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SFPQ transportiert spezifische mRNAs vom Zellkern in das distale Axon

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In den Nervenzellen des Hippocampus1 eines Alzheimer-Patienten sorgt das Protein Tau dafür, dass sich das RNA-Bindungsprotein SFPQ nicht mehr im Zellkern befindet, sondern nur noch im Zytoplasma. Während die Krankheit fortschreitet nimmt zusätzlich in einer benachbarten Region des Hippocampus, dem entorhinalen Kortex2, die Menge an SFPQ kontinuierlich ab. Als meine Kollegen und ich diese molekularen Symptome erstmals entdeckten [1] konnten wir diese weder mit einem Mechanismus erklären noch wussten wir welche Folgen das für die betroffenen Nervenzellen haben wird (Wir vermuteten aber keine guten.).

Heute, 4 Jahre später, wissen wir viel mehr über die verschiedenen Funktionen von SFPQ in Nervenzellen und die Folgen welche sein Fehlen im Zellkern für die Nervenzellen hat. Ein Forscherteam um Katharina E Cosker von der Harvard Medical School in Boston publizierte in Nature Neuroscience eine Arbeit [2], die zeigt dass, SFPQ die Neurotrophin-abhängige Überlebensfähigkeit von Axonen fördert.

Als Axon (siehe Abb.1) wird der Fortsatz einer Nervenzelle bezeichnet, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper wegleitet. Es beginnt am so genannten Axonhügel als Ausstülpung des Nervenzellkörpers (Perikaryon) und enthält ein hochdifferenziertes Zytoskelett sowie einige Zellorganellen wie z.B. Mitochondrien, Ribosomen, RNA-Granula.

Die für die Funktion des Axons erforderlichen Moleküle werden vorwiegend im Zellkörper hergestellt und müssen an ihre zum Teil weit entfernten Wirkorte im Axon transportiert werden. Während der schnelle Transport vom Zellkörper in das Axon (schneller anterograder Transport) auf dem Motorprotein Kinesin beruht, erfolgt der Transport vom Axon in den Zellkörper (retrograder Transport) unter Beteiligung des Motorproteins Dynein. Beide Transportformen nutzen dabei das polar strukturierte Zytoskelett des Axons.

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Alzheimer-Forscher vermuten, dass bei Alzheimer die Axone sich selbst zerstören, bevor die Nervenzellen absterben. Wenn die Zerstörung des Axons verhindert oder verzögert werden kann, dann hätten wir einen therapeutischen Ansatzpunkt, um den Tod der Nervenzellen bei Alzheimer zu verzögern oder zu verhindern.

Die Funktion von SFPQ in der von Neurotrophinen-induzierten Signaltransduktion

Neurotrophine haben zentrale Aufgaben bei der embryonalen und adulten Neurogenese. Diese Proteine kontrollieren, ob junge Nervenzellen überleben und sich in neuronale Netze integrieren oder gezielt durch Apoptose eliminiert werden. Neurobiologen haben mittlerweile zahlreiche Neurotrophine isoliert und charakterisiert: unter anderem den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), den Nerve Growth Factor (NGF), das Neurotrophin 3 (NT-3) und das Neurotrophin 4/5. Neurotrophine binden an Rezeptoren, die sich in der Zellmembran von Nervenzellen befinden. Bindet ein Neurotrophin an den Rezeptor p75 wird über eine Signaltransduktionskaskade der induzierte Zelltod (Apoptose) ausgelöst. Binden dagegen Neurotrophine an den Rezeptor Trk, löst das intrazellulär Prozesse aus, die anti-apoptotisch wirken und die Zelle vor dem Untergang schützen.

Genau bei diesem intrazellulären Prozess spielt SFPQ eine wichtige Rolle, die in Abb.2 erläutert wird. Aufgrund der Befunde dieser Arbeit vermute ich, dass das Fehlen von SFPQ im Zellkern und seine mengenmäßige Reduzierung die Zerstörung der Axone in spezifischen Nervenzellen von Alzheimer-Patienten beschleunigt.

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon. Ein Neurotrophin bindet an den Rezeptor Trk an dem Ende des Axons, das vom Zellkörper entfernt liegt (distal). Das führt dazu, dass SFPQ im Zellkern bclw-mRNA bindet und aus dem Zellkern ins Zytoplasma transportiert. Dort verbindet sich dieses SFPQ mit SFPQ, das laminb2-mRNA gebunden hat. Im Axon bildet dieses Duo mit anderen SFPQmRNA-Komplexen ein RNA-Transport-Granula, dass mittels KIF5, einem Motorprotein, zu Mitochondrien am distalen Ende des Axons transportiert wird. Dort werden die bclw-mRNA und die laminB2-mRNA in Bclw-Protein und LaminB2-Protein translatiert. Diese Proteine fördern das Überleben des Axons.

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon. Ein Neurotrophin bindet an den Rezeptor Trk an dem Ende des Axons, das vom Zellkörper entfernt liegt (distal). Das führt dazu, dass SFPQ im Zellkern bclw-mRNA bindet und aus dem Zellkern ins Zytoplasma transportiert. Dort verbindet sich dieses SFPQ mit SFPQ, das laminb2-mRNA gebunden hat. Im Axon bildet dieses Duo mit anderen SFPQmRNA-Komplexen ein RNA-Transport-Granula, dass mittels KIF5, einem Motorprotein, zu Mitochondrien am distalen Ende des Axons transportiert wird. Dort werden die bclw-mRNA und die laminB2-mRNA in Bclw-Protein und LaminB2-Protein translatiert. Diese Proteine fördern das Überleben des Axons.

 

Fußnoten

1. Hippocampus

Der Hippocampus ist der medial gelegene Abschnitt des Großhirns. Er ist wichtig für die Gedächtnisbildung, denn bei der Zerstörung beider Hippocampi können keine Informationen mehr vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis gelangen. Dies spielt vor allem bei Alzheimer eine Rolle, denn die Neurologen nehmen an, dass der Untergang von Nervenzellen (Neurodegeneration) im Hippocampus zu dem charakteristischen Erinnerungsverlust führt.

2. Entorhinaler Kortex

Der entorhinale Kortex ist ein am medialen Rand der Großhirnlappen gelegenes Rindenfeld, welches sich in enger Nachbarschaft zum Hippocampus befindet. Er ist mit dem Hippocampus Teil der sogenannten Hippocampusformation. Der entorhinale Kortex spielt eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung. Nur die Erregungen, die er an den Hippocampus weiterleitet, führen zur Speicherung des entsprechenden Reizes im Gedächtnis. Ein Nervenzelluntergang im entorhinalen Cortex ist bei Alzheimer zu beobachten und ist für die hierbei auftretenden Gedächtnisstörungen verantwortlich. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass der entorhinale Kortex eine wichtige Rolle bei der Selbstverortung spielt. Spezialisierte Gitterzellen ("Grid Cells") repräsentieren ein Raster, welches das Gehirn über die Umgebung legt, in der sich ein Mensch bewegt. Die dynamische Selbstverortung soll durch einen weiteren Zelltyp, die so genannten Speedzellen, ermöglicht werden.

Weiterführende Literatur

Fatale Folgen für SFPQ bei Alzheimer

[1] Yazi Ke, Joe Dramiga, Ulrich Schütz, Lars Jillian J. Kril, Lars M. Ittner, Hannsjorg Schröder, and Jürgen Götz (2012) Tau-mediated nuclear depletion and cytoplasmic accumulation of SFPQ in Alzheimer's and Pick’s disease. PLoS One 7(4): e35678. doi:10.1371/journal.pone.0035678

[2] Katharina E Cosker, Sara J Fenstermacher, Maria F Pazyra-Murphy,Hunter L Elliott & Rosalind A Segal (2016) The RNA-binding protein SFPQ orchestrates an RNA regulon to promote axon viability. Nature Neuroscience doi:10.1038/nn.4280 ADVANCE ONLINE PUBLICATION

Bildnachweis

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Autor: Hoffmeister

Datum: 14.12.2005

Titel: Impulsfortleitung an der Nervenzelle

Quelle: Wikimedia Commons

Lizenz: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

 

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon.

Titel: Supplementary Figure 6: Model for SFPQ and the axonal mRNA regulon

Quelle: [2]

 


Warum die EU/Türkei-Verhandlungen ein Rubinstein-Spiel waren

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Ich glaube, dass es sehr viele EU-Bürger gibt, die den syrischen Flüchtlingen, die nach Europa kommen, helfen möchten und anteilnehmen an deren Leid - jedenfalls viel mehr als diejenigen, die Flüchtlingsheime anzünden oder auf der Straße gegen die "drohende Überfremdung" demonstrieren. Die EU-Regierungen sehen diese Flüchtlinge jedoch auch als Problem, dass ungeplante Kosten im Staatsbudget verursacht und zukünftige Wählerstimmen kostet. Je mehr Flüchtlinge kommen und umso länger der Syrien-Krieg dauert, desto höher werden die Kosten. Die Zeit spielt also gegen sie. Von diesem Standpunkt aus kann man die zurückliegenden EU/Türkei-Verhandlungen zu den syrischen Flüchtlingen  auch spieltheoretisch betrachten. Es handelt sich dann um ein alternierendes Ultimatum-Spiel, wo das zu verhandelnde Problem umso größer wird je länger man wartet es zu lösen. In der Verhandlungstheorie, einer Disziplin der Spieltheorie, nennen Spieltheoretiker dieses Szenario Rubinstein-Spiel, nachdem Spieltheoretiker Ariel Rubinstein, der 1982 ein vielbeachtetes Paper schrieb.

Ein Beispiel für dieses Rubinstein-Spiel ist die Joker Mob Negotiation in dem sechsten Batman-Film The Dark Knight.

Beispiel für ein Rubinstein-Spiel: Joker Mob Negotation in The Dark Knight

Leider gibt es noch keine deutschen Untertitel für diesen Video-Clip. Die Personen und die Handlung dieser Szene sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. ;-)

Worum geht es in der Joker Mob Negotation?

Der Joker raubt mit eine Gruppe von Bankräubern die Gotham National Bank aus, welche sich in den Händen der Mafia befindet und ihr als Geldwäschepunkt dient. Kurz nach dem Banküberfall ruft der Mafiaboss Sal Maroni die anderen Gothamer Gangsterbosse zu einer Besprechung zusammen. Er erwähnt den Joker, der ihnen ihr Geld gestohlen hat, und bezeichnet ihn als "irgendeinen geschminkten Schwachkopf mit billigem Lila Anzug", einen Niemand, den man vergessen könne, seine Sorgen gelten der Tatsache, dass das Geld von der Polizei zurückverfolgt werden kann. Der chinesische Gangster Lau, der über einen Fernseher an der Konferenz teilnimmt, erzählt ihnen, dass er die gesamten Guthaben der Banken an einen sicheren Ort gebracht hat und sie dort aufbewahren würde.

Der Joker platzt in das Meeting und bezeichnet den "sogenannten Plan" der Gangster als schlechten Witz. Er bietet den Gangsterbossen an,  Batman zu beseitigen, fordert dafür aber die Hälfte ihres gesamten Vermögens. Er sagt auch, dass Batman Lau finden würde und dass Lau die anderen, wenn er verhaftet wird, verraten würde. Je länger die Gangsterbosse ihre Entscheidung hinauszögern, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Batman Lau findet und die Gangster all ihr Geld verlieren. Die Zeit spielt also gegen sie. Der Tschetschene und Sal Maroni sind interessiert, aber Gambol, verärgert über die Respektlosigkeit des Jokers, versucht ihn anzugreifen, woraufhin der Joker eine Ladung Granaten zeigt, die er an der Innenseite seiner Jacke trägt und deren Zündung er mit einem Faden an seinem Daumen befestigt hat. Der Joker verschwindet dann - nicht ohne seine Businesskarte für weitere Verhandlungen zurückzulassen. Später nehmen die Gangsterbosse das Angebot des Jokers an.

Warum hat Kaluzas Raum genau vier Dimensionen?

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Philipp Hummel schreibt in seinem Spektrum-Onlineartikel Warum hat der Raum genau drei Dimensionen?, dass sich diese Zahl aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und der Abkühlung des Universums ergibt. Er bezieht sich dabei auf einen Fachartikel des Physikers Julian Gonzalez-Ayala von der Universität Salamanca in Spanien, den dieser in Europhysics Letters veröffentlichte [1]. Hummels Artikel erinnert mich an die Zeit als Einstein sich mit der Kaluza-Klein-Theorie beschäftigte, die eine vierte Raumdimension beinhaltete.

Anfang der 1920er war die Allgemeine Relativitätstheorie bereits vollständig ausformuliert (Einstein 1915) und experimentell bestätigt worden (Eddington 1919), während die Quantenmechanik (de Broglie 1924, Heisenberg 1925, Schrödinger 1926, Dirac 1928) noch in den Kinderschuhen steckte. Damals wollte Einstein Gravitation und Elektromagnetismus mit einer einheitlichen Feldtheorie beschreiben.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie war die Schwerkraft nichts anderes als das Feld der gekrümmten Raumzeit. Damit ähnelte die theoretische Beschreibung der Gravitation, Maxwells Theorie des elektromagnetischen Feldes. Einstein sah deshalb die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschreibung der beiden Grundkräfte.

Gemeinsam war beiden, das sich elektromagnetische Wellen und (die im Februar 2016 direkt nachgewiesenen) Graviationswellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Es gab aber auch einen gravierenden Unterschied: Mawells elektromagnetischen Wellen bewegen sich in  Raum und Zeit, die nach der klassischen Auffassung von Newton beschrieben werden, wohingegen bei Einstein Raum und Zeit zu einem dynamischen Feld zusammengefasst werden in dem das Allgemeine Relativitätsprinzip gilt. Einstein begab sich also auf schwieriges Terrain.

Im April 1919 schickte ihm der Mathematiker Theodor Franz Eduard Kaluza (1885-1954) von der Universität Königsberg einen Fachartikel zur Begutachtung, indem er das Vereinheitlichungsproblem mit einem radikal neuen Ansatz lösen wollte, die Erweiterung des Raumes um eine vierte Dimension. Zwar gab ihm die Erfahrung keinerlei Hinweis auf die Existenz einer vierten Raumdimension aber als Mathematiker hatte er keine Scheu diese einfach anzunehmen: In Kaluzas Theorie wird nämlich auch der Elektromagnetismus als reiner Effekt der Raumzeitgeometrie angesehen. Da jedoch die Geometrie der vierdimensionalen Raumzeit schon für die Gravitation "verbraucht"  ist, fügte er eine elektromagnetische Größe aus Maxwells Theorie als fünfte Dimension hinzu und vereinigte Gravitation und Elektromagnetismus in einer fünfdimensionalen Theorie mit einem einzigen Urfeld. Interessanterweise können die sich ergebenden Gleichungen aufgetrennt werden in die Einsteinschen Feldgleichungen und die Maxwell-Gleichungen. Einstein war sehr beeindruckt und schrieb an Kaluza:

„Ich habe grossen Respekt vor der Schönheit und Kühnheit Ihres Gedankens“.

Er wollte Kaluzas Arbeit eingehend prüfen und sie gegebenenfalls der Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Veröffentlichung in ihren Sitzungsberichten vorschlagen.

Wir können uns Kaluzas Theorie ähnlich wie die Projektion eines dreidimensionalen Körpers auf eine zweidimensionale Fläche vorstellen. Nehmen wir als Beispiel eine Pyramide. Wird diese von der Seite beleuchtet, so erscheint der Schatten als Dreieck, befindet sich die Lichtquelle über oder unter ihr, so ist der Schatten ein Quadrat. Wir als dreidimensionale Wesen erkennen jedoch, dass es sich um zwei unterschiedliche Ansichten desselben Körpers handelt. In gewisser Weise fühlen wir uns an Platons Höhlengleichnis erinnert, in dem Menschen die hinter ihnen befindliche Wirklichkeit nur als Schattenwurf auf der Höhlenwand erkennen.

Später erweiterte der Physiker Oskar Benjamin Klein (1894-1977) die Theorie von Kaluza zur Kaluza-Klein-Theorie und argumentierte, dass die vierte Raumdimension auf kleinster räumlicher Skala zylinderförmig aufgerollt ist. Wir können uns das ähnlich vorstellen wie einen Schlauch, den man aus großer Entfernung beobachtet. Der eigentlich zweidimensionale Querschnitt erscheint uns dann als eindimensionale Linie. Das ist der Grund, warum wir diese vierte Raumdimension bisher nicht beobachtet haben. Mit dieser sogenannten Kompaktifizierung konnte Klein auch eine Quantisierung der Ladung erklären. Die Idee, kompaktifizierte Zusatzdimensionen zur Vereinheitlichung der Grundkräfte zu verwenden, wurde jedoch später in der Stringtheorie fortentwickelt und wird dort als Kaluza-Klein-Kompaktifizierung bezeichnet. Viele Physiker heute sehen Kaluza deshalb als einen Pionier der Stringtheorie.

Einstein ging Kaluzas Arbeit Schritt für Schritt durch - und stieß dabei zunehmend auf Probleme. So ergaben sich unrealistische Werte für elektrische Ladungen und Kräfte, außerdem störte sich Einstein immer mehr an der zylinderförmigen Geometrie der vierten Raumdimension. Diese Geometrie brachte eine unschöne Asymmetrie in das Gedankengebäude. Die Theorie konnte auch nicht erklären, warum die Gravitation so viel schwächer war als der Elektromagnetismus.

