902-1984) formulierte es überspitzt einmal so:

Der Affe, der keine realistische Wahrnehmung von dem Ast hatte, nach dem er sprang, war bald ein toter Affe – und gehört daher nicht zu unseren Urahnen.“

Im Hinblick auf seine kognitiven Fähigkeiten ist der heutige Homo sapiens seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen, weit überlegen. Diese Fähigkeiten entstanden nach dem die letzte gemeinsame Vorfahrenpopulation der Schimpansen und Menschen sich aufspaltete, also vor fünf bis sieben Millionen Jahren. Offenbar wirkte auf der Ausbildung dieses Erkenntnisvermögens ein starker Selektionsdruck.

Während der Individualentwicklung des Gehirns werden die anfänglich zufälligen Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen durch ihren Gebrauch verstärkt (positive Selektion). Überschüssige Nervenzellen werden durch programmierten Zelltod (Apoptose) entfernt (negative Selektion). Der Nobelpreisträger Gerald M. Edelman (1929-2014) geht in seiner Theorie des Neuralen Darwinismus davon aus, dass die Basiseinheit dieser Selektion nicht ein einzelnes Neuron ist, sondern Gruppen von fünfzig bis tausend miteinander verschalteten Neuronen.

Das zelluläre Substrat der Kognition besteht aus Millionen von Neuronengruppen, die zu Karten organisiert sind. Diese Karten können jeweils spezifischen elementaren Kategorien unserer selektiven Wahrnehmung zugeordnet werden. Einige Karten befinden sich in anatomisch festgelegten, vorherbestimmten Bereichen der Großhirnrinde, wie beispielsweise im Fall der Farbe: Farbe wird in der Sehrinde durch die Synchronisation von Tausenden neuronaler Gruppen in dem sogenannten Areal V4 konstruiert. Andere Bereiche des Kortex sind formbare, pluripotente „Liegenschaften“, die (innerhalb gewisser Grenzen) auch eine andere Funktion erfüllen können. So kann die Hirnregion, die bei hörenden Menschen die Hörrinde ist, bei gehörlosen Menschen für das Sehen genutzt werden.

Der Neurale Darwinismus ist eine Theorie der neuronalen Gruppenselektion: Während wir umhergehen, nehmen unsere Sinnesorgane Stichproben der Umwelt auf, anhand derer im Gehirn Karten erzeugt werden. Durch unsere Erfahrung werden jene Karten selektiv gestärkt, die erfolgreichen Wahrnehmungen entsprechen – erfolgreich deshalb, weil sie sich bei der Konstruktion von „Wirklichkeit“ als die nützlichsten und vorteilhaftesten erwiesen haben.

Der Neurale Darwinismus erklärt Abstraktionsfähigkeit und Bewusstsein durch die Synchronisation neuronaler Karten im menschlichen Gehirn. Sie wird ermöglich durch die sogenannte reentrante Signalübertragung, die reziproke und parallele Vernetzung der Signalwege neuronaler Karten. Danach beruht die Wahrnehmung eines Vogels beispielsweise zunächst auf der Synchronisation aktivierter Neuronengruppen zu einer Karte, dann auf der weiteren Synchronisation einer Anzahl von Karten, die über den visuellen Kortex verstreut sind. Karten, die auf verschiedene Wahrnehmungsaspekte des Vogels spezialisiert sind (seine Größe, sein Zwitschern, seine Farbe, seine Flügel). Auf diese Weise entsteht ein vielfältiges flexibles Wahrnehmungsobjekt, der „Vogel“, das uns ermöglicht, eine ungeheure Formenvielfalt von Vögeln sofort als Vögel zu erkennen.