Wegen dieser Bedenken schlug Einstein Kaluzas Arbeit erst mal nicht zu einer Veröffentlichung vor, beschäftigte sich aber in den folgenden Jahren weiter mir deren Theorie. Mit zunehmendem Erfolg der Quantenmechanik schwand aber das allgemeine Interesse der Physiker an der Kaluza-Klein-Theorie. Als Versuch der Vereinheitlichung zweier fundamentaler Naturkräfte steht die Kaluza-Klein Theorie jedoch in einer langen Tradition von Vereinheitlichungstheorien, welche die Physik ganz entschieden prägten

Maxwell 1864, Minkowski 1907: elektrisches und magnetisches Feld, Elektromagnetismus und Licht

Einstein 1905: Raum und Zeit in der speziellen Relativitatstheorie

Gunnar Nordström 1914  Gravitation und Elektromagnetismus

Einstein 1915: das „Äquivalenzprinzip der Allgemeinen Relativitätstheorie, welches Gravitation und Beschleunigung (träge und schwere Masse) als ununterscheidbar annimmt und eine Verbindung zwischen Gravitationsfeld und Raumzeitgeometrie schafft

An diese beeindruckenden Erfolge von Vereinheitlichungen anschließend, versuchte die Kaluza-Klein Theorie (1926) auf Basis der allgemeinen Relativität Gravitation und Elektromagnetismus zu vereinen.

Weiterführende Literatur

Warum wir den Raum krümmen

Wie wir den Raum krümmen: Zum Geburtstag von Bernhard Riemann

[1] Julian Gonzalez-Ayala, Rubén Cordero and F. Angulo-Brown (2016) "Is the (3 + 1)-d nature of the universe a thermodynamic necessity?" Europhysics Letters (EPL), Volume 113, Number 4 EPL. DOI: 10.1209/0295-5075/113/40006

Weniger Tore in der Fußballbundesliga

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Ökonomen betrachten branchenspezifisch Produktion, Wachstum und Markanteile, um herauszufinden, was die Branche leistet, wie es der Branche geht und wer der Branchenprimus ist. In der Fußballbundesliga sind die Vereine die Unternehmen und die Mannschaft der Teil der Arbeitnehmerschaft, der den Kernprozess - Fußball spielen - ausführt. Der Verein ist wirtschaftlich erfolgreich, wenn die Mannschaft sportlich erfolgreich ist1. Die Mannschaft sollte also möglichst viele Spiele gewinnen. Wer mehr Tore schießt als sein Gegner, gewinnt das Spiel2. Wer kein Tor schießt, kann kein Spiel gewinnen.
Tore am Fließband

In der Fußballbundesliga ist es meistens so, dass die Mannschaft, die in der Spielzeit viele Spiele gewinnt, mehr Tore schießt als die Mannschaft, die in der gleichen Spielzeit viele Spiele verliert3. Ich habe mir die Torstatistik der 1. Fußballbundesliga von der Saison 1965/66 bis zur Saison 2015/2016 angeschaut (je 306 Spiele pro Saison)4. Wir schauen hier auf mehr als 15.000 Bundesligaspiele. Dabei geht es um Produktion, Wachstum und natürlich Effizienz (da während des Spiels die Zahl der Spieler pro Mannschaft nicht erhöht werden darf ) ;-)

Abb.1: Tore pro Spielzeit

Abb.1: Gesamtzahl der Tore pro Spielzeit

 

Jede Mannschaft trägt ihren Anteil zur Gesamtzahl der geschossenen Tore einer Spielzeit bei. Ich habe die 18 Mannschaften anhand der jeweiligen Abschlusstabelle der Spielzeit in sechs Gruppen mit je drei Mannschaften eingeteilt (16.6 %). Wie viele Tore mehr schießen die ersten Drei der Tabelle im Vergleich zu den letzten Drei? Was ist der Anteil der ersten Drei an der Gesamtzahl der geschossenen Tore? Was ist der Anteil der letzten Drei an der Gesamtzahl der geschossenen Tore ? Hier geht es um die Marktanteile in Abhängigkeit von der sportlichen Leistung ;-)

Abb.2: Tore pro Spielzeit Die ersten Drei der Spielzeit und die letzten Drei der Spielzeit

Abb.2: Tore pro Spielzeit Die ersten Drei der Spielzeit und die letzten Drei der Spielzeit

 

Abb.3: Tordifferenz

Abb.3: Tordifferenz pro Spielzeit: Zahl der Tore der ersten Drei der Spielzeit minus Zahl der Tore der letzten Drei der Spielzeit

 

Tabelle 1

ParameterGesamtzahl der ToreGesamtzahl der Tore der ersten DreiGesamtzahl der Tore der letzten Drei
Mittelwert937,24211,08116,38
Standardabweichung81,504121,414115,2822
Median903,5210115,5
Unteres Quartil877196104,5
Oberes Quartil1.002,75230,25128,75
Minimum79017482
Maximum1097259151

 

Abb.4: Anteil an der Gesamtzahl der Tore in Prozent

Abb.4: Anteil an der Gesamtzahl der Tore pro Spielzeit in Prozent

 

Tabelle 2

ParameterAnteil der ersten Drei an der Gesamtzahl der Tore in ProzentAnteil der letzten Drei an der Gesamtzahl der Tore in ProzentTordifferenz der ersten Drei und der letzten Drei
Mittelwert22,55212,438394,7
Standardabweichung1,67871,438223,3126
Median22,537412,259797
Unteres Quartil21,62711,676480,25
Oberes Quartil23,090313,1797111,75
Minimum17,61998,30842
Maximum27,171516,306797

 

Operationalisierung der Sportlichen Produktivität

Was ich hier gemacht habe, nennen Wissenschaftler Operationalisierung. Die Operationalisierung (oder Messbarmachung) legt fest, auf welche Weise ein (stets nur theoretisches) Konstrukt (z. B. Reichtum, Intelligenz, Gerechtigkeit) beobachtbar und messbar gemacht werden soll. Sie hat in allen empirisch arbeitenden Wissenschaften eine große Bedeutung, da sie die Grundlage dafür ist, Messungen durchführen zu können. Wichtig ist eine geeignete Operationalisierung etwa bei der Prüfung von Hypothesen. Neben dem gewählten Indikator (auch Messgröße genannt) muss für die Operationalisierung auch die Erhebungsmethode, das Erhebungsinstrument und dabei insbesondere die Teile, mit denen die empirische Informationen gewonnen werden sollen, beschrieben werden (wegen der Nachvollziehbarkeit und der Reproduzierbarkeit).

In meinem Fall war das theoretische Konstrukt „Die sportliche Produktivität der Fußballbundesliga“ wobei ich den europäischen Wettbewerb ausgespart habe. Meine Messgröße war die Zahl der Tore. Die Rohdaten habe ich von der Website Fussballdaten.de. Die Grafiken habe ich mit Excel Professional Plus 2013 erstellt und damit auch die statistischen Parameter berechnet.

Wie steht es mit der Konstruktvalidität meiner Messgröße? Die habe ich nicht geprüft. Die Konstruktvalidität gibt an, inwieweit ein Test oder Erhebungsverfahren ein interessierendes Merkmal so misst, dass es mit bestehenden Konstruktdefinitionen und Theorien übereinstimmt. Hier müsste ich zwei Bestandteile von Konstruktvalidität unterscheiden: die konvergente und die diskriminante Validität. Die konvergente Validität stellt die Korrelation zwischen verschiedenen Tests dar, die dasselbe Konstrukt messen. Die ermittelten Korrelationen5 sollten bei einem validen Test möglichst hoch ausfallen. Die diskriminante Validität bezieht sich auf Korrelationen zwischen verschiedenen Tests, die verschiedene Konstrukte messen. Da es sich um unterschiedliche Konstrukte handelt, sollten diese nur gering oder gar nicht miteinander korrelieren.

Mit anderen Worten ist die Konstruktvalidität allgemein umso so höher, je mehr die unabhängigen und abhängigen Variablen das jeweilige theoretische Konzept tatsächlich repräsentieren. Leider kann es vorkommen, dass verschiedene Tests teilweise dasselbe Konstrukt, teilweise aber zugleich unterschiedliche Konstrukte messen. Beispielsweise könnten ein Test zum Sprachverständnis und ein Test zum logischen Denken zwar unterschiedliche Facetten der Intelligenz erfassen. Zugleich ist es aber möglich, dass in beiden Testergebnissen auch die allgemeine Intelligenz einer Person einfließt. Insofern würden die unterschiedlichen Tests zum Teil auch dasselbe Konstrukt erfassen, nämlich in diesem Fall die generelle Intelligenz einer Person.

Ihr habt ein wenig hinter die Kulissen der empirischen wissenschaftlichen Arbeit schauen können und gesehen, dass Operationalisierung manchmal nicht einfach ist. Vieles bekommt der Laie natürlich nicht mit, weil er nicht dabei ist und ihm das Expertenwissen für die Zusammenhänge fehlt - aber das andere Problem ist der Publication Bias in der Wissenschaft. Was nicht funktioniert wird nicht publiziert. Mit diesem Blogbeitrag habe ich zumindest durch den Post-Publication Peer Review die Möglichkeit geschaffen, dass Andere meine Fehler ausmerzen, manches verbessern, manches ergänzen und am Ende vielleicht wirklich die sportliche Produktivität der Fußballbundesliga einigermaßen messbar wird. (Was vielleicht auf mehrere gewichtete Messgrößen, die durch eine Formel miteinander verknüpft sind, hinausläuft).

Nun ist das hier meine private Spielerei, ihr müsst euch aber vorstellen, dass Wissenschaftler in den Wirtschaftswissenschaften, den Sozialwissenschaften und den Gesundheitswissenschaften für die Politikgestaltung (Policy Making) der Regierungen wichtige Konstrukte messbar machen müssen. Was hat deren Erfolg oder Misserfolg diesbezüglich für Auswirkungen für die Bevölkerung?

Fußnoten

1. Eine Hypothese, die ich im Blogartikel nicht prüfe. Sie gründet sich darauf, dass einige Einnahmen des Vereins stark vom sportlichen Abschneiden der Mannschaft abhängig sind: Die wichtigste Einnahmequelle der Bundesliga sind die Fernsehgelder. In jeder Saison kassiert die Bundesliga mehrere Hundert Millionen Euro. Dieses Geld wird dann auf die Klubs verteilt. Je nachdem, wie eine Mannschaft in der Meisterschaft abschneidet, wie weit sie im Pokal kommt, gibt es mehr oder weniger viel aus dem gemeinsamen Topf. Mehrere Millionen gibt es dann noch für die Teilnahme in der Champions League oder Europa League. In der englischen Premier League erhalten die Vereine viel mehr Fernsehgelder als in der deutschen Bundesliga. Der FC Chelsea, Meister der Saison 2014/2015, erhielt 134 Millionen Euro. Der FC Bayern München, Meister der Saison 2014/2015, erhielt 50.6 Millionen Euro. Die Fernsehgelder werden in der Premier League aber gleichmäßiger verteilt als in der Bundesliga. Leicester City, Tabellenfünfzehnter der Saison 2014/2015 bekam 96.2 Millionen Euro, das sind 28.4 % weniger als der FC Chelsea aber fast doppelt so viel wie der FC Bayern München. FC Augsburg, Tabellenfünfzehnter der Saison 2014/2015, kassierte 24 Millionen Euro, das sind 52,6 % weniger als der FC Bayern München.

Zuschauereinnahmen und Transfergeschäfte bescheren den meisten Klubs zusätzliche Einnahmen im Millionenbereich. Catering und Fanartikelverkauf, Einnahmen aus Ausrüster- und Trikotsponsoring sind jedoch Geldquellen, die wahrscheinlich stärker von anderen Faktoren mitbestimmt werden. Oder ist es vielleicht so, dass die Mannschaft sportlich erfolgreich ist, wenn der Verein wirtschaftlich erfolgreich ist? Vielleicht liegt hier ein positiver Feedbackloop vor. Interessantes zu den Einnahmen findet ihr auf der Website Fussball-Geld.de. Zusätzlich gilt: Je erfolgreicher die Bundesligamannschaften in europäischen Wettbewerben sind, desto mehr Plätze gibt es für die Bundesligamannschaften in nachfolgenden europäischen Wettbewerben.

2. Im europäischen Wettbewerb mit Hin- und Rückspiel werden Auswärtstore sogar stärker gewichtet als Heimtore.

3. Das liegt auch daran, dass in der Bundesliga Spiele mit mehr als 4 Toren relativ selten sind. Frage an die Mathematiker hier - Spielt hier auch Benford's Law eine Rolle? Zusätzlich gibt es seit Anfang der 90er einen generellen Trend zu weniger Toren in der Bundesliga (siehe Abb.1). Die häufigsten Ergebnisse von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009. Quelle: Fußballreport

Platz 1:    1:1    1671 Spiele
Platz 2:    2:1    1237 Spiele
Platz 3:    1:0    1136 Spiele
Platz 4:    2:0    1113 Spiele
Platz 5:    0:0     943 Spiele

Abb.5: Die häufigsten Ergebnisse in der Fußballbundesliga von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009

Abb.5: Die häufigsten Ergebnisse in der Fußballbundesliga von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009

4. Die Saison 91/92, in der 380 Spiele stattfanden, habe ich aus der Bewertung rausgenommen.

5. Eine hohe Korrelation zwischen zwei Variablen bedeutet nicht, dass die beiden Variablen kausal miteinander zusammenhängen. Stattdessen liefern Korrelationen lediglich einen ersten Hinweis, dass dies der Fall sein könnte.

Hat die heimische Diashow in der Naturfotografie bald ausgedient?

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Das Wetter wird schöner, die Tage länger, das sind für die Hobbyfotografen unter den Naturfreunden gute Gründe mal wieder die Kamera auszupacken und für tolle Motive durchs Gestrüpp zu stampfen. In den letzten zwei Wochen bekam ich von diesen Menschen viele schöne Tier- und Naturbilder in meiner Timeline auf Twitter zu sehen. Sie dokumentieren eindrucksvoll die Vielfalt der Tiere und Pflanzen im Ökosystem Wald.

Ein Kudu (Tragelaphus strepsiceros) im Zoo von Thoiry, Frankreich Quelle

Credit: Vassil Ein Kudu (Tragelaphus strepsiceros) im Zoo von Thoiry, Frankreich Quelle

Als technophiler Biologe denke ich aber über die heimische Diashow hinaus und erhoffe mir eine bessere Vermittlung der visuellen Erlebnisse durch die neuen digitalen Technologien. Anlass für diesen Optimismus geben mir neue Entwicklungen bei Virtual Reality-Brillen, selbst gesteuerten Drohnen und 360-Grad-Fotografie, die im März auf der CeBit in Hannover vorgestellt wurden.

Stell Dir vor Du setzt zu Hause einfach eine Brille auf und begibst Dich dann in einen Nationalpark in Kenia oder fliegst in einem Helikopter über den Urwald im Amazonasgebiet. Wie in der Realität kannst Du deinen Kopf beliebig bewegen, um Dich umzuschauen. Mit Virtual Reality (VR)-Brillen wird das in den nächsten Jahren möglich. Neben Facebook mit Oculus Rift steht HTC mit dem Modell Vive in den Startlöchern.

Damit Du Dich mit einer VR-Brille an einen anderen Ort begeben und Dich dort frei umschauen kannst, sind Aufnahmen erforderlich, die eine komplette Umgebung in einer 360-Grad-Ansicht festhalten. Die Luna-360-Kamera z. B. arbeitet mit zwei Fischaugen-Kameraobjektiven und fotografiert und filmt die Umgebung im Rundum-Modus.

Du kannst Dich bei deinem nächsten Ausflug in die Natur von einer Drohne verfolgen und filmen lassen. Lily heißt das Fluggerät, das Du einfach in die Luft wirfst und das Dir dann automatisch folgt. Deine Position ermittelt Lily anhand eines kleinen Chips, den Du mit Dir führst. Was die Drohne aufnimmt, lässt sich direkt auf die VR-Brille übertragen. Zusätzlich stellt Drohnenspezialist DJI ein neues Modell vor, das mit einer Wärmebildkamera ausgestattet ist, um beispielsweise auch unwegsame Gebiete nach vermissten Personen abzusuchen.

Wenn solche Geräte ähnlich wie Smartphones und Tablets für jedermann bezahlbar werden und auch die benötigte Software, dann hat die heimische Diashow bald ausgedient. Bis dahin werden noch einige Jahre ins Land gehen...

Zusätzlich glaube ich, dass in naher Zukunft Biologen und Geografen diese Technologien bei wissenschaftlichen Exkursionen in Ökosysteme nutzen werden. Unter wissenschaftlicher Anleitung werden dann für entsprechende Citzen Sciene-Projekte Informationen mittels Crowdsourcing gesammelt.

Übrigens, Kudus gehören zu den schönsten Tieren der Welt - falls Ihr das noch nicht wusstest ;-)

Cantors Einwand gegen Euklids Dimensionsbegriff

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Vor etwas mehr als zwei Wochen schrieb ich hier über die vier Raumdimensionen in der Kaluza-Klein-Theorie. Kaluza, Klein und die Stringtheoretiker fordern, dass die Anzahl der Raumdimensionen erhöht werden muss, um die vier Grundkräfte des Universums - schwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung, Elektromagnetismus und Schwerkraft - richtig verstehen zu können. Inwieweit diese Forderung berechtigt ist oder nicht wird die zukünftige physikalische Forschung vielleicht noch zeigen. Jedenfalls ging es dann in den Kommentaren zu diesem Blogartikel hoch her: Einige waren sehr aufgebracht und beschwerten sich über diese Art Physik zu betreiben. Meiner Meinung nach weniger aus physikalischen Gründen sondern mehr aus dem Grund, dass es ihrer naturphilosophischen Anschauung widersprach. Nun gut, so ist das halt mit der mathematischen Physik und dem Internet. Heute befasse ich mich mit dem sehr schwierigen Begriff Dimension und glaube, dass es diesmal in den Kommentaren nicht anders zu gehen wird. Ich lasse mich allerdings gerne positiv überraschen.

Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu.
Mathematiklehrer Brenneke in "Eduards Traum" von Wilhelm Busch (1832 - 1908)

Euklids Dimensionsbegriff

Für Euklid war die Dimension ein hierarchisches Konzept: Ein Punkt war der geometrische Grundbaustein, den man sich „nulldimensional“ vorstellte. Eine Gerade bestand aus einer Ansammlung von Punkten und war daher eindimensional. Wenn man zwei Geraden miteinander kombinierte, entstanden zweidimensionale Ebenen, und aus aufeinander gestapelten Ebenen entstand der dreidimensionale Raum. Dieses hierachische Konzept setzte stillschweigend stetige Bewegungen voraus: Punkte zeichnen eine Linie nach, Geraden fächern sich zu einer Ebene auf, und Ebenen fügen sich zu einem Raum zusammen.

Die Mathematiker stellten sich vor, dass die zweidimensionale Form eines Quadrats durch Aufeinanderstapeln von Strecken gleicher Länge zustande kommt. Wenn nun eine eindimensionale Strecke eine bestimmte Anzahl einzelner Punkte enthielt, dann glaubte man, dass ein Quadrat, das ja aus vielen solcher Linien bestand, wesentlich mehr dieser Punkte umfassen musste.

Cantors Bijektionen

Georg Cantor (1845-1918) widersprach dieser Vorstellung. Er fand eine eineindeutige1 Zuordnung zwischen den Punkten auf einer Strecke der Länge 1 und den Punkten im Quadrat mit Seitenlänge 1. Anders gesagt: Er stellte fest, dass man jedem Punkt auf der Strecke einen Punkt im Quadrat zuordnen kann und jedem Punkt im Quadrat einen (und nur einen) Punkt auf der Strecke.

Wie stellte Cantor das an? Zunächst schrieb er jeden Punkt auf der Strecke als Dezimalbruch – beispielsweise könnte einer dieser Punkte durch den Dezimalbruch 0,24986754... dargestellt werden. Diesem ordnete er nun einen Punkt im Quadrat mit den Koordinaten (x, y) zu, indem er die Ziffern des Dezimalbruchs abwechselnd auf x und y aufteilte, so dass sich in diesem Beispiel der Punkt mit den Koordinaten x = 0,2965... und y = 0,4874... ergibt. Wenn wir umgekehrt einen Punkt im Quadrat mit den Koordinaten (x, y) herausgreifen, dann können wir die Dezimalziffern von x und y miteinander verschränken, so dass wieder ein Dezimalbruch herauskommt, der einen Punkt auf der Strecke angibt.

Cantors eineindeutige Zuordnung zwischen Strecke und Quadrat

Cantors eineindeutige Zuordnung zwischen Strecke und Quadrat

 

Die Folgerung: Eine Strecke enthält genau so viele Punkte wie eine Fläche, nämlich überabzählbar unendlich viele.

Was Cantor sich da ausgedacht hatte, widersprach aller Intuition, sogar seiner eigenen. Im Jahr 1877 schrieb er an den Mathematiker Richard Dedekind: „Ich sehe es, aber ich kann es nicht glauben.“

Durch Cantors Methode stellte es jetzt auch keine besondere Herausforderung mehr dar, eine eineindeutige Zuordnung zwischen einer Strecke und einem dreidimensionalen Würfel herzustellen (man verwende dieselbe Methode mit jeder dritten Dezimalziffer). Für Mathematiker ließ die eineindeutige Zuordnung, die Cantor ersonnen hatte, allerdings noch eine Eigenschaft vermissen. Sie war nicht stetig.
Cantor konnte also nicht garantieren, dass Punkte in der Nähe eines ausgewählten Punkts auf der Strecke auch auf Punkte in der Nähe von dessen Bildpunkt im Quadrat abgebildet wurden. 25 Jahre später konnte der Mathematiker Luitzen Brouwer zeigen, dass es nicht möglich ist, Objekte verschiedener Dimensionen mittels einer stetigen eineindeutigen Zuordnung miteinander zu verbinden.

Cantor brachte also die Mathematiker ins Grübeln, aber es kommt noch besser: Für Euklid bedeutete Dimension soviel wie "Anzahl der Ausdehnungen". Nun kam Benoît B. Mandelbrot (1924-2010) und zeigte, dass die Zahl der Dimensionen nicht auf ganze Zahlen wie 1, 2 oder 3 beschränkt ist. Es gibt sogenannte fraktale Dimensionen, die beliebige Werte annehmen können. Es kann zum Beispiel ein Objekt, mit der Dimension 2,34 geben. Wer mehr über diese fraktalen Dimensionen erfahren möchte empfehle ich den lesenswerten Artikel „Was sind fraktale Dimensionen?“ von Florian Freistetter.

Fußnoten

1. "eindeutig" heißt wörtlich: hat nur eine Deutung; und übertragen: nur einen Wert."eineindeutig" heißt: hat nur einen Wert und ist das einzige, was diesen Wert hat. Bei den Funktionen hast du für jedes x genau ein y, für irgendein y aber kann es z. B. bei der Funktion y = x2 verschiedene x geben. Für z. B. y = 4 nämlich x = 2 und x = -2. Wenn die Eindeutigkeit auch in die andere Richtung geht, nennt man das Ganze "eineindeutig".

Zur Veranschaulichung kann man sagen, dass eine vollständige Paarbildung zwischen den Elementen von Definitionsmenge und Zielmenge stattfindet (Bijektion). Bei einer Bijektion haben die Definitionsmenge und die Zielmenge stets dieselbe Mächtigkeit. Im Falle, dass eine Bijektion zwischen zwei endlichen Mengen vorliegt, ist diese gemeinsame Mächtigkeit eine natürliche Zahl, nämlich genau die Anzahl der Elemente jeder der beiden Mengen.

Die Grundlage einer wunderbaren Mathematik

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In meinem letzten Artikel „Cantors Einwand gegen Euklids Dimensionsbegriff“ machte Leser KRichard folgenden Kommentar:

Es muss auch erlaubt sein, sich über Sinn oder Unsinn von Denkmodellen Gedanken machen zu dürfen.
Zur Idee des nulldimensionalen Punktes: Dieser hätte für L, Br, H jeweils den Wert 0. Will man mehrere Punkte zu einer Linie zusammensetzen, dann braucht man dazu bereits ein mathematisches Wunder, welches die Eigenschaft Länge erzeugt. Um Breite zu erhalten, braucht es noch einmal ein mathematisches Wunder - denn sonst könnte man Linien nicht zu einer Fläche nebeneinander legen. Und ein drittes Wunder ist notwendig, damit die Höhe einer Linie/Fläche erzeugt werden kann.
Kurz gesagt - die Idee, aus nulldimensionalen Punkten einen Raum zu bilden, beruht auf Grundlage Wunder-barer Mathematik....

KRichard, 24. Mai 2016 10:07

Leser KRichard hat Recht und Unrecht. Recht hat er mit der Aussage, dass man sich Gedanken machen soll zu Sinn und Unsinn von Denkmodellen. Unrecht hat er mit der Aussage, dass die Idee des nulldimensionalen Punktes mathematisch nichts taugt. Ich möchte das am Beispiel der endlichen Linie erläutern.

Eine Linie endlicher Länge enthält eine Menge überabzählbar1 unendlicher vieler Punkte. Da die Linie eine endliche Länge hat, muss jeder Punkt eine Länge von null haben. Gäbe es nämlich unendliche viele Punkte von gleicher positiver Länge, wie kurz auch immer, so wäre die ganze Linie unendlich lang. Aber wie kann eine Linie endlich lang sein, wenn die Punkte jeweils eine Länge von null haben? Unsere Intuition sagt uns, dass die Summe von vielen Nullen null sein muss, und das ist gewiss auch so, wenn es unendlich viele gibt, sogar dann, wenn sie abzählbar unendlich sind2.

Aber es gibt keine Definition für die Summe von überabzählbar vielen Längen und zwar unabhängig davon, ob diese positiv oder alle gleich null sind. Die Summe von überabzählbar vielen Nullen ist ebenso wenig definiert wie die Teilung durch Null. Also folgt nicht, dass die Linie eine Länge von null hat. Im Gegenteil, die Länge einer endlichen Linie muss unabhängig sein von der Anzahl der Punkte, die sie enthält – eine Linie von einem Millimeter hat ebenso viele Punkte wie eine Linie, die einen Meter misst. Selbst angenommen, dass überabzählbare Summen definiert wären, so könnten sie uns doch nicht die Längen angeben.

Deshalb halten wir an der Idee fest, dass eine endliche Linie aus überabzählbaren unendlich vielen Punkten mit jeweils einer Länge von null besteht. Es wäre ein Fehler, die Definitionen von endlichen und abzählbaren Summen auf überabzählbare Summen auszudehnen. Es würde uns nämlich daran hindern, eine widerspruchsfreie Theorie der Messung zu formulieren – eine konsistente Theorie von, Länge, Fläche und Volumen. Mathematiker nennen diese Theorie „Maßtheorie“, eine Theorie, die mit Mengen von Punkten, d.h. „Punktmengen“, anstatt mit einzelnen Punkten arbeitet. Ein Intervall ist eine Menge und wann immer wir ein Intervall halbieren, teilen wir es in zwei Mengen.

Fußnoten

1. Eine Menge heißt überabzählbar, wenn sie nicht abzählbar ist. Eine Menge ist abzählbar, wenn sie entweder endlich ist oder eine Bijektion zur Menge der natürlichen Zahlen existiert. Eine Menge ist also genau dann überabzählbar, wenn ihre Mächtigkeit (entspricht der Anzahl der Elemente bei endlichen Mengen) größer ist als die der Menge der natürlichen Zahlen. Cantors zweites Diagonalargument ist sein zweiter mathematischer Beweis dafür, dass die Menge der reellen Zahlen überabzählbar ist.

2. Oder wie der Kölner sagt: "Vun nix kütt nix"

Löws Hosengate: Die Evolution ist schuld

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Wie das? wird sich der erstaunte Leser fragen. Hier die kurze Antwort. Die Anatomie des menschlichen Hodensacks ist zwei besonderen Schritten der Wirbeltier-Evolution geschuldet: dem Landgang und der Entwicklung einer relativ hohen konstanten Körpertemperatur bei den Säugetieren. Im Hodensack befinden sich die Hoden1, die männlichen Keimdrüsen in denen die Samenzellen gebildet werden. Bevor der menschliche Embryo zwei Monate alt ist zeigt er nur allgemeine Anlagen für die Geschlechtsorgane – diesen können sich in Abhängigkeit vom Hormonstatus im Embryo entweder zu männlichen oder weiblichen Geschlechtsorganen entwickeln. Welcher Weg eingeschlagen wird hängt von einer Gruppe von Genen ab. Im Jahr 1990 entdeckten britische Forscher auf dem Y-Chromosom ein Gen, das für die Entwicklung der Hoden benötigt wird. Sie nannten es SRY, was für „Sex determining region of Y-Gen" steht. Bei der Abwesenheit von SRY2 entwickeln sich in den Gonadenanlagen Eierstöcke. Die Forscher betonten, dass die An- oder Abwesenheit von SRY nur der Auslöser für die weitere Entwicklung der Geschlechtsorgane ist, deren physiologischen und anatomischen Aspekte komplex sind und an dem viele Gene beteiligt sind.

Ursprünglich lagen die Keimdrüsen beider Geschlechter im Inneren des Körpers, was sie bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln noch immer tun. Selbst bei den ursprünglichen Säugetieren, den eierlegenden Kloakentieren3, liegen die Keimdrüsen im Inneren des Körpers.

Auch beim Menschen befinden sich die Eierstöcke, die weiblichen Keimdrüsen, im Inneren des Körpers. Die Hoden entstehen zwar in der Bauchhöhle, wandern aber beim Menschen. Schwein und Hase kurz vor der Geburt, bei Nagetieren erst zur Pubertät, durch den Leistenkanal in den Hodensack (Skrotum). Biologen nennen diesen Vorgang Hodenabstieg (Descensus testis). Bei Hamster und Fledermäusen findet ein saisonaler Hodenabstieg statt: die Hoden liegen nur zur Paarungszeit außerhalb der Bauchhöhle. Bei Pferden geschieht der Hodenabstieg im Zeitraum von 30 Tagen vor bis 10 Tage nach der Geburt. Kommt es nicht zu einem Hodenabstieg, spricht man von Kryptorchismus. Bei einer Körung werden beide Hoden vermessen. Wichtig für den Züchter und den behandelnden Tierarzt ist vor allem die Frage, wann ein Hengst mit einseitigem oder beidseitigem Hodenhochstand mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kryptorchide bleiben wird und kastriert werden muss bzw. von der Zucht ausgeschlossen werden muss. Es gibt allerdings Säugetiergruppen, bei denen die Hoden generell in der Bauchhöhle verbleiben, die sogenannten Testiconda. Dabei können die Hoden am Ort der Anlage verbleiben, wie bei den Elefanten, oder absteigen, aber dennoch in der Bauchhöhle verweilen.

Der Hodenabstieg ist bei einigen Säugetieren der Tatsache geschuldet, das die Samenzellen nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs lebensfähig bleiben, der einen Wert von ca. 35 °C nicht übersteigen sollte. Da bei uns Menschen die Körpertemperatur dummerweise 37 °C beträgt, behalf sich die Evolution damit, die Hoden kurzerhand aus der Bauchhöhe auszulagern und in einem Hautsack zwischen den Beinen, einem kühleren Ort, anzusiedeln. Während des Hodenabstiegs wird die Bauchhöhle ausgeweitet und an der Durchtrittsstelle bleibt eine Öffnung zurück. Sie ist natürlich nicht zu sehen, da sie von Haut bedeckt wird. Durch Gewebe, manchmal sogar eine Darmschlinge, das aus dieser Öffnung austritt, entstehen die sogenannten Leistenbrüche, die äußerst schmerzhaft sein können und bei Männern neunmal häufiger auftreten als bei Frauen.

Die Hand mit der sich Löw....entstand erst nach dem Landgang der Wirbeltiere. Sie ist das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels von Nerven und Muskeln, Knochen und Bändern. Neun verschiedene Muskeln bewegen allein den Daumen. Einige dieser Muskeln enden an Knochen innerhalb der Hand, andere reichen bis in den Arm.

Übrigens - auch andere Säugetierarten haben Hände. Bei den fünf Fingern des Schimpansen würde wohl niemand widersprechen. Aber auch die Hände der Fledermaus sind genau so gebaut: Fünf Finger münden in ein bewegliches Handgelenk; zusammen mit den gleichen Armknochen, wie sie der Mensch hat, spannen sie eine Flughaut auf.

Fußnoten

1. Als Biologe, der Wissenschaftskommunikation ernst nimmt, muss ich die umgangssprachlich oft verwendete Bezeichnung „Eier“ natürlich ablehnen. Hoden sind Organe, Eier sind Eizellen und nur Frauen bilden Eizellen und zwar in den Eierstöcken. Die Haut des Hodensacks findet ihre Entsprechung bei der Frau in den großen Schamlippen.

2. In sehr seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:100.000 bei Frauen) kann das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom fehlen oder durch Mutationen inaktiviert sein, wodurch Menschen mit diesem Gendefekt sich zu sterilen XY-Frauen entwickeln, die ein männliches genetisches Geschlecht haben. Diese Frauen haben eine Gebärmutter, Klitoris, Vagina. Während der Pubertät bleibt jedoch die Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale wie Brustentwicklung, und Menstruation aus. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10.000 bei Männern) kommt es durch ein Crossing-over zu einer Übertragung des SRY-Gen auf das X-Chromosom. Dadurch entstehen sterile XX-Männer, mit weiblichem genetischen Geschlecht. Sie haben männliche innere und äußere Geschlechtsorgane, jedoch meist kleine Hoden.

3. Bei den Kloakentieren münden Harn- und Geschlechtswege zusammen mit dem Enddarm in einen gemeinsamen Ausführgang, die Kloake. Über die Kloake werden sowohl Urin und Kot ausgeschieden als auch der Austausch der Keimzellen und die Ablage der Eier erfolgen. Zur Ordnung der Kloakentiere (Monotremata) gehören die Familien: Ameisenigel (Tachyglossidae), Schnabeltiere (Ornithorhynchidae)

Weiterführende Literatur

Entwicklung der Geschlechtsorgane beim Menschen

Factors controlling testis descent

Kleisner K, Ivell R, Flegr J. (2010) The evolutionary history of testicular externalization and the origin of the scrotum. J Biosci., 35(1), 27-37.


Game of Insect Males

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Der amerikanische Fernsehsender HBO kündigte für den Start der sechsten Staffel von Game of Thrones (GoT) den 24. April an und zeigte bereits drei neue Teaser-Trailer. Zwar sehen die GoT-Fans darin keine Szenen aus den neuen Episoden, dennoch versprechen die kurzen Clips, dass auch in der neuen Staffel wieder spektakuläre Kämpfe um den Eisernen Thron von Westeros bevorstehen. Um die drei Wochen bis zum Staffelstart mit einem Blogartikel „aus dem Genre“ zu überbrücken, dachte ich mir: schreib doch mal darüber wie die Männchen bei promiskuitiven1 Insekten ihre Vaterschaft sichern. Denn genau wie die Adelsfamilien bei GoT verwenden diese Insektenmännchen Heimtücke, List und Intrigen um ihre Konkurrenten auszustechen.

„It’s the family name that lives on. It’s all that lives on. Not your personal glory, not your honor… but family.

Tywin Lannister

GoT-Fans wissen, dass der wahre Vater von Joffrey Baratheon nicht König Robert Baratheon ist.

Joffrey Baratheon, der König auf dem Eisernen Thron, gründete das Haus Baratheon von Königsmund. Als ältester Sohn und Nachkomme von König Robert und Königin Cersei stand ihm nach dem Recht von Westeros der Thron zu. Joffreys Wappen zeigt auf der linken Seite den Hirsch seines Vaters Robert Baratheon und auf der rechten Seite den Löwen seiner Mutter Cersei Lennister.

Abb.1: Joffrey Baratheon, der König auf dem Eisernen Thron, gründete das Haus Baratheon von Königsmund. Als ältester Sohn und Nachkomme von König Robert und Königin Cersei stand ihm nach dem Recht von Westeros der Thron zu. Joffreys Wappen zeigt auf der linken Seite den Hirsch seines Vaters Robert Baratheon und auf der rechten Seite den Löwen seiner Mutter Cersei Lannister.