Credit: By Bkroeger (Own work) [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons Hirnregionen von neuronalen Karten des ACT-Modells (neurocomputatives Modell der Sprachverarbeitung)

Edelman, der ursprünglich Konzertviolinist werden wollte, sagte in einem BBC-Radiointerview:

„Stellen Sie sich vor, Sie hätten 100 000 Kabel, die die vier Mitglieder eines Streichquartetts zufällig miteinander verbinden, und dass zwischen ihnen, obwohl sie kein Wort sprechen. auf unendlich vielen verborgenen Wegen ständig Signale ausgetauscht würden [wie das zwischen solchen Musikern gewöhnlich durch unmerkliche nonverbale Interaktionen geschieht], das würde die ganze Menge der Töne zu einem einheitlichen Ganzen zusammenschließen. So arbeiten die Karten des Gehirns mittels der reentranten Signalübertragung.“

Edelman glaubte, dass irgendwann in den letzten sieben Millionen Jahren die Entwicklung eines „Bewusstseins höherer Ordnung“ beim Menschen durch reentrante Signalübertragung auf höherer Ebene ermöglicht wurde. Er begriff seine Theorie, die er vor 30 Jahren erstmals veröffentlichte, als eine Vollendung von Darwins Evolutionstheorie: indem er die Selektion auf zellulärer Ebene innerhalb der Lebensspanne eines Menschen zur natürlichen Selektion auf Ebene der Population während vieler Generationen hinzufügte.

Das war ein radikaler und kühner Entwurf, der seinerzeit in der Fachwelt nicht die Aufmerksamkeit bekam, die ihm gebührte. Das lag vor allem daran, das Neural Darwinism eine sehr abstrakte und schwierig zu lesende Abhandlung war. Edelmans Buch war graue Theorie. Darwin hingegen hatte The Origin of Species durch unzählige Beispiele für die natürliche und künstliche Selektion aufgelockert und veranschaulicht.

Weiterführende Literatur

Plato und die Papageien: Zur Naturgeschichte des Geistes

Ist das menschliche Gehirn ein Quantencomputer?

Edelman, G.M.: Neural Darwinism. The Theory of Neuronal Group Selection. New York (Basic Books) 1987. (dt.: Edelman, G.M.: Unser Gehirn – Ein dynamisches System. München (Piper) 1993.)

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Das Wasserbock-Repellent schützt afrikanische Rinder vor Stichen der Tsetsefliege

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In Afrika übertragen Tsetsefliegen durch ihre Stiche die parasitischen Einzeller Trypanosoma congolense und Trypanosoma vivax auf Rinder, die dadurch an der Rinderseuche Nagana erkranken: Zuerst werden die Hinterbeine und dann andere Teile des Körpers gelähmt. Die Milz, die Lymphknoten und die Leber vergrößern sich durch Ödeme und das Rückenmark wird geschädigt. Zusätzlich zeigen die betroffenen Rinder Ausfluss aus den Augen und der Nase.

Nagana führt für die Rinderbesitzer zu enormen Verlusten bei Milch, Fleisch und Arbeitskräften. Pro Jahr sterben bis zu drei Millionen Rinder infolge einer Infektion mit den Trypanosomen. Die UNO und das International Livestock Research Institute (ILRI) zählen Nagana daher zu den häufigsten Rinderkrankheiten. Der Schaden in Afrika wird auf etwa 4,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt.

Die Tsetsefliege ist – je nach Art – so groß wie die Gemeine Stubenfliege. Manche Exemplare können doppelt so groß werden. Forscher zählen rund 30 Arten. Sie ernährt sich vom Blut ihrer Opfer. Dazu sticht sie mit dem langen Stechrüssel durch deren Haut.

Im Kampf gegen Nagana verfolgten Christian Borgemeister vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn und ein Team von Forschern des Internationalen Zentrums für Insektenphysiologie und Ökologie (icipe), dem Interafrican Bureau for Animal Ressourcen (beide in Kenia) und Rothamsted Research, Harpenden (Großbritannien) einen neuen Ansatz, den sie in der Fachzeitschrift PLOS Neglected Tropical Diseases vorstellten.

Die Tsetsefliegen meiden Wasserböcke (Kobus), eine afrikanische Antilopenart, weil sie den Geruch dieser Antilopen abstoßend finden. Die Wissenschaftler isolierten, identifizierten und synthetisierten das Wasserbock-Repellent im Labor. Das 4-Komponenten-Repellent, bestehend aus Guajakol, Geranylaceton, Pentansäure und δ-Octalacton, wurde grob in einem Verhältnis von 2: 1: 3: 3 vermischt, so wie es die Wissenschaftler natürlich im Wasserbockgeruch vorfanden. Sie füllten dann winzige Mengen davon in Plastikbehälter, die mit Halsbändern an die Rinder gebunden waren.