Evolution der Anisogamie

Lange lange Zeit bevor Insekten die Erde bevölkerten waren männliche und weibliche Gameten einander in Form und Größe sehr ähnlich. Daher bezeichneten Fortpflanzungsbiologen diese Gameten als Isogameten. Durch disruptive Selektion wurden die männlichen Keimzellen kleiner, bekamen Geißeln und wurden beweglich, die weiblichen Keimzellen reicherten Zytoplasma an und wurden größer. Es kam zur Evolution der Anisogamie, deren Ursache Evolutionsbiologen darin sehen, dass mittelgroße Gameten zu groß waren um viele von Ihnen zu produzieren; dadurch wurde die Fruchtbarkeit der Männchen eingeschränkt: Sie waren aber auch zu klein um Embryogenese ohne zusätzliches Zytoplasma zu gestatten, dadurch wurde die Überlebensfähgkeit des Nachwuchs eingeschränkt. Es kam zu einer Arbeitsteilung: Während die Männchen viele sehr kleine Samenzellen erzeugten, produzierten die Weibchen nur wenige sehr große Eizellen, die genug Zytoplasma enthielten damit es der Nachwuchs bis zur Geburt schafft.

Männliche und weibliche Fortpflanzungsstrategien um die direkte Fitness zu erhöhren

Insekten investieren Zeit, Energie und Ressourcen für Paarungen und Brutpflege (Parental Investment). Der Return on Investment wird in überlebenden Nachkommen gemessen und als direkte Fitness bezeichnet. Durch die Anisogamie entstand für die Geschlechter eine Asymmetrie im Parental Investment für die Nachkommen: Da Weibchen meist nur wenige große Eizellen zur Befruchtung produzieren, investieren sie relativ viel pro Gamet. Ihre optimale Fortpflanzungsstrategie, um ihre direkte Fitness zu erhöhen, besteht darin, sich mit einem Männchen zu paaren, dessen Gene einen möglichst großen Beitrag zu der Überlebensfähigkeit ihrer gemeinsamen Nachkommen liefern (Partnerwahl, Inter-sexuelle Selektion).

Männchen produzieren mehrere Zehnerpotenzen mehr Samenzellen als Weibchen Eizellen. Sie investieren relativ wenig pro Gamet. Ihre optimale Fortpflanzungsstrategie, um ihre direkte Fitness zu erhöhen, besteht darin, sich mit so vielen Weibchen wie möglich zu paaren. Da die Anzahl der rezeptiven Weibchen aber begrenzt ist, konkurrieren die Männchen um die Weibchen (Männchen-Konkurrenz, Intra-sexuelle Selektion).

Eine wichtige Konsequenz dieser Asymmetrie ist, dass die Variation in der Zahl der Nachkommen bei den Männchen in der Regel grösser ist als bei den Weibchen – dieses Phänomen wird als Bateman’s Prinzip bezeichnet. Dabei ist zu beachten, dass sich zwar die Variation unterscheidet, aber beide Geschlechter im Mittel pro Kopf gleichviele Nachkommen hinterlassen. Das Geschlechterverhältnis in einer Population ist nur stabil, falls im Mittel beide Geschlechter gleichen Erfolg haben.

Um Missverständnissen vorzubeugen – was ich hier beschreibe ist nicht der Kampf der Geschlechter (engl. battle of sexes). Der Kampf der Geschlechter ist ein Problem aus der Spieltheorie2 und beschreibt ein Koordinationsspiel mit Verteilungskonflikt: Ein Paar will gemeinsam den Abend verbringen, vergisst aber, sich über den Ort zu einigen. Möglich ist entweder ein Fußballspiel oder ein Konzert. Mann und Frau müssen sich unabhängig voneinander entscheiden. Das Fußballspiel wird von dem Mann, das Konzert von der Frau bevorzugt. Das Problem dieses Spiels ist nun, dass es keine dominanten Strategien gibt. Wenn die beiden Spieler gleichzeitig ihre Lieblingsalternative (Frau geht ins Konzert, Mann zum Fußball.) wählen, kommt es zu keinem Treffen, was für beide nicht optimal ist. Sie würden in diesem Fall doch lieber an den Ort gehen, den der jeweils andere bevorzugt – Hauptsache, sie sind zusammen. Wenn aber beide so denken und dem anderen entgegenkommen möchten, treffen sie sich wieder nicht.

Nach diesem kleinen Exkurs nun zurück zu den Insektenmännchen: Aus Partnerwahl und Männchen-Konkurrenz resultiert ein Selektionsdruck, der als sexuelle Selektion bezeichnet wird. Sie bevorzugt diejenigen Männchen, denen es gelingt, sich am effektivsten fortzupflanzen.

Sich zu paaren ist nicht schwer Vater werden dagegen sehr

Wenn sich zwei Insekten paaren, überträgt das Männchen Sperma in eine spezielle Samentasche des Weibchens, die Spermatheka. Wenn das Weibchen seine Eier ablegt, entläßt es jedesmal, sobald ein Ei den Zugang zur Spermatheka passiert, ein wenig Samenflüssigkeit und befruchtet so das Ei.  Für die Männchen von Arten, die sich mehr als einmal paaren, werfen diese anatomischen Tatsachen Probleme auf: Das Sperma, das vom Weibchen jeweils freigesetzt wird, stammt in der Regel von der letzten Paarung. Die sogenannte Spermienverdrängung funktioniert also generell nach dem Motto „Die Letzten werden die Ersten sein“ – eine unangenehme Sache für das betroffene Männchen. Es hat vielleicht erhebliche Zeit und Energie investiert, um ein Weibchen zu finden und zu umwerben, und doch wird das Sperma eines Männchen nach ihm die Eier seiner Partnerin befruchten. Doch viele Insektenmännchen haben Methoden entwickelt, um ihre Vaterschaft abzusichern.

Das Matron

Männchen vieler Mückenarten besitzen in ihrer Samenflüssigkeit einen Duftstoff, das sogenannte Matron, mit dem ihre Partnerin für andere Männchen unattraktiv wird. Sie verwenden also einen pheromonischen Keuschheitsgürtel.

Verschlusssache Eizelle

Bei dem Gelbbrandkäfer (Dytiscus marginalis) verschließen die Männchen die Geschlechtsöffnung des Weibchens mit einem undurchdringlichen geleeartigen „Paarungspfropf“. Das Weibchen kann sich erst dann wieder paaren, wenn sie den Pfropf durch Eiablage beseitigt hat.

Abb.1: Der Gelbbrandkäfer (Dytiscus marginalis) Links das Männchen, rechts das Weibchen

Abb.2: Der Gelbbrandkäfer (Dytiscus marginalis) links das Männchen, rechts das Weibchen

Spermienkonkurrenz im Körper des Weibchens

In den letzten Jahren fanden sich immer mehr Hinweise für eine intra-sexuelle Selektion, die nach der Paarung, im Körper des Weibchens stattfindet: Die Spermien der verschiedenen Männchen konkurrieren hier direkt um die Befruchtung der Eizellen. Spermienkonkurrenz ist eine Erweiterung der Männchen-Konkurrenz, da hier nicht Paarung mit Fortpflanzungserfolg gleichgesetzt wird, sondern berücksichtigt wird, daß ein Männchen, welches sich mit einem Weibchen verpaart hat, nicht notwendigerweise der Vater der Nachkommen ist.

Das Aufräumkommando

Auch wenn das Männchen verhindern kann, das andere Männchen unmittelbar nach ihm mit demselben Weibchen kopulieren, müssen sich seine Spermien noch gegen die Konkurrenz von Spermien aus früheren Paarungen des Weibchens durchsetzen. Bei vielen Libellenarten haben Männchen eine sehr spektakuläre Methode zum Ausschalten dieser Konkurrenz entwickelt: Sie räumen alte Spermien aus dem Receptaculum des Weibchens aus, bevor sie ihre eigenen Spermien übertragen. Das Kopulationsorgan (sekundärer Penis) männlicher Libellen ist für diese Aufgabe speziell modifiziert. Vor allem bei verschiedenen Kleinlibellen (Zygoptera) besitzt das Kopulationsorgan Haken, Bürsten und Vorsprünge, mithilfe derer Männchen die Spermien der Vorgänger weitgehend aus dem Receptaculum oder der Bursa copulatrix entfernen können. Da dieses Samenausräumen sehr effektiv ist sichert sich das Männchen seine Vaterschaft. Voraussetzung ist jedoch, dass das Weibchen mit seinem Samen zur Eiablage ohne weitere Paarung übergeht, denn die Eier werden erst direkt bei der Oviposition befruchtet. Bei vielen Libellenarten bewachen daher die Männchen die Weibchen bei der Eiablage.

Ein Männchen der Großen Pechlibelle (Ischnura elegans). Sie gehört zu den Kleinlibellen (Zygoptera).

Abb.3: Ein Männchen der Großen Pechlibelle (Ischnura elegans). Sie gehört zu den Kleinlibellen (Zygoptera).

Drücken Sie die Eject-Taste

Während der Kopulation stimulieren die Libellen-Männchen von Calopteryx haemorrhoidalis asturica mit Hilfe einer Genitalstruktur, dem Aedeagus, kutikuläre Platten im weiblichen Genitaltrakt, die mechanorezeptive Sensillen tragen. Diese Stimulation resultiert in einem Ausstoß von Samen von vorhergehenden Paarungen aus den weiblichen Samenspeicherorganen, den Spermatheken.

Prinzip Wasserwerfer

Wenn das Männchen eine große Menge an flüssigem Ejakulat unter Druck in das Receptaculum injiziert, können Spermien aus früheren Kopulationen aus dem Receptaculum herausgespült werden. Beim Kurzflügelkäfer (Aleochara curtula) deponiert das Männchen bei der Begattung ein Samenpaket (Spermatophore) im Receptaculum, das dort zu einem Schlauch auswächst und so bis zur Samentasche gelangt. Bevor sich die Spermien in dieses Gefäß ergießen, bläht sich der Samenschlauch zu einem Ballon auf, der eventuelle Spermienvorräte aus vorherigen Kopulationen verdrängt. Der Ballon platzt dann und entlässt die eigenen Spermien.

Kryptische Wahl

Es gibt auch eine inter-sexuelle Selektion, die nach der Paarung, im Körper des Weibchens stattfindet: die Kryptische Wahl (Cryptic Female Choice). Die kryptische Wahl ist eine Erweiterung der Partnerwahl, da hier nicht Paarung mit Vaterwahl gleichgesetzt wird. Unter dieser Bezeichnung versteht man Phänomene der differentiellen Befruchtung bzw. Entwicklung der Zygote, je nach Vaterschaft. Weibchen paaren sich mit mehreren Männchen, um dann später in Ruhe qualitativ hochwertige Spermien eines Top-Männchens für die Befruchtung auszuwählen und die minderwertige Gene eines Ungenügenden von ihren Eiern fernzuhalten. Ebenso können befruchtete Eier sich entwicklen oder abortiert werden und damit eine Auswahl unter verschiedenen Vätern bewirken. Die Mechanismen, mit denen die Kryptische Wahl umgesetzt wird, sind noch nicht verstanden.

Fußnoten

1. Promiskuität bedeutet, dass sowohl Männchen als auch Weibchen mit verschiedenen Paarungspartnern kopulieren.

2. Ein sehr interessanter Forschungszweig ist übrigens die Evolutionäre Spieltheorie: Sie erforscht evolutionärer Prozesse, Ausbreitung und Verteilung von Verhaltensmustern in Tierpopulationen durch natürliche Selektion, Ausbreitung von Infektionen, mit Methoden und Modellen der Spieltheorie.

Weiterführende Literatur

Parker, Geoffrey A. 1970. Sperm competition and its evolutionary consequences in the insects, Biological Reviews 45: 525–567.

A. Córdoba-Aguilar, E. Uhía and A. Cordero Rivera (2003). Sperm competition in Odonata (Insecta): the evolution of female sperm storage and rivals‘ sperm displacement. Journal of Zoology, 261, pp 381-398. doi:10.1017/S0952836903004357.

Bildnachweis

Abb.3: Ein Männchen der Großen Pechlibelle (Ischnura elegans). Sie gehört zu den Kleinlibellen (Zygoptera).
Autor: Soebe
Datum: 3.7.2005
Titel: A photo of Ischnura elegans
Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Male_of_Ischnura_elegans_III.jpg
Lizenz: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

Der Beitrag Game of Insect Males erschien zuerst auf Die Sankore Schriften.

Besorgte Bürger: Furcht als Mittel der Manipulation

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Die Mutter des vierjährigen Torst Teehofer erzählt ihm, der nicht schlafen will, abends die Geschichte vom Sandmann:

„Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu Bett gehn wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.“

Was diese Grausamkeiten in dem kleinen Jungen auslösten, beschreibt der nun erwachsene Torst wie folgt:

„Gräßlich malte sich nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; so wie es Abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen. Nichts als den unter Tränen hergestotterten Ruf: der Sandmann! der Sandmann! konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht über quälte mich die fürchterliche Erscheinung des Sandmanns“

Der Sandmann ist eine Kinderschreckfigur, sie ist nicht real. Ließe sich Torsts Furcht nicht ganz einfach beseitigen, indem seine Mutter dem Jungen die Wahrheit erzählt? Wir können uns vor etwas fürchten, das in Wahrheit nicht existiert. Es scheint jedoch so zu sein, als müssen wir zumindest glauben, dass es existiert.  Halt! So einfach ist es nicht.

Wir fürchten uns vor Freddy Krueger, einem erfundenen Filmbösewicht. Solange wir in dem Film versunken sind, glauben wir vorübergehend an die Existenz dieser fiktiven Figur. Im allgemeinen wissen wir jedoch, dass wir im Kino sitzen und einen Film schauen. In der Tat sprechen wir von einer „Aussetzung des Unglaubens“, wenn wir uns in eine Fiktion vertiefen, und wenn diese genuine wäre, wie vielleicht beim Träumen, so würde diese Paradoxie der Fiktion verschwinden. Bedeutet das, dass unsere Furcht widersprüchlich oder inkohärent ist?

„Pauke Fretry meldet sich bei der Polizei. Sie wolle Anzeige gegen ihren Nachbarn Hans Richter erstatten. Bereits seit einem halben Jahr verschaffe er sich immer wieder heimlich Zugang zu ihrer Wohnung und stehle dort Tassen aus ihrem Küchenschrank, um sie einzuschüchtern. Sie habe nun nicht mehr alle Tassen im Schrank, weil sie einige, um sie vor Diebstahl zu schützen, ins Schlafzimmer unter das Bett gestellt hat. Sie müsse sich vor diesem Mann sehr in Acht nehmen, schließlich habe er über seinen Sohn Thomas, der beim Verfassungsschutz arbeitet, direkte Kontakte zum Bundesnachrichtendienst, von dem sie inzwischen auch beschattet werde. Kürzlich hatte sie in ihrer Jackentasche einen Kugelschreiber gefunden, der nicht ihr gehöre. Da er sich nicht hat aufschrauben lassen, könne sich darin nur ein GPS-Sender befinden, der einem Überwachungssatelliten ihre genaue Position mitteile“

Pauke Fretry leidet unter Verfolgungswahn und fürchtet sich vor ihrem Nachbarn, der im Gegensatz zum Sandmann eine reale Person ist. Sie hat das Gefühl, von ihm beobachtet ausspioniert, verfolgt und drangsaliert zu werden. Pauke Fretry hat keine spezifische Phobie. In dem Fall würde sie den Nachbarn meiden und wüsste gleichzeitig, dass ihre Furcht übertrieben ist und in Wirklichkeit keine Gefahr besteht.

„Furcht ist der Pfad zur dunklen Seite. Furcht führt zu Wut…Wut führt zu Hass… Hass führt zu unsäglichem Leid.“
Yoda

Torheit der Furcht, ein Gemälde von Francisco José de Goya y Lucientes (1746-1828) aus dem Zyklus Los Disparates (Torheiten). Man sieht Soldaten in panischer Flucht vor einer monumentalen Kapuzengestalt davoneilen. Mit dieser Figur, die sich erst auf den zweiten Blick als Attrape erweist - denn ihr Auftritt wird offenbar von jener grinsenden Figur, die aus einer Kleiderfalte hervorlugt, inszeniert.

Torheit der Furcht, ein Gemälde von Francisco José de Goya y Lucientes (1746-1828) aus dem Zyklus Los Disparates (Torheiten). Man sieht Soldaten in panischer Flucht vor einer monumentalen Kapuzengestalt davoneilen. Mit dieser Figur, die sich erst auf den zweiten Blick als Attrape erweist – denn ihr Auftritt wird offenbar von jener grinsenden Figur, die aus einer Kleiderfalte hervorlugt, inszeniert.

Goebbels Auftragsfilm Jud Süß: Von allem etwas

Der Spielfilm „Jud Süß“ erzählt, in historisch verfälschender und rassistischer Weise, die Geschichte vom jüdischen Bankier und Juwelier Jud Süß Oppenheimer (1692-1738), der im 18. Jahrhundert Finanzberater des Herzogs Karl Alexander ((1684-1737) von Württemberg wird.

Reichspropagandaminister Joseph Goebbels persönlich gab den Spielfilm in Auftrag und überwachte seine Entstehung. Er schreibt über den Film am 18. August 1940 in sein Tagebuch:

„Ein ganz großer, genialer Wurf. Ein antisemitischer Film, wie wir ihn uns nur wünschen können. Ich freue mich darüber“.

Am 5. September 1940 wurde „Jud Süß“ auf den Filmfestspielen in Venedig unter großem Beifall des deutsch-italienischen Publikums uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung fand am 24. September in Anwesenheit von Goebbels und anderen hohen Vertretern aus Politik und Film im Berliner Ufa-Palast statt. Bekannte Schauspieler wie Heinrich George und Kristina Söderbaum spielten unter der Regie von Veit Harlan die Hauptrollen. Ausgezeichnet mit den Prädikaten „politisch und künstlerisch besonders wertvoll“ und „jugendwert“ wurde „Jud Süß“ in Deutschland zu einem Publikumserfolg, der bis 1945 mehr als 6,2 Millionen Reichsmark einspielte.

Es war Goebbels Wunsch mittels einer Schreckfigur und dem Medium Film eine Massenfurcht in der deutschen Bevölkerung auszulösen. Diese Furcht sollte das Feindbild des Juden festigen. Bis heute ist „Jud Süß“ ein Vorbehaltsfilm. Vorbehaltsfilme dürfen aufgrund ihres kriegsverherrlichenden, rassistischen oder volksverhetzenden Charakters nur in geschlossenen Veranstaltungen, etwa im Rahmen der politischen Bildungsarbeit, gezeigt werden mit vorangehender Einführung eines Referenten und anschließender Diskussion.

Wer benutzt heute welche Schreckfigur um uns welche Furcht einzujagen? Inwieweit kann uns Aufklärung wirklich diese Furcht nehmen?

„Furcht führt zur Bereitschaft der Menschen, das Schlimmste zu glauben.“
Curtius Quintus Rufus

Was Goebbels beabsichtigt hat, erreichen rechte Gruppen heute mittels Facebook und YouTube viel billiger, schneller und mit größerer Reichweite. Die Rechten schaffen eine Schreckfigur und die dazu gehörige Gruselgeschichte. Hinzu kommt jedoch eine neue perfide Methode: Die große Geschichte wird nicht mehr aktiv in einem Stück erzählt wie in einem Spielfilm. Vielmehr setzt sich der Zuschauer aus einzelnen kleinen Episoden (wie in einer Fernsehserie), die die Rechten täglich liefern, seine eigene individuelle Gruselgeschichte in seinem Kopf zusammen. Plakativ gesagt: „Jud Süß“ war Fertiggericht, rechte Hetze auf Social Media ist Buffet. Wie im Marketing segmentieren die Rechten ihre „Kunden“. Sie wissen:

„Die gesamte Menschheit fürchtet sich unaufhörlich: vor Krankheit, Tod, Verlusten. Jeder hat noch extra seine private Lieblingsfurcht, die er hätschelt. Jede Kleinigkeit, ein zufälliges Wort bringt ihm den ganzen Schrecken als einen Stoß ins Bewußtsein, der wie ein Strom hereinbricht und Schaden anrichtet.“
Prentice Mulford

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SFPQ transportiert spezifische mRNAs vom Zellkern in das distale Axon

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In den Nervenzellen des Hippocampus1 eines Alzheimer-Patienten sorgt das Protein Tau dafür, dass sich das RNA-Bindungsprotein SFPQ nicht mehr im Zellkern befindet, sondern nur noch im Zytoplasma. Während die Krankheit fortschreitet nimmt zusätzlich in einer benachbarten Region des Hippocampus, dem entorhinalen Kortex2, die Menge an SFPQ kontinuierlich ab. Als meine Kollegen und ich diese molekularen Symptome erstmals entdeckten [1] konnten wir diese weder mit einem Mechanismus erklären noch wussten wir welche Folgen das für die betroffenen Nervenzellen haben wird (Wir vermuteten aber keine guten.).

Heute, 4 Jahre später, wissen wir viel mehr über die verschiedenen Funktionen von SFPQ in Nervenzellen und die Folgen welche sein Fehlen im Zellkern für die Nervenzellen hat. Ein Forscherteam um Katharina E Cosker von der Harvard Medical School in Boston publizierte in Nature Neuroscience eine Arbeit [2], die zeigt dass, SFPQ die Neurotrophin-abhängige Überlebensfähigkeit von Axonen fördert.

Als Axon (siehe Abb.1) wird der Fortsatz einer Nervenzelle bezeichnet, der elektrische Nervenimpulse vom Zellkörper wegleitet. Es beginnt am so genannten Axonhügel als Ausstülpung des Nervenzellkörpers (Perikaryon) und enthält ein hochdifferenziertes Zytoskelett sowie einige Zellorganellen wie z.B. Mitochondrien, Ribosomen, RNA-Granula.

Die für die Funktion des Axons erforderlichen Moleküle werden vorwiegend im Zellkörper hergestellt und müssen an ihre zum Teil weit entfernten Wirkorte im Axon transportiert werden. Während der schnelle Transport vom Zellkörper in das Axon (schneller anterograder Transport) auf dem Motorprotein Kinesin beruht, erfolgt der Transport vom Axon in den Zellkörper (retrograder Transport) unter Beteiligung des Motorproteins Dynein. Beide Transportformen nutzen dabei das polar strukturierte Zytoskelett des Axons.

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Alzheimer-Forscher vermuten, dass bei Alzheimer die Axone sich selbst zerstören, bevor die Nervenzellen absterben. Wenn die Zerstörung des Axons verhindert oder verzögert werden kann, dann hätten wir einen therapeutischen Ansatzpunkt, um den Tod der Nervenzellen bei Alzheimer zu verzögern oder zu verhindern.

Die Funktion von SFPQ in der von Neurotrophinen-induzierten Signaltransduktion

Neurotrophine haben zentrale Aufgaben bei der embryonalen und adulten Neurogenese. Diese Proteine kontrollieren, ob junge Nervenzellen überleben und sich in neuronale Netze integrieren oder gezielt durch Apoptose eliminiert werden. Neurobiologen haben mittlerweile zahlreiche Neurotrophine isoliert und charakterisiert: unter anderem den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), den Nerve Growth Factor (NGF), das Neurotrophin 3 (NT-3) und das Neurotrophin 4/5. Neurotrophine binden an Rezeptoren, die sich in der Zellmembran von Nervenzellen befinden. Bindet ein Neurotrophin an den Rezeptor p75 wird über eine Signaltransduktionskaskade der induzierte Zelltod (Apoptose) ausgelöst. Binden dagegen Neurotrophine an den Rezeptor Trk, löst das intrazellulär Prozesse aus, die anti-apoptotisch wirken und die Zelle vor dem Untergang schützen.

Genau bei diesem intrazellulären Prozess spielt SFPQ eine wichtige Rolle, die in Abb.2 erläutert wird. Aufgrund der Befunde dieser Arbeit vermute ich, dass das Fehlen von SFPQ im Zellkern und seine mengenmäßige Reduzierung die Zerstörung der Axone in spezifischen Nervenzellen von Alzheimer-Patienten beschleunigt.

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon. Ein Neurotrophin bindet an den Rezeptor Trk an dem Ende des Axons, das vom Zellkörper entfernt liegt (distal). Das führt dazu, dass SFPQ im Zellkern bclw-mRNA bindet und aus dem Zellkern ins Zytoplasma transportiert. Dort verbindet sich dieses SFPQ mit SFPQ, das laminb2-mRNA gebunden hat. Im Axon bildet dieses Duo mit anderen SFPQmRNA-Komplexen ein RNA-Transport-Granula, dass mittels KIF5, einem Motorprotein, zu Mitochondrien am distalen Ende des Axons transportiert wird. Dort werden die bclw-mRNA und die laminB2-mRNA in Bclw-Protein und LaminB2-Protein translatiert. Diese Proteine fördern das Überleben des Axons.

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon. Ein Neurotrophin bindet an den Rezeptor Trk an dem Ende des Axons, das vom Zellkörper entfernt liegt (distal). Das führt dazu, dass SFPQ im Zellkern bclw-mRNA bindet und aus dem Zellkern ins Zytoplasma transportiert. Dort verbindet sich dieses SFPQ mit SFPQ, das laminb2-mRNA gebunden hat. Im Axon bildet dieses Duo mit anderen SFPQmRNA-Komplexen ein RNA-Transport-Granula, dass mittels KIF5, einem Motorprotein, zu Mitochondrien am distalen Ende des Axons transportiert wird. Dort werden die bclw-mRNA und die laminB2-mRNA in Bclw-Protein und LaminB2-Protein translatiert. Diese Proteine fördern das Überleben des Axons.

 

Fußnoten

1. Hippocampus

Der Hippocampus ist der medial gelegene Abschnitt des Großhirns. Er ist wichtig für die Gedächtnisbildung, denn bei der Zerstörung beider Hippocampi können keine Informationen mehr vom Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis gelangen. Dies spielt vor allem bei Alzheimer eine Rolle, denn die Neurologen nehmen an, dass der Untergang von Nervenzellen (Neurodegeneration) im Hippocampus zu dem charakteristischen Erinnerungsverlust führt.

2. Entorhinaler Kortex

Der entorhinale Kortex ist ein am medialen Rand der Großhirnlappen gelegenes Rindenfeld, welches sich in enger Nachbarschaft zum Hippocampus befindet. Er ist mit dem Hippocampus Teil der sogenannten Hippocampusformation. Der entorhinale Kortex spielt eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung. Nur die Erregungen, die er an den Hippocampus weiterleitet, führen zur Speicherung des entsprechenden Reizes im Gedächtnis. Ein Nervenzelluntergang im entorhinalen Cortex ist bei Alzheimer zu beobachten und ist für die hierbei auftretenden Gedächtnisstörungen verantwortlich. Neuere Untersuchungen weisen darauf hin, dass der entorhinale Kortex eine wichtige Rolle bei der Selbstverortung spielt. Spezialisierte Gitterzellen („Grid Cells“) repräsentieren ein Raster, welches das Gehirn über die Umgebung legt, in der sich ein Mensch bewegt. Die dynamische Selbstverortung soll durch einen weiteren Zelltyp, die so genannten Speedzellen, ermöglicht werden.

Weiterführende Literatur

Fatale Folgen für SFPQ bei Alzheimer

[1] Yazi Ke, Joe Dramiga, Ulrich Schütz, Lars Jillian J. Kril, Lars M. Ittner, Hannsjorg Schröder, and Jürgen Götz (2012) Tau-mediated nuclear depletion and cytoplasmic accumulation of SFPQ in Alzheimer’s and Pick’s disease. PLoS One 7(4): e35678. doi:10.1371/journal.pone.0035678

[2] Katharina E Cosker, Sara J Fenstermacher, Maria F Pazyra-Murphy,Hunter L Elliott & Rosalind A Segal (2016) The RNA-binding protein SFPQ orchestrates an RNA regulon to promote axon viability. Nature Neuroscience doi:10.1038/nn.4280 ADVANCE ONLINE PUBLICATION

Bildnachweis

Abb.1: Schemazeichnung einer Nervenzelle im Gehirn

Autor: Hoffmeister

Datum: 14.12.2005

Titel: Impulsfortleitung an der Nervenzelle

Quelle: Wikimedia Commons

Lizenz: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

 

Abb.2: Modell für SFPQ und das axonale mRNA regulon.

Titel: Supplementary Figure 6: Model for SFPQ and the axonal mRNA regulon

Quelle: [2]

 

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Warum die EU/Türkei-Verhandlungen ein Rubinstein-Spiel waren

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Ich glaube, dass es sehr viele EU-Bürger gibt, die den syrischen Flüchtlingen, die nach Europa kommen, helfen möchten und anteilnehmen an deren Leid – jedenfalls viel mehr als diejenigen, die Flüchtlingsheime anzünden oder auf der Straße gegen die „drohende Überfremdung“ demonstrieren. Die EU-Regierungen sehen diese Flüchtlinge jedoch auch als Problem, dass ungeplante Kosten im Staatsbudget verursacht und zukünftige Wählerstimmen kostet. Je mehr Flüchtlinge kommen und umso länger der Syrien-Krieg dauert, desto höher werden die Kosten. Die Zeit spielt also gegen sie. Von diesem Standpunkt aus kann man die zurückliegenden EU/Türkei-Verhandlungen zu den syrischen Flüchtlingen  auch spieltheoretisch betrachten. Es handelt sich dann um ein alternierendes Ultimatum-Spiel, wo das zu verhandelnde Problem umso größer wird je länger man wartet es zu lösen. In der Verhandlungstheorie, einer Disziplin der Spieltheorie, nennen Spieltheoretiker dieses Szenario Rubinstein-Spiel, nachdem Spieltheoretiker Ariel Rubinstein, der 1982 ein vielbeachtetes Paper schrieb.

Ein Beispiel für dieses Rubinstein-Spiel ist die Joker Mob Negotiation in dem sechsten Batman-Film The Dark Knight.

Beispiel für ein Rubinstein-Spiel: Joker Mob Negotation in The Dark Knight

Leider gibt es noch keine deutschen Untertitel für diesen Video-Clip. Die Personen und die Handlung dieser Szene sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. 😉

Worum geht es in der Joker Mob Negotation?

Der Joker raubt mit eine Gruppe von Bankräubern die Gotham National Bank aus, welche sich in den Händen der Mafia befindet und ihr als Geldwäschepunkt dient. Kurz nach dem Banküberfall ruft der Mafiaboss Sal Maroni die anderen Gothamer Gangsterbosse zu einer Besprechung zusammen. Er erwähnt den Joker, der ihnen ihr Geld gestohlen hat, und bezeichnet ihn als „irgendeinen geschminkten Schwachkopf mit billigem Lila Anzug“, einen Niemand, den man vergessen könne, seine Sorgen gelten der Tatsache, dass das Geld von der Polizei zurückverfolgt werden kann. Der chinesische Gangster Lau, der über einen Fernseher an der Konferenz teilnimmt, erzählt ihnen, dass er die gesamten Guthaben der Banken an einen sicheren Ort gebracht hat und sie dort aufbewahren würde.

Der Joker platzt in das Meeting und bezeichnet den „sogenannten Plan“ der Gangster als schlechten Witz. Er bietet den Gangsterbossen an,  Batman zu beseitigen, fordert dafür aber die Hälfte ihres gesamten Vermögens. Er sagt auch, dass Batman Lau finden würde und dass Lau die anderen, wenn er verhaftet wird, verraten würde. Je länger die Gangsterbosse ihre Entscheidung hinauszögern, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Batman Lau findet und die Gangster all ihr Geld verlieren. Die Zeit spielt also gegen sie. Der Tschetschene und Sal Maroni sind interessiert, aber Gambol, verärgert über die Respektlosigkeit des Jokers, versucht ihn anzugreifen, woraufhin der Joker eine Ladung Granaten zeigt, die er an der Innenseite seiner Jacke trägt und deren Zündung er mit einem Faden an seinem Daumen befestigt hat. Der Joker verschwindet dann – nicht ohne seine Businesskarte für weitere Verhandlungen zurückzulassen. Später nehmen die Gangsterbosse das Angebot des Jokers an.

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Warum hat Kaluzas Raum genau vier Dimensionen?

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Philipp Hummel schreibt in seinem Spektrum-Onlineartikel Warum hat der Raum genau drei Dimensionen?, dass sich diese Zahl aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und der Abkühlung des Universums ergibt. Er bezieht sich dabei auf einen Fachartikel des Physikers Julian Gonzalez-Ayala von der Universität Salamanca in Spanien, den dieser in Europhysics Letters veröffentlichte [1]. Hummels Artikel erinnert mich an die Zeit als Einstein sich mit der Kaluza-Klein-Theorie beschäftigte, die eine vierte Raumdimension beinhaltete.

Anfang der 1920er war die Allgemeine Relativitätstheorie bereits vollständig ausformuliert (Einstein 1915) und experimentell bestätigt worden (Eddington 1919), während die Quantenmechanik (de Broglie 1924, Heisenberg 1925, Schrödinger 1926, Dirac 1928) noch in den Kinderschuhen steckte. Damals wollte Einstein Gravitation und Elektromagnetismus mit einer einheitlichen Feldtheorie beschreiben.

In der Allgemeinen Relativitätstheorie war die Schwerkraft nichts anderes als das Feld der gekrümmten Raumzeit. Damit ähnelte die theoretische Beschreibung der Gravitation, Maxwells Theorie des elektromagnetischen Feldes. Einstein sah deshalb die Möglichkeit einer gemeinsamen Beschreibung der beiden Grundkräfte.

Gemeinsam war beiden, das sich elektromagnetische Wellen und (die im Februar 2016 direkt nachgewiesenen) Graviationswellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Es gab aber auch einen gravierenden Unterschied: Mawells elektromagnetischen Wellen bewegen sich in  Raum und Zeit, die nach der klassischen Auffassung von Newton beschrieben werden, wohingegen bei Einstein Raum und Zeit zu einem dynamischen Feld zusammengefasst werden in dem das Allgemeine Relativitätsprinzip gilt. Einstein begab sich also auf schwieriges Terrain.

Im April 1919 schickte ihm der Mathematiker Theodor Franz Eduard Kaluza (1885-1954) von der Universität Königsberg einen Fachartikel zur Begutachtung, indem er das Vereinheitlichungsproblem mit einem radikal neuen Ansatz lösen wollte, die Erweiterung des Raumes um eine vierte Dimension. Zwar gab ihm die Erfahrung keinerlei Hinweis auf die Existenz einer vierten Raumdimension aber als Mathematiker hatte er keine Scheu diese einfach anzunehmen: In Kaluzas Theorie wird nämlich auch der Elektromagnetismus als reiner Effekt der Raumzeitgeometrie angesehen. Da jedoch die Geometrie der vierdimensionalen Raumzeit schon für die Gravitation „verbraucht“  ist, fügte er eine elektromagnetische Größe aus Maxwells Theorie als fünfte Dimension hinzu und vereinigte Gravitation und Elektromagnetismus in einer fünfdimensionalen Theorie mit einem einzigen Urfeld. Interessanterweise können die sich ergebenden Gleichungen aufgetrennt werden in die Einsteinschen Feldgleichungen und die Maxwell-Gleichungen. Einstein war sehr beeindruckt und schrieb an Kaluza:

„Ich habe grossen Respekt vor der Schönheit und Kühnheit Ihres Gedankens“.

Er wollte Kaluzas Arbeit eingehend prüfen und sie gegebenenfalls der Preußischen Akademie der Wissenschaften zur Veröffentlichung in ihren Sitzungsberichten vorschlagen.