Diese innovative Methode zur Krankheitsprävention wurde in einem großen zweijährigen Feldversuch in Kenia getestet. Für das Experiment stellten 120 Maasai-Hirten mehr als 1.100 ihrer Rinder zur Verfügung. Im Vergleich zu ungeschützten Rindern war die Erkrankungsrate der Rinder, die das Halsband trugen, um mehr als 80 Prozent reduziert. Im Allgemeinen waren die Rinder mit den Repellent-Halsbänder gesünder und schwerer, gaben mehr Milch, pflügten mehr Land und erzielten auf regionalen Märkten einen deutlich höheren Absatz.

“All dies hat zu einer deutlichen Verbesserung der Ernährungssicherheit und des Haushaltseinkommens der beteiligten Pastoralistenfamilien beigetragen”, sagt Borgemeister. Im Vergleich zu den Tierarzneimitteln, die üblicherweise zur Behandlung der Krankheit eingesetzt werden, ist die Halsbandmethode deutlich günstiger und damit wirtschaftlicher, sagt der Forscher. Darüber hinaus ist die neue Technologie bei den Maasai-Hirten sehr beliebt. Rund 99 Prozent der Hirten würden gerne diese Halsbänder für ihre Rinder benutzen.

Credit: © Hans Hillewaert / CC BY-SA 4.0 Ein Ellipsen-Wasserbock (Kobus ellipsiprymnus) im Mosi-oa-Tunya Nationalpark, Livingstone, Sambia.

Weiterführende Literatur

Rajinder K. Saini, Benedict O. Orindi, Norber Mbahin, John A. Andoke, Peter N. Muasa, David M. Mbuvi, Caroline M. Muya, John A. Pickett, Christian W. Borgemeister. (2017) Protecting cows in small holder farms in East Africa from tsetse flies by mimicking the odor profile of a non-host bovid. PLOS Neglected Tropical Diseases; 11 (10): e0005977 DOI: 10.1371/journal.pntd.0005977

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Die Hürden auf dem Weg zum neuen Grippeimpfstoff

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Der Grippeimpfstoff benötigt zwei Wochen, um im Körper seine volle Wirkung zu entfalten. Die Grippewelle fängt in Deutschland meist zum Jahreswechsel an. Epidemiologen empfehlen daher, sich Anfang November gegen das Influenzavirus impfen zu lassen. Das betrifft insbesondere Kinder, Senioren und Menschen die beruflich besonders exponiert sind z. B. Krankenschwestern und Ärzte.

Die Grippeimpfung bietet aber leider keinen hundertprozentigen Schutz. Das liegt daran, dass sich die Influenzaviren schneller verändern, als die Pharmakonzerne Impfstoffe herstellen können. In der Grippesaison 2014/2015 z. B. hatte sich ein Virenstamm derartig unerwartet verändert, dass die saisonale Grippeimpfung hauptsächlich gegen zwei Stämme wirksam war. Das ist zwar nicht die Regel, aber möglich. Deshalb werden jedes Jahr neue Impfstoffe entwickelt, je nachdem, welche Viren gerade kursieren. Virologen der WHO beobachten diese Viren und bestimmen im Februar, wie der jeweilige Impfstoff für die kommende Wintersaison aussehen muss.

Während in vielen Ländern ein Grippeimpfstoff gegen vier unterschiedliche Virenstämme verwendet wird (tetravalenter Impfstoff), schützen die in Deutschland verabreichten Grippeimpfstoffe meist vor den drei gefährlichsten Stämmen. Der Influenzaimpfstoff für die Saison 2017/2018 setzt sich aus den Antigenen weltweit zirkulierender Varianten folgender Viren zusammen:

•A/Michigan/45/2015 (H1N1) pdm09- ähnlicher Stamm
•A/Hong Kong/4801/2014 (H3N2)- ähnlicher Stamm
•B/Brisbane/60/2008- ähnlicher Stamm

Für quadrivalente Impfstoffe werden die Antigene der oben genannten Viren sowie eine Variante von B/Phuket/3073/2013 – ähnlicher Stamm – empfohlen.