Wir können uns Kaluzas Theorie ähnlich wie die Projektion eines dreidimensionalen Körpers auf eine zweidimensionale Fläche vorstellen. Nehmen wir als Beispiel eine Pyramide. Wird diese von der Seite beleuchtet, so erscheint der Schatten als Dreieck, befindet sich die Lichtquelle über oder unter ihr, so ist der Schatten ein Quadrat. Wir als dreidimensionale Wesen erkennen jedoch, dass es sich um zwei unterschiedliche Ansichten desselben Körpers handelt. In gewisser Weise fühlen wir uns an Platons Höhlengleichnis erinnert, in dem Menschen die hinter ihnen befindliche Wirklichkeit nur als Schattenwurf auf der Höhlenwand erkennen.

Später erweiterte der Physiker Oskar Benjamin Klein (1894-1977) die Theorie von Kaluza zur Kaluza-Klein-Theorie und argumentierte, dass die vierte Raumdimension auf kleinster räumlicher Skala zylinderförmig aufgerollt ist. Wir können uns das ähnlich vorstellen wie einen Schlauch, den man aus großer Entfernung beobachtet. Der eigentlich zweidimensionale Querschnitt erscheint uns dann als eindimensionale Linie. Das ist der Grund, warum wir diese vierte Raumdimension bisher nicht beobachtet haben. Mit dieser sogenannten Kompaktifizierung konnte Klein auch eine Quantisierung der Ladung erklären. Die Idee, kompaktifizierte Zusatzdimensionen zur Vereinheitlichung der Grundkräfte zu verwenden, wurde jedoch später in der Stringtheorie fortentwickelt und wird dort als Kaluza-Klein-Kompaktifizierung bezeichnet. Viele Physiker heute sehen Kaluza deshalb als einen Pionier der Stringtheorie.

Einstein ging Kaluzas Arbeit Schritt für Schritt durch – und stieß dabei zunehmend auf Probleme. So ergaben sich unrealistische Werte für elektrische Ladungen und Kräfte, außerdem störte sich Einstein immer mehr an der zylinderförmigen Geometrie der vierten Raumdimension. Diese Geometrie brachte eine unschöne Asymmetrie in das Gedankengebäude. Die Theorie konnte auch nicht erklären, warum die Gravitation so viel schwächer war als der Elektromagnetismus.

Wegen dieser Bedenken schlug Einstein Kaluzas Arbeit erst mal nicht zu einer Veröffentlichung vor, beschäftigte sich aber in den folgenden Jahren weiter mir deren Theorie. Mit zunehmendem Erfolg der Quantenmechanik schwand aber das allgemeine Interesse der Physiker an der Kaluza-Klein-Theorie. Als Versuch der Vereinheitlichung zweier fundamentaler Naturkräfte steht die Kaluza-Klein Theorie jedoch in einer langen Tradition von Vereinheitlichungstheorien, welche die Physik ganz entschieden prägten

Maxwell 1864, Minkowski 1907: elektrisches und magnetisches Feld, Elektromagnetismus und Licht

Einstein 1905: Raum und Zeit in der speziellen Relativitatstheorie

Gunnar Nordström 1914  Gravitation und Elektromagnetismus

Einstein 1915: das „Äquivalenzprinzip der Allgemeinen Relativitätstheorie, welches Gravitation und Beschleunigung (träge und schwere Masse) als ununterscheidbar annimmt und eine Verbindung zwischen Gravitationsfeld und Raumzeitgeometrie schafft

An diese beeindruckenden Erfolge von Vereinheitlichungen anschließend, versuchte die Kaluza-Klein Theorie (1926) auf Basis der allgemeinen Relativität Gravitation und Elektromagnetismus zu vereinen.

Weiterführende Literatur

Warum wir den Raum krümmen

Wie wir den Raum krümmen: Zum Geburtstag von Bernhard Riemann

[1] Julian Gonzalez-Ayala, Rubén Cordero and F. Angulo-Brown (2016) „Is the (3 + 1)-d nature of the universe a thermodynamic necessity?“ Europhysics Letters (EPL), Volume 113, Number 4 EPL. DOI: 10.1209/0295-5075/113/40006

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Weniger Tore in der Fußballbundesliga

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Ökonomen betrachten branchenspezifisch Produktion, Wachstum und Markanteile, um herauszufinden, was die Branche leistet, wie es der Branche geht und wer der Branchenprimus ist. In der Fußballbundesliga sind die Vereine die Unternehmen und die Mannschaft der Teil der Arbeitnehmerschaft, der den Kernprozess – Fußball spielen – ausführt. Der Verein ist wirtschaftlich erfolgreich, wenn die Mannschaft sportlich erfolgreich ist1. Die Mannschaft sollte also möglichst viele Spiele gewinnen. Wer mehr Tore schießt als sein Gegner, gewinnt das Spiel2. Wer kein Tor schießt, kann kein Spiel gewinnen.
Tore am Fließband

In der Fußballbundesliga ist es meistens so, dass die Mannschaft, die in der Spielzeit viele Spiele gewinnt, mehr Tore schießt als die Mannschaft, die in der gleichen Spielzeit viele Spiele verliert3. Ich habe mir die Torstatistik der 1. Fußballbundesliga von der Saison 1965/66 bis zur Saison 2015/2016 angeschaut (je 306 Spiele pro Saison)4. Wir schauen hier auf mehr als 15.000 Bundesligaspiele. Dabei geht es um Produktion, Wachstum und natürlich Effizienz (da während des Spiels die Zahl der Spieler pro Mannschaft nicht erhöht werden darf ) 😉

Abb.1: Tore pro Spielzeit

Abb.1: Gesamtzahl der Tore pro Spielzeit

 

Jede Mannschaft trägt ihren Anteil zur Gesamtzahl der geschossenen Tore einer Spielzeit bei. Ich habe die 18 Mannschaften anhand der jeweiligen Abschlusstabelle der Spielzeit in sechs Gruppen mit je drei Mannschaften eingeteilt (16.6 %). Wie viele Tore mehr schießen die ersten Drei der Tabelle im Vergleich zu den letzten Drei? Was ist der Anteil der ersten Drei an der Gesamtzahl der geschossenen Tore? Was ist der Anteil der letzten Drei an der Gesamtzahl der geschossenen Tore ? Hier geht es um die Marktanteile in Abhängigkeit von der sportlichen Leistung 😉

Abb.2: Tore pro Spielzeit Die ersten Drei der Spielzeit und die letzten Drei der Spielzeit

Abb.2: Tore pro Spielzeit Die ersten Drei der Spielzeit und die letzten Drei der Spielzeit

 

Abb.3: Tordifferenz

Abb.3: Tordifferenz pro Spielzeit: Zahl der Tore der ersten Drei der Spielzeit minus Zahl der Tore der letzten Drei der Spielzeit

 

Tabelle 1

Parameter Gesamtzahl der Tore Gesamtzahl der Tore der ersten Drei Gesamtzahl der Tore der letzten Drei
Mittelwert 937,24 211,08 116,38
Standardabweichung 81,5041 21,4141 15,2822
Median 903,5 210 115,5
Unteres Quartil 877 196 104,5
Oberes Quartil 1.002,75 230,25 128,75
Minimum 790 174 82
Maximum 1097 259 151

 

Abb.4: Anteil an der Gesamtzahl der Tore in Prozent

Abb.4: Anteil an der Gesamtzahl der Tore pro Spielzeit in Prozent

 

Tabelle 2

Parameter Anteil der ersten Drei an der Gesamtzahl der Tore in Prozent Anteil der letzten Drei an der Gesamtzahl der Tore in Prozent Tordifferenz der ersten Drei und der letzten Drei
Mittelwert 22,552 12,4383 94,7
Standardabweichung 1,6787 1,4382 23,3126
Median 22,5374 12,2597 97
Unteres Quartil 21,627 11,6764 80,25
Oberes Quartil 23,0903 13,1797 111,75
Minimum 17,6199 8,308 42
Maximum 27,1715 16,3067 97

 

Operationalisierung der Sportlichen Produktivität

Was ich hier gemacht habe, nennen Wissenschaftler Operationalisierung. Die Operationalisierung (oder Messbarmachung) legt fest, auf welche Weise ein (stets nur theoretisches) Konstrukt (z. B. Reichtum, Intelligenz, Gerechtigkeit) beobachtbar und messbar gemacht werden soll. Sie hat in allen empirisch arbeitenden Wissenschaften eine große Bedeutung, da sie die Grundlage dafür ist, Messungen durchführen zu können. Wichtig ist eine geeignete Operationalisierung etwa bei der Prüfung von Hypothesen. Neben dem gewählten Indikator (auch Messgröße genannt) muss für die Operationalisierung auch die Erhebungsmethode, das Erhebungsinstrument und dabei insbesondere die Teile, mit denen die empirische Informationen gewonnen werden sollen, beschrieben werden (wegen der Nachvollziehbarkeit und der Reproduzierbarkeit).

In meinem Fall war das theoretische Konstrukt „Die sportliche Produktivität der Fußballbundesliga“ wobei ich den europäischen Wettbewerb ausgespart habe. Meine Messgröße war die Zahl der Tore. Die Rohdaten habe ich von der Website Fussballdaten.de. Die Grafiken habe ich mit Excel Professional Plus 2013 erstellt und damit auch die statistischen Parameter berechnet.

Wie steht es mit der Konstruktvalidität meiner Messgröße? Die habe ich nicht geprüft. Die Konstruktvalidität gibt an, inwieweit ein Test oder Erhebungsverfahren ein interessierendes Merkmal so misst, dass es mit bestehenden Konstruktdefinitionen und Theorien übereinstimmt. Hier müsste ich zwei Bestandteile von Konstruktvalidität unterscheiden: die konvergente und die diskriminante Validität. Die konvergente Validität stellt die Korrelation zwischen verschiedenen Tests dar, die dasselbe Konstrukt messen. Die ermittelten Korrelationen5 sollten bei einem validen Test möglichst hoch ausfallen. Die diskriminante Validität bezieht sich auf Korrelationen zwischen verschiedenen Tests, die verschiedene Konstrukte messen. Da es sich um unterschiedliche Konstrukte handelt, sollten diese nur gering oder gar nicht miteinander korrelieren.

Mit anderen Worten ist die Konstruktvalidität allgemein umso so höher, je mehr die unabhängigen und abhängigen Variablen das jeweilige theoretische Konzept tatsächlich repräsentieren. Leider kann es vorkommen, dass verschiedene Tests teilweise dasselbe Konstrukt, teilweise aber zugleich unterschiedliche Konstrukte messen. Beispielsweise könnten ein Test zum Sprachverständnis und ein Test zum logischen Denken zwar unterschiedliche Facetten der Intelligenz erfassen. Zugleich ist es aber möglich, dass in beiden Testergebnissen auch die allgemeine Intelligenz einer Person einfließt. Insofern würden die unterschiedlichen Tests zum Teil auch dasselbe Konstrukt erfassen, nämlich in diesem Fall die generelle Intelligenz einer Person.

Ihr habt ein wenig hinter die Kulissen der empirischen wissenschaftlichen Arbeit schauen können und gesehen, dass Operationalisierung manchmal nicht einfach ist. Vieles bekommt der Laie natürlich nicht mit, weil er nicht dabei ist und ihm das Expertenwissen für die Zusammenhänge fehlt – aber das andere Problem ist der Publication Bias in der Wissenschaft. Was nicht funktioniert wird nicht publiziert. Mit diesem Blogbeitrag habe ich zumindest durch den Post-Publication Peer Review die Möglichkeit geschaffen, dass Andere meine Fehler ausmerzen, manches verbessern, manches ergänzen und am Ende vielleicht wirklich die sportliche Produktivität der Fußballbundesliga einigermaßen messbar wird. (Was vielleicht auf mehrere gewichtete Messgrößen, die durch eine Formel miteinander verknüpft sind, hinausläuft).

Nun ist das hier meine private Spielerei, ihr müsst euch aber vorstellen, dass Wissenschaftler in den Wirtschaftswissenschaften, den Sozialwissenschaften und den Gesundheitswissenschaften für die Politikgestaltung (Policy Making) der Regierungen wichtige Konstrukte messbar machen müssen. Was hat deren Erfolg oder Misserfolg diesbezüglich für Auswirkungen für die Bevölkerung?

Fußnoten

1. Eine Hypothese, die ich im Blogartikel nicht prüfe. Sie gründet sich darauf, dass einige Einnahmen des Vereins stark vom sportlichen Abschneiden der Mannschaft abhängig sind: Die wichtigste Einnahmequelle der Bundesliga sind die Fernsehgelder. In jeder Saison kassiert die Bundesliga mehrere Hundert Millionen Euro. Dieses Geld wird dann auf die Klubs verteilt. Je nachdem, wie eine Mannschaft in der Meisterschaft abschneidet, wie weit sie im Pokal kommt, gibt es mehr oder weniger viel aus dem gemeinsamen Topf. Mehrere Millionen gibt es dann noch für die Teilnahme in der Champions League oder Europa League. In der englischen Premier League erhalten die Vereine viel mehr Fernsehgelder als in der deutschen Bundesliga. Der FC Chelsea, Meister der Saison 2014/2015, erhielt 134 Millionen Euro. Der FC Bayern München, Meister der Saison 2014/2015, erhielt 50.6 Millionen Euro. Die Fernsehgelder werden in der Premier League aber gleichmäßiger verteilt als in der Bundesliga. Leicester City, Tabellenfünfzehnter der Saison 2014/2015 bekam 96.2 Millionen Euro, das sind 28.4 % weniger als der FC Chelsea aber fast doppelt so viel wie der FC Bayern München. FC Augsburg, Tabellenfünfzehnter der Saison 2014/2015, kassierte 24 Millionen Euro, das sind 52,6 % weniger als der FC Bayern München.

Zuschauereinnahmen und Transfergeschäfte bescheren den meisten Klubs zusätzliche Einnahmen im Millionenbereich. Catering und Fanartikelverkauf, Einnahmen aus Ausrüster- und Trikotsponsoring sind jedoch Geldquellen, die wahrscheinlich stärker von anderen Faktoren mitbestimmt werden. Oder ist es vielleicht so, dass die Mannschaft sportlich erfolgreich ist, wenn der Verein wirtschaftlich erfolgreich ist? Vielleicht liegt hier ein positiver Feedbackloop vor. Interessantes zu den Einnahmen findet ihr auf der Website Fussball-Geld.de. Zusätzlich gilt: Je erfolgreicher die Bundesligamannschaften in europäischen Wettbewerben sind, desto mehr Plätze gibt es für die Bundesligamannschaften in nachfolgenden europäischen Wettbewerben.

2. Im europäischen Wettbewerb mit Hin- und Rückspiel werden Auswärtstore sogar stärker gewichtet als Heimtore.

3. Das liegt auch daran, dass in der Bundesliga Spiele mit mehr als 4 Toren relativ selten sind. Frage an die Mathematiker hier – Spielt hier auch Benford’s Law eine Rolle? Zusätzlich gibt es seit Anfang der 90er einen generellen Trend zu weniger Toren in der Bundesliga (siehe Abb.1). Die häufigsten Ergebnisse von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009. Quelle: Fußballreport

Platz 1:    1:1    1671 Spiele
Platz 2:    2:1    1237 Spiele
Platz 3:    1:0    1136 Spiele
Platz 4:    2:0    1113 Spiele
Platz 5:    0:0     943 Spiele

Abb.5: Die häufigsten Ergebnisse in der Fußballbundesliga von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009

Abb.5: Die häufigsten Ergebnisse in der Fußballbundesliga von der Spielzeit 1963/64 bis zur Spielzeit 2008/2009

4. Die Saison 91/92, in der 380 Spiele stattfanden, habe ich aus der Bewertung rausgenommen.

5. Eine hohe Korrelation zwischen zwei Variablen bedeutet nicht, dass die beiden Variablen kausal miteinander zusammenhängen. Stattdessen liefern Korrelationen lediglich einen ersten Hinweis, dass dies der Fall sein könnte.

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Hat die heimische Diashow in der Naturfotografie bald ausgedient?

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Das Wetter wird schöner, die Tage länger, das sind für die Hobbyfotografen unter den Naturfreunden gute Gründe mal wieder die Kamera auszupacken und für tolle Motive durchs Gestrüpp zu stampfen. In den letzten zwei Wochen bekam ich von diesen Menschen viele schöne Tier- und Naturbilder in meiner Timeline auf Twitter zu sehen. Sie dokumentieren eindrucksvoll die Vielfalt der Tiere und Pflanzen im Ökosystem Wald.

Ein Kudu (Tragelaphus strepsiceros) im Zoo von Thoiry, Frankreich Quelle

Credit: Vassil Ein Kudu (Tragelaphus strepsiceros) im Zoo von Thoiry, Frankreich Quelle

Als technophiler Biologe denke ich aber über die heimische Diashow hinaus und erhoffe mir eine bessere Vermittlung der visuellen Erlebnisse durch die neuen digitalen Technologien. Anlass für diesen Optimismus geben mir neue Entwicklungen bei Virtual Reality-Brillen, selbst gesteuerten Drohnen und 360-Grad-Fotografie, die im März auf der CeBit in Hannover vorgestellt wurden.

Stell Dir vor Du setzt zu Hause einfach eine Brille auf und begibst Dich dann in einen Nationalpark in Kenia oder fliegst in einem Helikopter über den Urwald im Amazonasgebiet. Wie in der Realität kannst Du deinen Kopf beliebig bewegen, um Dich umzuschauen. Mit Virtual Reality (VR)-Brillen wird das in den nächsten Jahren möglich. Neben Facebook mit Oculus Rift steht HTC mit dem Modell Vive in den Startlöchern.

Damit Du Dich mit einer VR-Brille an einen anderen Ort begeben und Dich dort frei umschauen kannst, sind Aufnahmen erforderlich, die eine komplette Umgebung in einer 360-Grad-Ansicht festhalten. Die Luna-360-Kamera z. B. arbeitet mit zwei Fischaugen-Kameraobjektiven und fotografiert und filmt die Umgebung im Rundum-Modus.