A und B bezeichnen die Virustypen, der Ortsname bezieht sich auf den Ort der Virusisolierung; die erste Ziffer gibt die Nummer des jeweils isolierten Stamms an, die zweite bezieht sich auf das Isolierungsjahr. Mit H und N werden die beiden wichtigsten Proteine der Virushülle Hämagglutinin und Neuraminidase abgekürzt, die Ziffer dahinter bezeichnet den aktuellen Hämagglutinin- bzw. Neuraminidase-Subtyp.

Credit: By NIAID (Antigenic Drift of the Flu Virus) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons Antigendrift ist der Prozess, durch den das Influenzavirus genetisch mutiert und neue Virusstämme produziert, die vom Immunsystem möglicherweise nicht erkannt werden.

Für die Impfstoffherstellung sind sogenannte Saatviren nötig, die zumeist in Hühnereiern vermehrt werden: Pro Impfstoffdosis wird ein Ei benötigt. Dabei wird das Influenzavirus in Hühnereier injiziert und die Eier durch Maschinen mehrere Tage bebrütet. Die Viren vermehren sich und werden danach aus den Eiern entnommen, in einem komplexen Prozess gereinigt sowie inaktiviert. Daher sind die meisten Influenzaimpfstoffe sogenannte Totimpfstoffe. Diese Schritte müssen für jeden der vier von der WHO empfohlenen Virenstämme separat durchgeführt werden. In der finalen Injektionslösung werden die unterschiedlichen Stämme letztlich zusammengemischt. Dieser aufwendige Herstellungsprozess dauert bis zu sechs Monate.

Ein neuer Fachartikel in PLOS Pathogens [1] zeigt, dass diese Herstellung in Eiern ein Problem ist, wenn die Firmen Impfstoffe gegen den Virussubtyp H3N2 herstellen wollen. Seit der zunehmenden Verbreitung einer Grippe, die durch den Subtyp H3N2 verursacht wird, haben Virologen, die den saisonalen Grippeimpfstoff herstellen, versucht, dieses Virus einzubeziehen. Trotz dieser Bemühungen erwiesen sich neuere Grippeimpfstoffe nur zu 33 Prozent gegen H3N2-Viren wirksam. Laut dieser Studie von Wissenschaftlern am Scripps Research Institute, La Jolla, USA zerstört die übliche Praxis der Influenzavermehrung in Hühnereiern die Hauptzielstelle der Antikörper auf der Virusoberfläche, wodurch der Grippeimpfstoff beim Menschen weniger wirksam wird.

H3N2 ist einer von mehreren Subtypen, bei denen gezeigt wurde, dass sie mutieren, wenn sie in Hühnereiern gezüchtet werden. “Alle Influenzaviren, die in Eiern produziert werden, müssen sich an das Wachstum in dieser Umgebung anpassen und daher Mutationen erzeugen, um besser zu wachsen”, erklärt der Studienautor Ian Wilson.

Mittels einer hochauflösenden Bildgebungstechnik namens Röntgenkristallografie, konnte Erstautor Nicholas Wu zeigen, dass der H3N2-Subtyp, wenn er in Eiern gewachsen ist, ein Virushülleprotein verändert. Dieses veränderte Virushülleprotein kann sich besser an Rezeptoren auf Vogelzellen anheften. Speziell fanden die Forscher die L194P-Mutation in dem Hämagglutinin (HA)-Gen des Virus. Diese Mutation führt dazu, dass an der 194. Stelle des Hämagglutinins die Aminosäure Leucin gegen die Aminosäure Prolin ausgetauscht wird.

Die Folge ist eine lokale Veränderung der dreidimensionalen Struktur des Proteins in einer Region, an die häufig Antikörper binden. Das bedeutet, dass ein Impfstoff, der diese Mutation im HA-Gen enthält, keine wirksame Immunantwort auslösen kann. Dadurch bleibt der Körper ohne Schutz vor zirkulierenden H3N2-Viren. In der Tat zeigt die Analyse von Wu, dass das H3N2-Virus, das in Impfstoffen verwendet wird, bereits die Mutation L194P in dem HA-Gen enthält. “Impfstoffhersteller müssen sich diese Mutation ansehen”, warnte Wu.

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind ein Argument dafür alternative Ansätze zur rekombinanten Impfstoffproduktion in der Zellkultur zu entwickeln. Einige Impfstoffhersteller sind bereits dazu übergegangen Zellkulturen aus Säugetierzellen, zu verwenden. Das von der Cilian AG entwickelte Ciliaten-basierte Expressionssystem (CIPEX-System) ist eine weitere Möglichkeit Impfstoffe schneller und sicherer herzustellen. „Im Vergleich zum bisherigen Standardvakzin könnten wir größere Mengen fast doppelt so schnell liefern. Das gilt für die saisonale Grippe, aber auch für Pandemien, die sich schnell in der Bevölkerung verbreiten.“, so Dr. Marcus Hartmann, Vorstand der Cilian AG.

Das CIPEX-System basiert auf dem apathogenen eukaryotischen Einzeller Tetrahymena, der in jedem See oder Tümpel zu finden ist. Die Forscher der Cilian AG haben die Tetrahymenazellen so umprogrammiert, dass sie nur noch das Hämagglutinin des Influenzavirus herstellen.

Tetrahymenazellen bieten beim Aspekt biologische Sicherheit einige Vorteile: Viren aus höheren Organismen können sich aufgrund des außergewöhnlichen Codon-Usages und des hohen AT-Gehalts des Genoms nicht in Tetrahymena vermehren. In über 50 Jahren Grundlagenforschung sind in Tetrahymena keine Viren beobachtet wurden. Das unterscheidet Tetrahymenazellen von den herkömmlich eingesetzten Säugetierzelllinien wie CHO, BHK, NSO, die bei der Impfstoffproduktion mit hohem technischem Aufwand vor der Kontamination mit Viren und Bakterien geschützt werden müssen.

Bei der Virenzucht in Hühnereiern besteht immer ein Kontaminationsrisiko, weil die Hersteller Viren produzieren. Der in Tetrahymena produzierte Grippeimpfstoff hingegen besteht lediglich aus Proteinen. Außerdem gibt es im Tetrahymenavakzin keine Inhaltsstoffe wie Quecksilber oder Formaldehyd. Bei Standardimpfstoffen sind geringe Dosen davon zu finden – unter anderem wegen des Aufreinigungsprozesses.

Weiterführende Literatur

1. Nicholas C. Wu, Seth J. Zost, Andrew J. Thompson, David Oyen, Corwin M. Nycholat, Ryan McBride, James C. Paulson, Scott E. Hensley, Ian A. Wilson. A structural explanation for the low effectiveness of the seasonal influenza H3N2 vaccine. PLOS Pathogens, 2017; 13 (10): e1006682

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Ein Impfstoffkandidat gegen das Influenzavirus A (H3N2)

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Eine Grippe kann beim Menschen durch drei verschiedene Typen von Influenzaviren verursacht werden: A, B und C. In den meisten Fällen sind das Influenzavirus A oder das Influenzavirus B Erreger einer Grippe. Das Influenzavirus C ist für die Grippe beim Menschen am wenigsten relevant. Es löst, wenn überhaupt, nur sehr schwache Symptome aus. Ob der jeweilige Virustyp Symptome in einem Wirtsorganismus wie Mensch, Vogel, Schwein etc. auslöst, hängt vor allem davon ab, ob das Virus in die Zellen des Wirts eindringen und sie wieder verlassen kann.

Die Virushülleproteine Hämagglutinin und Neuraminidase

Zwei Virushülleproteine, Hämagglutinin und Neuraminidase, sind für das Eindringen in die Zelle und das Verlassen der Zelle notwendig. Hämagglutinin (HA) sorgt dafür, dass sich das Influenzavirus an eine Wirtszelle anheften kann: Hämagglutinin bindet an Sialinsäuren (SA), die sich auf Proteinen der Wirtszellmembran befinden. Diese Membranproteine sind SA-Rezeptoren für das Hämagglutinin. Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip passt dabei jede Hämagglutininvariante auf einen bestimmten SA-Rezeptor, wobei jeder Wirt nur über einen Teil aller von Influenzaviren genutzten SA-Rezeptoren verfügt. Deshalb können bestimmte Typen des Virus mit ihrem speziellen Hämagglutinintyp bestimmte Wirte leicht infizieren und dabei eine Erkrankung auslösen und andere prinzipiell mögliche Wirte wiederum nicht oder nur sehr eingeschränkt.