Du kennst die Frage bei der heimischen Diashow: „Äh, wo war das noch mal?“ Wenn Sie also in Zukunft Fotos erstellen , dann sollten Sie darauf achten, dass der GPS-Empfänger ihres Geräts aktiviert ist und ein Satellitenfix vorliegt. In diesem Fall wird jedes aufgenomme Bild oder Video mit den aktuellen GPS-Koordinaten versehen, man spricht in einem solchen Fall von Geotagging. Wenn Sie später das Bild am PC mit Googles Bildbearbeitungsoftware Picasa betrachten , wird der Aufnahmeort in den Google Maps angezeigt.

Wenn solche Geräte ähnlich wie Smartphones und Tablets für jedermann bezahlbar werden und auch die benötigte Software, dann hat die heimische Diashow bald ausgedient. Bis dahin werden noch einige Jahre ins Land gehen…

Zusätzlich glaube ich, dass in naher Zukunft Biologen und Geografen diese Technologien bei wissenschaftlichen Exkursionen in Ökosysteme nutzen werden. Unter wissenschaftlicher Anleitung werden dann für entsprechende Citzen Sciene-Projekte Informationen mittels Crowdsourcing gesammelt.

Übrigens, Kudus gehören zu den schönsten Tieren der Welt – falls Ihr das noch nicht wusstest 😉

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Cantors Einwand gegen Euklids Dimensionsbegriff

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Vor etwas mehr als zwei Wochen schrieb ich hier über die vier Raumdimensionen in der Kaluza-Klein-Theorie. Kaluza, Klein und die Stringtheoretiker fordern, dass die Anzahl der Raumdimensionen erhöht werden muss, um die vier Grundkräfte des Universums – schwache Wechselwirkung, starke Wechselwirkung, Elektromagnetismus und Schwerkraft – richtig verstehen zu können. Inwieweit diese Forderung berechtigt ist oder nicht wird die zukünftige physikalische Forschung vielleicht noch zeigen. Jedenfalls ging es dann in den Kommentaren zu diesem Blogartikel hoch her: Einige waren sehr aufgebracht und beschwerten sich über diese Art Physik zu betreiben. Meiner Meinung nach weniger aus physikalischen Gründen sondern mehr aus dem Grund, dass es ihrer naturphilosophischen Anschauung widersprach. Nun gut, so ist das halt mit der mathematischen Physik und dem Internet. Heute befasse ich mich mit dem sehr schwierigen Begriff Dimension und glaube, dass es diesmal in den Kommentaren nicht anders zu gehen wird. Ich lasse mich allerdings gerne positiv überraschen.

Wer sich keinen Punkt denken kann, der ist einfach zu faul dazu.
Mathematiklehrer Brenneke in „Eduards Traum“ von Wilhelm Busch (1832 – 1908)

Euklids Dimensionsbegriff

Für Euklid war die Dimension ein hierarchisches Konzept: Ein Punkt war der geometrische Grundbaustein, den man sich „nulldimensional“ vorstellte. Eine Gerade bestand aus einer Ansammlung von Punkten und war daher eindimensional. Wenn man zwei Geraden miteinander kombinierte, entstanden zweidimensionale Ebenen, und aus aufeinander gestapelten Ebenen entstand der dreidimensionale Raum. Dieses hierachische Konzept setzte stillschweigend stetige Bewegungen voraus: Punkte zeichnen eine Linie nach, Geraden fächern sich zu einer Ebene auf, und Ebenen fügen sich zu einem Raum zusammen.

Die Mathematiker stellten sich vor, dass die zweidimensionale Form eines Quadrats durch Aufeinanderstapeln von Strecken gleicher Länge zustande kommt. Wenn nun eine eindimensionale Strecke eine bestimmte Anzahl einzelner Punkte enthielt, dann glaubte man, dass ein Quadrat, das ja aus vielen solcher Linien bestand, wesentlich mehr dieser Punkte umfassen musste.

Cantors Bijektionen

Georg Cantor (1845-1918) widersprach dieser Vorstellung. Er fand eine eineindeutige1 Zuordnung zwischen den Punkten auf einer Strecke der Länge 1 und den Punkten im Quadrat mit Seitenlänge 1. Anders gesagt: Er stellte fest, dass man jedem Punkt auf der Strecke einen Punkt im Quadrat zuordnen kann und jedem Punkt im Quadrat einen (und nur einen) Punkt auf der Strecke.

Wie stellte Cantor das an? Zunächst schrieb er jeden Punkt auf der Strecke als Dezimalbruch – beispielsweise könnte einer dieser Punkte durch den Dezimalbruch 0,24986754… dargestellt werden. Diesem ordnete er nun einen Punkt im Quadrat mit den Koordinaten (x, y) zu, indem er die Ziffern des Dezimalbruchs abwechselnd auf x und y aufteilte, so dass sich in diesem Beispiel der Punkt mit den Koordinaten x = 0,2965… und y = 0,4874… ergibt. Wenn wir umgekehrt einen Punkt im Quadrat mit den Koordinaten (x, y) herausgreifen, dann können wir die Dezimalziffern von x und y miteinander verschränken, so dass wieder ein Dezimalbruch herauskommt, der einen Punkt auf der Strecke angibt.

Cantors eineindeutige Zuordnung zwischen Strecke und Quadrat

Cantors eineindeutige Zuordnung zwischen Strecke und Quadrat

 

Die Folgerung: Eine Strecke enthält genau so viele Punkte wie eine Fläche, nämlich überabzählbar unendlich viele.

Was Cantor sich da ausgedacht hatte, widersprach aller Intuition, sogar seiner eigenen. Im Jahr 1877 schrieb er an den Mathematiker Richard Dedekind: „Ich sehe es, aber ich kann es nicht glauben.“

Durch Cantors Methode stellte es jetzt auch keine besondere Herausforderung mehr dar, eine eineindeutige Zuordnung zwischen einer Strecke und einem dreidimensionalen Würfel herzustellen (man verwende dieselbe Methode mit jeder dritten Dezimalziffer). Für Mathematiker ließ die eineindeutige Zuordnung, die Cantor ersonnen hatte, allerdings noch eine Eigenschaft vermissen. Sie war nicht stetig.
Cantor konnte also nicht garantieren, dass Punkte in der Nähe eines ausgewählten Punkts auf der Strecke auch auf Punkte in der Nähe von dessen Bildpunkt im Quadrat abgebildet wurden. 25 Jahre später konnte der Mathematiker Luitzen Brouwer zeigen, dass es nicht möglich ist, Objekte verschiedener Dimensionen mittels einer stetigen eineindeutigen Zuordnung miteinander zu verbinden.

Cantor brachte also die Mathematiker ins Grübeln, aber es kommt noch besser: Für Euklid bedeutete Dimension soviel wie „Anzahl der Ausdehnungen“. Nun kam Benoît B. Mandelbrot (1924-2010) und zeigte, dass die Zahl der Dimensionen nicht auf ganze Zahlen wie 1, 2 oder 3 beschränkt ist. Es gibt sogenannte fraktale Dimensionen, die beliebige Werte annehmen können. Es kann zum Beispiel ein Objekt, mit der Dimension 2,34 geben. Wer mehr über diese fraktalen Dimensionen erfahren möchte empfehle ich den lesenswerten Artikel „Was sind fraktale Dimensionen?“ von Florian Freistetter.

Fußnoten

1. „eindeutig“ heißt wörtlich: hat nur eine Deutung; und übertragen: nur einen Wert.“eineindeutig“ heißt: hat nur einen Wert und ist das einzige, was diesen Wert hat. Bei den Funktionen hast du für jedes x genau ein y, für irgendein y aber kann es z. B. bei der Funktion y = x2 verschiedene x geben. Für z. B. y = 4 nämlich x = 2 und x = -2. Wenn die Eindeutigkeit auch in die andere Richtung geht, nennt man das Ganze „eineindeutig“.

Zur Veranschaulichung kann man sagen, dass eine vollständige Paarbildung zwischen den Elementen von Definitionsmenge und Zielmenge stattfindet (Bijektion). Bei einer Bijektion haben die Definitionsmenge und die Zielmenge stets dieselbe Mächtigkeit. Im Falle, dass eine Bijektion zwischen zwei endlichen Mengen vorliegt, ist diese gemeinsame Mächtigkeit eine natürliche Zahl, nämlich genau die Anzahl der Elemente jeder der beiden Mengen.

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Die Grundlage einer wunderbaren Mathematik

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In meinem letzten Artikel „Cantors Einwand gegen Euklids Dimensionsbegriff“ machte Leser KRichard folgenden Kommentar:

Es muss auch erlaubt sein, sich über Sinn oder Unsinn von Denkmodellen Gedanken machen zu dürfen.
Zur Idee des nulldimensionalen Punktes: Dieser hätte für L, Br, H jeweils den Wert 0. Will man mehrere Punkte zu einer Linie zusammensetzen, dann braucht man dazu bereits ein mathematisches Wunder, welches die Eigenschaft Länge erzeugt. Um Breite zu erhalten, braucht es noch einmal ein mathematisches Wunder – denn sonst könnte man Linien nicht zu einer Fläche nebeneinander legen. Und ein drittes Wunder ist notwendig, damit die Höhe einer Linie/Fläche erzeugt werden kann.
Kurz gesagt – die Idee, aus nulldimensionalen Punkten einen Raum zu bilden, beruht auf Grundlage Wunder-barer Mathematik….

KRichard, 24. Mai 2016 10:07

Leser KRichard hat Recht und Unrecht. Recht hat er mit der Aussage, dass man sich Gedanken machen soll zu Sinn und Unsinn von Denkmodellen. Unrecht hat er mit der Aussage, dass die Idee des nulldimensionalen Punktes mathematisch nichts taugt. Ich möchte das am Beispiel der endlichen Linie erläutern.

Eine Linie endlicher Länge enthält eine Menge überabzählbar1 unendlicher vieler Punkte. Da die Linie eine endliche Länge hat, muss jeder Punkt eine Länge von null haben. Gäbe es nämlich unendliche viele Punkte von gleicher positiver Länge, wie kurz auch immer, so wäre die ganze Linie unendlich lang. Aber wie kann eine Linie endlich lang sein, wenn die Punkte jeweils eine Länge von null haben? Unsere Intuition sagt uns, dass die Summe von vielen Nullen null sein muss, und das ist gewiss auch so, wenn es unendlich viele gibt, sogar dann, wenn sie abzählbar unendlich sind2.

Aber es gibt keine Definition für die Summe von überabzählbar vielen Längen und zwar unabhängig davon, ob diese positiv oder alle gleich null sind. Die Summe von überabzählbar vielen Nullen ist ebenso wenig definiert wie die Teilung durch Null. Also folgt nicht, dass die Linie eine Länge von null hat. Im Gegenteil, die Länge einer endlichen Linie muss unabhängig sein von der Anzahl der Punkte, die sie enthält – eine Linie von einem Millimeter hat ebenso viele Punkte wie eine Linie, die einen Meter misst. Selbst angenommen, dass überabzählbare Summen definiert wären, so könnten sie uns doch nicht die Längen angeben.

Deshalb halten wir an der Idee fest, dass eine endliche Linie aus überabzählbaren unendlich vielen Punkten mit jeweils einer Länge von null besteht. Es wäre ein Fehler, die Definitionen von endlichen und abzählbaren Summen auf überabzählbare Summen auszudehnen. Es würde uns nämlich daran hindern, eine widerspruchsfreie Theorie der Messung zu formulieren – eine konsistente Theorie von, Länge, Fläche und Volumen. Mathematiker nennen diese Theorie „Maßtheorie“, eine Theorie, die mit Mengen von Punkten, d.h. „Punktmengen“, anstatt mit einzelnen Punkten arbeitet. Ein Intervall ist eine Menge und wann immer wir ein Intervall halbieren, teilen wir es in zwei Mengen.

Fußnoten

1. Eine Menge heißt überabzählbar, wenn sie nicht abzählbar ist. Eine Menge ist abzählbar, wenn sie entweder endlich ist oder eine Bijektion zur Menge der natürlichen Zahlen existiert. Eine Menge ist also genau dann überabzählbar, wenn ihre Mächtigkeit (entspricht der Anzahl der Elemente bei endlichen Mengen) größer ist als die der Menge der natürlichen Zahlen. Cantors zweites Diagonalargument ist sein zweiter mathematischer Beweis dafür, dass die Menge der reellen Zahlen überabzählbar ist.

2. Oder wie der Kölner sagt: „Vun nix kütt nix

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Löws Hosengate: Die Evolution ist schuld

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Wie das? wird sich der erstaunte Leser fragen. Hier die kurze Antwort. Die Anatomie des menschlichen Hodensacks ist zwei besonderen Schritten der Wirbeltier-Evolution geschuldet: dem Landgang und der Entwicklung einer relativ hohen konstanten Körpertemperatur bei den Säugetieren.

Im Hodensack befinden sich die Hoden1, die männlichen Keimdrüsen in denen die Samenzellen gebildet werden. Im Jahr 1990 entdeckten britische Forscher auf dem Y-Chromosom ein Gen, das für die Entwicklung der Hoden benötigt wird. Sie nannten es SRY, was für „Sex determining region of Y-Gen steht. Bei der Abwesenheit von SRY2 entwickeln sich in den Anlagen für die Geschlechtsorgane Eierstöcke. Die Forscher betonten, dass die An- oder Abwesenheit von SRY nur der Auslöser für die weitere Entwicklung der Geschlechtsorgane ist, deren physiologischen und anatomischen Aspekte komplex sind und an dem viele Gene beteiligt sind.

Ursprünglich lagen die Keimdrüsen beider Geschlechter im Inneren des Körpers, was sie bei den anderen Wirbeltiergruppen – Fischen, Amphibien, Reptilien und Vögeln – noch immer tun. Selbst bei den ursprünglichen Säugetieren, den eierlegenden Kloakentieren3, liegen die Keimdrüsen im Inneren des Körpers.

Auch beim Menschen befinden sich die Eierstöcke, die weiblichen Keimdrüsen, im Inneren des Körpers. Die Hoden entstehen zwar in der Bauchhöhle, wandern aber beim Menschen. Schwein und Hase kurz vor der Geburt, bei Nagetieren erst zur Pubertät, durch den Leistenkanal in den Hodensack (Skrotum). Biologen nennen diesen Vorgang Hodenabstieg (Descensus testis). Bei Hamster und Fledermäusen findet ein saisonaler Hodenabstieg statt: die Hoden liegen nur zur Paarungszeit außerhalb der Bauchhöhle. Bei Pferden geschieht der Hodenabstieg im Zeitraum von 30 Tagen vor bis 10 Tage nach der Geburt. Kommt es nicht zu einem Hodenabstieg, spricht man von Kryptorchismus. Bei einer Körung werden beide Hoden vermessen. Wichtig für den Züchter und den behandelnden Tierarzt ist vor allem die Frage, wann ein Hengst mit einseitigem oder beidseitigem Hodenhochstand mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kryptorchide bleiben wird und kastriert werden muss bzw. von der Zucht ausgeschlossen werden muss. Es gibt allerdings Säugetiergruppen, bei denen die Hoden generell in der Bauchhöhle verbleiben, die sogenannten Testiconda. Dabei können die Hoden am Ort der Anlage verbleiben, wie bei den Elefanten, oder absteigen, aber dennoch in der Bauchhöhle verweilen.

Der Hodenabstieg ist bei einigen Säugetieren der Tatsache geschuldet, das die Samenzellen nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs lebensfähig bleiben, der einen Wert von ca. 35 °C nicht übersteigen sollte. Da bei uns Menschen die Körpertemperatur dummerweise 37 °C beträgt, behalf sich die Evolution damit, die Hoden kurzerhand aus der Bauchhöhe auszulagern und in einem Hautsack zwischen den Beinen, einem kühleren Ort, anzusiedeln. Während des Hodenabstiegs wird die Bauchhöhle ausgeweitet und an der Durchtrittsstelle bleibt eine Öffnung zurück. Sie ist natürlich nicht zu sehen, da sie von Haut bedeckt wird. Durch Gewebe, manchmal sogar eine Darmschlinge, das aus dieser Öffnung austritt, entstehen die sogenannten Leistenbrüche, die äußerst schmerzhaft sein können und bei Männern neunmal häufiger auftreten als bei Frauen.

Die Hand mit der sich Löw….entstand erst nach dem Landgang der Wirbeltiere. Sie ist das Ergebnis eines komplizierten Zusammenspiels von Nerven und Muskeln, Knochen und Bändern. Neun verschiedene Muskeln bewegen allein den Daumen. Einige dieser Muskeln enden an Knochen innerhalb der Hand, andere reichen bis in den Arm.

Übrigens – auch andere Säugetierarten haben Hände. Bei den fünf Fingern des Schimpansen würde wohl niemand widersprechen. Aber auch die Hände der Fledermaus sind genau so gebaut: Fünf Finger münden in ein bewegliches Handgelenk; zusammen mit den gleichen Armknochen, wie sie der Mensch hat, spannen sie eine Flughaut auf.

Fußnoten

1. Als Biologe, der Wissenschaftskommunikation ernst nimmt, muss ich die umgangssprachlich oft verwendete Bezeichnung „Eier“ natürlich ablehnen. Hoden sind Organe, Eier sind Eizellen und nur Frauen bilden Eizellen und zwar in den Eierstöcken. Die Haut des Hodensacks findet ihre Entsprechung bei der Frau in den großen Schamlippen.

2. In sehr seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:100.000 bei Frauen) kann das SRY-Gen auf dem Y-Chromosom fehlen oder durch Mutationen inaktiviert sein, wodurch Menschen mit diesem Gendefekt sich zu sterilen XY-Frauen entwickeln, die ein männliches genetisches Geschlecht haben. Diese Frauen haben eine Gebärmutter, Klitoris, Vagina. Während der Pubertät bleibt jedoch die Ausbildung der sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmale wie Brustentwicklung, und Menstruation aus. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10.000 bei Männern) kommt es durch ein Crossing-over zu einer Übertragung des SRY-Gen auf das X-Chromosom. Dadurch entstehen sterile XX-Männer, mit weiblichem genetischen Geschlecht. Sie haben männliche innere und äußere Geschlechtsorgane, jedoch meist kleine Hoden.