Struktur des Hämagglutinins des Influenzavirus A (H1N1) von 1918.

Neuraminidase (NA) spaltet die N-Acetylneuraminsäure, eine Sialinsäure, an zellulären SA-Rezeptoren ab. Dadurch werden die Viren, die sich im Innern der Zelle vermehrt haben, aus den infizierten Zellen freigesetzt. Die Infektion breitet sich erst innerhalb des Organismus aus und wird dann auf andere Organismen übertragen. Außerdem verhindert die Neuraminidase das sich die Viren an bereits infizierte Zellen anheften.

Hämagglutinin und Neuraminidase sind gleichzeitig Oberflächenantigene für die Antikörper des Immunsystems. Das Influenzavirus A wird durch diese Oberflächenantigene noch mal serologisch in verschiedene Subtypen unterteilt. Die wichtigsten Oberflächenantigene beim Influenzavirus A für die Infektion des Menschen sind die Hämagglutinin-Serotypen H1, H2, H3, H5, seltener H7 und H9 und die Neuraminidase-Serotypen N1, N2, seltener N7.

Der Subtyp H3N2 des Influenzavirus A

Der Subtyp H1N1 löste zwischen 1918 und 1920 eine Pandemie aus, die knapp 50 Millionen Todesopfer forderte. Knapp hundert Jahre später sind die Subtypen H1N1 und H5N1 als Erreger von Schweine- bzw. Vogelgrippe gefürchtet. Seit dem Jahr 2012 bereitet aber ein anderer Subtyp den Virologen der WHO Kopfzerbrechen: H3N2. Dieser Subtyp löst weniger starke Symptome als der Subtyp H1N1 aus, ist aber dennoch gefährlicher als das Influenzavirus B.

Eine Kooperation zwischen Forschern der Universität von Georgia, USA und Sanofi Pasteur, dem größten Influenzaimpfstoffhersteller der Welt, hat zur Entdeckung eines Impfstoffkandidatens geführt, der gegen mehrere, in den letzten fünf Jahren gleichzeitig zirkulierenden, H3N2-Subtypen schützt. Er wurde an Mäusen und Frettchen getestet. Die Virologen veröffentlichten ihre Ergebnisse im Journal of Virology [1].

Unter Verwendung einer Technik, die Computationally Optimized Broadly Reactive Antigen oder COBRA genannt wird, schufen die Forscher 17 Prototyp-Impfstoffkandidaten. Dabei verwendeten sie die Gensequenzen von mehreren H3N2-Subtypen. Die COBRA-Impfstoffe lösten die Bildung von Antikörpern aus, die 100 Prozent der H3N2-Viren neutralisierten, die über einen Zeitraum von fünf Jahren zirkulierten.

Das könnte eine ganzjährige Herstellung des Impfstoffs ermöglichen, da die Hersteller nicht jedes Jahr die Produktion einstellen müssen, während die am häufigsten vorkommenden Virustypen von den Gesundheitsbehörden identifiziert werden. Die Wissenschaftler müssen jetzt herausfinden, wie viele Jahreszeiten dieser COBRA-Impfstoff in Zukunft in allen Bevölkerungsgruppen gegen alle H3N2-Viren schützt.

Gewöhnlich werden Impfstoffkandidaten in immunologisch naiven Tieren getestet, die keine Anti-Influenzavirus-Antikörper haben. Jedoch haben die meisten Menschen bereits bestehende Immunität gegen das Influenzavirus aus früheren Infektionen und/oder Impfungen. Daher untersuchte eine Follow-up-Studie in Tieren, wie bereits existierende Antikörper gegen historische Influenzaviren die Wirksamkeit des Impfstoffs beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen, dass diese weitgehend schützenden Impfstoffkandidaten bei Wirten mit bereits bestehender Influenzaimmunität noch wirksamer sind, was ein gutes Zeichen für die Verwendung dieser Impfstoffe bei Menschen ist.

Weiterführende Literatur

Terianne M. Wong, James D. Allen, Anne-Gaelle Bebin-Blackwell, Donald M. Carter, Timothy Alefantis, Joshua DiNapoli, Harold Kleanthous, Ted M. Ross.(2017) COBRA HA elicits hemagglutination-inhibition antibodies against a panel of H3N2 influenza virus co-circulating variants.. Journal of Virology, DOI: 10.1128/JVI.01581-17

Die Hürden auf dem Weg zum neuen Grippeimpfstoff

 

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Genetiker extrahieren menschliche DNA aus Stechmücken

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Genetiker gewinnen Dinosaurier-DNA aus Dinosaurierblut, das vor Millionen Jahren von Stechmücken gesaugt wurde. Diese Stechmücken wurden nach ihrer Blutmahlzeit in Baumharz eingeschlossen, und als Bernsteineinschlüsse fossil konserviert. Das ist die Idee in Michael Crichtons Roman Jurassic Park.

Die älteste, bisher bekannte, Stechmücke ist als Einschluss in etwa 79 Millionen Jahre altem Bernsteinfossil erhalten [1]. Dinosaurier lebten von 235 Millionen Jahre v. Chr bis 66 Millionen Jahre v. Chr. . Es gab also eine Zeit in der Dinosaurier und Stechmücken gemeinsam lebten.

Ob Stechmücken in dieser Zeit Dinosaurier gestochen haben und ihr Blut saugten, weiß ich nicht1. Ich weiß jedoch, dass japanische Genetiker herausgefunden haben, dass man zwei Tage nach einer Blutmahlzeit noch menschliche DNA aus einer Mücke isolieren kann: “Wir haben mehrere Freiwillige darum gebeten, sich von Mücken stechen zu lassen”, erklärt Erstautor Yuuji Hiroshige.

Detailvergrößerung einer blutsaugenden Stechmücke (Aedes aegypti) mit den für die weiblichen Vertreter der Unterfamilie Culicinae typischen kurzen Mundtastern. Rot-orange das Stechborstenbündel, im Bild rechts davon die nach hinten weggestauchte Unterlippe, die nicht in die Haut eindringt.

Credit: By James Gathany (CDC – PHIL) [Public domain], via Wikimedia Commons

“Nachdem wir den Mücken erlaubt hatten, das Blut für eine gewisse Zeit zu verdauen, extrahierten wir die menschliche DNA und benutzten die PCR, um die DNA-Proben für die Quantifizierung und Genotypisierung zu amplifizieren.”

Die Molekularbiologen konnten dann anhand der amplifizierten Proben herausfinden, wie viel DNA nach dem Verdau durch die Mücken übrig blieb und von wem sie stammte. Die Forscher der Nagoya Universität, publizierten ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift PLOS ONE [2].

Fußnoten

1. Es gibt auf den Galápagosinseln eine Stechmückenart (Aedes taeniorhynchus), die das Blut von Reptilien saugt [3].

Weiterführende Literatur

1. G. O. Poinar et al. (2000) Paleoculicis minutus (Diptera: Culicidae) n. gen.,n. sp., from Cretaceous Canadian amber with a summary of described fossil mosquitoes. In: Acta Geologica Hispanica. Nr. 35, 2000, S. 119–128.

2. Yuuji Hiroshige, Masaaki Hara, Atsushi Nagai, Tomoyuki Hikitsuchi, Mitsuo Umeda, Yumi Kawajiri, Koji Nakayama, Koichi Suzuki, Aya Takada, Akira Ishii, Toshimichi Yamamoto. (2017) A human genotyping trial to estimate the post-feeding time from mosquito blood meals. PLOS ONE ; 12 (6): e0179319 DOI: 10.1371/journal.pone.0179319

3. Bataille A, Cunningham AA, Cedeño V, Patiño L, Constantinou A, Kramer LD, Goodman SJ. (2009) Natural colonization and adaptation of a mosquito species in Galapagos and its implications for disease threats to endemic wildlife. Proc Natl Acad Sci U S A.;106 (25):10230-10235. doi:10.1073/pnas.0901308106.

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Der Beitrag Genetiker extrahieren menschliche DNA aus Stechmücken erschien zuerst auf Die Sankore Schriften.

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