3. Bei den Kloakentieren münden Harn- und Geschlechtswege zusammen mit dem Enddarm in einen gemeinsamen Ausführgang, die Kloake. Über die Kloake werden sowohl Urin und Kot ausgeschieden als auch der Austausch der Keimzellen und die Ablage der Eier erfolgen. Zur Ordnung der Kloakentiere (Monotremata) gehören die Familien: Ameisenigel (Tachyglossidae), Schnabeltiere (Ornithorhynchidae)

Weiterführende Literatur

Entwicklung der Geschlechtsorgane beim Menschen

Factors controlling testis descent

Kleisner K, Ivell R, Flegr J. (2010) The evolutionary history of testicular externalization and the origin of the scrotum. J Biosci., 35(1), 27-37.

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Wie menschliche Spermien auf Schleichwegen zur Eizelle gelangen

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Beim Wettschwimmen zur reifen Eizelle, die sich im Eileiter befindet, muss ein Spermium ungefähr 15 cm zurücklegen. Das entspricht etwa dem 3000-fachen seiner eigenen Länge. Dabei schwimmt es flußaufwärts, mal mit der Strömung (im Gebärmutterhalskanal), mal dagegen (im Eilleiter). Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass dichtes Gedränge herrscht, denn es sind mehr als 100 Millionen Spermien unterwegs. Nicht alle erreichen den Gebärmutterhalskanal, noch weniger die Eileiter und die Hälfte davon schwimmt in den „falschen“ Eileiter (ohne Eizelle).

Das innere Geschlechtssystem der Frau

Credit: Henry Vandyke Carter, 1918 / public domain Das innere Geschlechtssystem der Frau

Die Eizelle macht sich vom Eierstock aus auf den Weg zu ihrem Rendezvous mit Mr. Sperm und durchquert dabei kurz die Beckenhöhle, da sich zwischen Eierstock und Eileiter eine kleine Lücke befindet. Der Eileiter besitzt an dieser Stelle eine bewegliche trichterförmige Öffnung mit fingerartigen Fimbrien. Diese und ein Flimmerepithel im Eileiter unterstützen die Aufnahme der Eizelle in dem sie einen Sog verursachen. Becherzellen in der Schleimhaut des Eileiters produzieren eine Flüssigkeit. Sowohl Flimmerhärchen in der Eileiterwand als auch peristaltische Kontraktionen der glatten Muskulatur in der Eileiterwand erzeugen einen Flüssigkeitsstrom und schieben die Eizelle dadurch weiter Richtung Gebärmutter.

Während die relativ große Eizelle im Eileiter passiv mit der Strömung treibt, muss das relativ kleine Spermium aktiv gegen die Strömung anschwimmen und ist daher von der Evolution „motorisiert“ worden. Der Motor steckt im 50 µm langen Schwanz des Spermiums. Dieser Schwanz ist eine bewegliche Geißel mit längsverlaufendem Fibrillensystem aus Mikrotubuli. Diese Geißel sorgt dafür, dass Spermien nicht einfach gerade aus schwimmen, sondern sich schraubenförmig um ihre Längsachse drehen. Im Spermien-Mittelstück liegen vier bis fünf kugelförmige Mitochondrien, die diese Geißel mit Energie beliefern.

Während der Ejakulation verlassen die Spermien den Penis mit einer Geschwindigkeit von ca. 17 km/h. Diese Geschwindigkeit verringert sich in der Scheide der Frau stark. Auf dem Weg zur und in der Gebärmutter und den Eileitern bewegen sich die Spermien nur noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 3-4 mm pro Minute. Die Spermien können sich aber zu Bündeln von zwei, drei und vier Spermien zusammentun. Im Team schwimmen sie dann doppelt so schnell wie alleine.

Die Samenflüssigkeit ist leicht alkalisch, was hilft, das saure Scheidenmilieu zu neutralisieren; dadurch werden die Spermien geschützt und ihre Beweglichkeit erhöht. Prostaglandine im Sperma induzieren eine Verdünnung des Schleims am Muttermund, dem Eingang der Gebärmutter, und fördern die Kontraktion der Gebärmuttermuskulatur. Beim weiblichen Orgasmus heben und senken sich Gebärmutter und Gebärmutterhals wiederholt wie ein Tauchkolben auf diese Weise wird das Sperma nach oben in die Gebärmutter gesogen.

Im Eileiter heften sich die Spermien an die Eileiterwand und ändern dann ihre Richtung um eine halbe Drehung, bevor sie sich mit einem Schwanzschlag wieder losreißen. So „klettern“ sie per „Stop and Go“ den zwei Millimeter breiten Kanal hinauf. Wenige Mikrometer vor dem Ziel gibt es für den Motor der Spermien nochmal ein letzte Tankfüllung: Die Eizelle schüttet in goßen Mengen das weibliche Sexualhormon Progesteron aus, das Calciumkanäle im Schwanz des Spermiums öffnet und damit einen großen Calciumeinstrom ermöglicht. Die Spermien schlagen darauf hin wie wild mit dem Schwanz und mobilisieren ihre letzten Kräfte um die Eizelle zu erreichen.

Die menschliche Gebärmutter

Credit: Henry Vandyke Carter, 1918 / public domain Die menschliche Gebärmutter

Die Eierstöcke, Eileiter und die Gebärmutter befinden sich in der Beckenhöhle, die weitgehend von Beckenknochen umgeben ist. In der Beckenhöhle befindet sich eine innere Kammer, die Peritonealhöhle, die mit einer serösen Haut, dem Peritoneum ausgekleidet ist. Das parietale Peritoneum überzieht die Körperwand. Ein schmaler flüssigkeitsgefüllter Raum trennt es vom viszeralen Peritoneum, das Eierstöcke, Eileiter und die obere Fläche der Gebärmutter überzieht.

Spermien durchqueren die Peritonealhöhle

Tatsächlich hat sich erwiesen, dass dann und wann auch menschliche Spermien aus dem weiblichen Reproduktionstrakt entweichen und in der Peritonealhöhle auf Wanderschaft gehen. Um einschätzen zu können, wie oft das vorkommt, machte sich ein Team von drei amerikanischen Gynäkologen geschickt eine selten auftretende angeborene Gebärmutterfehlbildung zunutze, nämlich das sogenannte „nicht kommunizierende Gebärmutterhorn1“. Die Gebärmutter entwickelt sich beim Embryo aus zwei Röhren, den sogenannten Müller’schen Gängen. Beim Jungenembryo verkümmern diese nach und nach, beim Mädchenembryo wachsen sie und verschmelzen zu einer einzigen Gebärmutter mit zwei Eileitern. Bei einem von ungefähr 4000 weiblichen Embryonen kommt es jedoch zu einer Fusionsstörung der Müller’schen Gänge, die in einer Teilung der Gebärmutter in zwei Kammern – „Hörner“ – resultiert., von denen eine mit dem Gebärmutterhals und der Scheide verbunden ist („kommuniziert“), die andere jedoch nicht.

Gerard Nahum von der Duke Universität in Durham, North Carolina und zwei seiner Kollegen durchsuchten die medizinische Fachliteratur vom Zeitraum 1900 bis 1999 nach Schwangerschaften bei Frauen mit solch einem „nicht kommunizierenden Gebärmutterhorn“ [1]. Sie fanden 272 Fälle2 aus 40 Ländern. Es stellte sich heraus, dass der Fötus sich mit gleicher Wahrscheinlichkeit in der Kammer mit der Verbindung zu Gebärmutterhals und Scheide befand wie in der anderen, die nicht diese Verbindung hatte. Die unausweichliche Schlussfolgerung lautete: All diese problematischen Schwangerschaften3 in der „blinden“ Gebärmutterkammer konnten nur in der Weise zustande gekommen sein, dass Spermien durch die andere Kammer zum Eileiter hinauf und weiter in die Peritonealhöhle der Frau gewandert sind und von dort aus durch den Hintereingang in den anderen Eileiter gelangt waren. Dort hatte eines von ihnen eine reife Eizelle befruchtet, die sich dann in der blinden Gebärmutterkammer eingenistet hatte.

Uterus unicornis mit rudimentärem nicht kommunizierendem Horn: Schwangerschaft im nicht kommunizierendem Horn

Credit: Gerard Nahum, Nahum G. G., Stanislaw H. & McMahon C. (2004) Preventing Ectopic Pregnancies: How Often Does Transperitoneal Transmigration of Sperm Occur in Effecting Human Pregnancy? BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology, 111: 706-714. , Figure 2 Uterus unicornis mit rudimentärem nicht kommunizierendem Horn: Schwangerschaft im nicht kommunizierendem Horn

In ihrer vollen Tragweite erfasst, läuft die Studie auf die erstaunliche Erkenntnis hinaus, dass bei allen Frauen – auch solchen ohne jene angeborene Gebärmutterfehlbildung – jederzeit Spermien abseits der breiten offiziellen Hauptstraßen des weiblichen inneren Geschlechtssystem unterwegs sind, um auf dem Schleichweg durch die Peritonealhöhle zu etwa vorhandenen reifen Eiern in dem Eileiter auf der anderen Seite zu gelangen.

Fußnoten

1. Der medizinische Fachbegriff lautet: Uterus unicornis mit rudimentärem nicht kommunizierendem Horn, Klassifizierung Typ II-A-1-b) In der ICD-10-WHO Version 2016 als Q51.4 verschlüsselt.

2. Diese Art von Schwangerschaft ist äußerst selten (1 in 100.000 bis 140.000 Schwangerschaften) und nur 2 Prozent von diesen führen zu einer Lebendgeburt [2].

3. Bei den meisten dieser Schwangerschaften kommt es zu einer Uterusruptur im zweiten oder dritten Trimester. Als Uterusruptur wird ein Riss in der Gebärmutterwand bezeichnet, der in seltenen Fällen während einer Geburt, weniger in der Schwangerschaft, auftreten kann. Bei einer kompletten Ruptur kommt es zu einem Riss der kompletten Gebärmutterwand einschließlich der glatten Auskleidung des Bauchfells. Durch den Riss können Blut, Fruchtwasser, das Baby und die Plazenta in die Bauchhöhle vordringen und bei Mutter und Kind akute Lebensgefahr verursachen. Am häufigsten treten Uterusrupturen in dem ca. 1 cm langen Übergang zwischen Gebärmutterhals und Gebärmutter auf, eine Schwachstelle in der Gebärmutter selbst ist selten die Ursache.

Weiterführende Literatur

[1] Nahum G. G., Stanislaw H. & McMahon C. (2004) Preventing Ectopic Pregnancies: How Often Does Transperitoneal Transmigration of Sperm Occur in Effecting Human Pregnancy? BJOG: An International Journal of Obstetrics and Gynaecology, 111: 706-714.

[2] Sharma, C., et al. (2016) Pelvic Viable Live Birth in a non Communicating Rudimentary Horn of Uterus: a Case Report. J Gynecol Neonatal Biol 2(1): 1- 4.

[3] Eisenbach, M., Giojalas, L. C. (2006): Sperm guidance in mammals – an unpaved road to the egg. Nat. Rev. Cell Biol. 7: 276– 285.

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5 Dinge, die man über den Lichtschutzfaktor in Sonnencreme wissen muss

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Das Sonnenlicht, welches auf die Erdoberfläche trifft, besteht zu 50 % aus Infrarot, 40 % sichtbares Licht, 10 % UV-Licht davon 9.5 % UV-A und 0.5 % UV-B. Gegen welche Art des Sonnenlichts soll uns die Sonnencreme schützen und wie messen Sonnencremehersteller diese Schutzwirkung? Was sind die Gründe dafür, dass die im Labor gemessene Schutzwirkung beim Sonnenbad im Urlaub nicht erreicht wird?

1. Der Lichtschutzfaktor bezieht sich auf die UV-B-Strahlung

Der Lichtschutzfaktor sagt lediglich etwas über die Stärke des Schutzes der Sonnencreme gegen UV-B-Strahlung (290 – 320 nm) aus. Es gibt keine Sonnencreme, die UV-B-Strahlen vollkommen blocken kann. Daher ist der Name „Sunblocker“ falsch. Für die Haut ist jedoch auch UV-A Strahlung (320 – 400 nm) schädlich, die Strahlung, die auch im Sonnenstudio benutzt wird. Sie hat zwar weniger Energie als die UV-B-Strahlung, dringt dafür aber tiefer in die Haut ein. Daher sollte die Sonnencreme deiner Wahl einen zusätzlichen UV-A-Filter enthalten. Diesen erkennst Du am UV-A-Logo, das seit dem Jahr 2007 in Form eines runden Kreises auf den Sonnencremetuben zu finden ist. Bei der Angabe eines UV-A Schutzes, muss das Verhältnis zwischen UV-A und UV-B Schutz 1:3 betragen, bei einem Lichtschutzfaktor von 15 beträgt der UV-A Schutz also 5. Für die Messung der Schutzwirkung gegen UV-A Strahlung hat man sich noch auf keinen internationalen Standard einigen können.

Die Substanzen, die gegen das UV-Licht schützen, sind UV-Filter, von denen es zwei unterschiedliche Typen gibt: Typ 1 sind organische Filter, wie z. B. Zimtsäure, die das Sonnenlicht absorbieren und es in Wärmeenergie umwandeln. Typ 2 sind mineralische Weißpigmente, aus z. B. Titandioxid oder Zinkdioxid, die das UV-Licht wie winzige Spiegel reflektieren. Normalerweise gilt: Je höher der Lichtschutzfaktor desto mehr mineralische Filter sind in der Sonnencreme enthalten.

Starker Sonnenbrand auf dem rechten Arm

Credit: Wikioogle=world take over at the English language Wikipedia [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons Starker Sonnenbrand auf dem rechten Arm

2. Der Lichtschutzfaktor ist ein abgerundeter Duchschnittswert

Die Sonnencremehersteller bestimmen den Lichtschutzfaktor direkt am Menschen (In-vivo-Testung). Der Tester bestrahlt zunächst die ungeschützte Haut mit einer künstlichen Lichtquelle, die ein sonnenähnliches Spektrum aussendet. Hierbei sollte der Verbraucher bedenken, dass im Labor beim jeweiligen Test der Anteil der UV-Strahlung und die Dosis der UV-Strahlung innerhalb des Messzeitraums konstant sind – in der Natur über den ganzen Tag aber nicht. Der Tester ermittelt die Zeit und die UV-B-Dosis, die zu einer Hautrötung führt (MED = Minimale Erythemdosis). Danach behandelt er in gleicher Weise die mit einem Sonnenschutzmittel geschützte Haut. Der Lichtschutzfaktor (LSF) ergibt sich aus der Beziehung:

LSF = Zeit bis zum Erythem mit Sonnenschutzmittel / Zeit bis zum Erythem ohne Sonnenschutzmittel (Eigenschutzzeit)

Die Zeit bis zum Erythem ohne Sonnenschutzmittel nennen die Tester Eigenschutzzeit. Die Eigenschutzzeit hängt vom Haupttyp ab. Da es sechs verschiedene Hauttypen gibt, gibt es sechs verschiedene Eigenschutzzeiten: Hauttyp 1: ca. 10 min, Hauttyp 2: 10 bis 20 min, Hauttyp 3: 20 bis 30 min, Hauttyp 4: 30 bis 45 min, Hauttyp 5: 60 min, Hauttyp 6: ca. 90 min.

Wenn Du zum Beispiel Hauttyp I bist, dann beträgt die Eigenschutzzeit deiner Haut rund 10 Minuten. Bei einer Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 15 hieße das also: 10 Minuten x 15 (LSF) = 150 Minuten. Rein rechnerisch ist dein Hauttyp demnach 150 Minuten oder zweieinhalb Stunden vor einem Sonnenbrand geschützt.

Da es sechs verschiedene Eigenschutzteiten gibt, gibt es entsprechend sechs verschiedene Lichtschutzfaktoren. Der Lichtschutzfaktor auf der Verpackung der Sonnecreme stellt einen abgerundeten Mittelwert dar, der nicht jedem Pigmentierungstyp entspricht. Hautärzte raten daher, sich nicht nach diesem Durchschnittswert des Lichtschutzfaktors zu richten, sondern für die Dauer der Schutzwirkung der Sonnencreme nur zwei Drittel der Zeit anzunehmen. Das bedeutet für das oben berechnete Beispiel nur von 100 Minuten, statt von 150 Minuten auszugehen. Um die Schutzwirkung des LSFs richtig einordnen zu können, muss der Verbraucher in erster Linie seinen Hauttyp bestimmen.

Um das Verfahren zur Bestimmung des Lichtschutzfaktors zu vereinheitlichen, hat eine Arbeitsgruppe des Dachverbands der europäischen Kosmetikindustrie (COLIPA) eine detaillierte Prüfvorschrift entwickelt. Diese wurde 1994 als offizielle Bestimmungsmethode veröffentlicht (Colipa Sun Protection Factor Test Method) und wird seitdem in allen EU-Staaten angewendet. Seit 2010 gibt es den ISO-Standard 24444.

Es sind nur bestimmte, vorgeschriebene Lichtschutzfaktoren zugelassen, die fünf Produktklassen zugeordnet werden:

Produktklasse niedrig: LSF 6, 8,10 Cremes und Lotionen dürfen in Europa ab dem LSF 6 als Sonnenschutzmittel bezeichnet werden.
Produktklasse mittel: LSF 15, 20, 25.
Produktklasse hoch: LSF 30, 50
Produktklasse sehr hoch: LSF 50+. Die Angabe 50+ gilt für alle Sonnenschutzmittel, bei denen Faktoren über 50 gemessen wurden.

Entsprechend der Definition des LSFs könnte ein Verbraucher bei Verwendung einer Sonnencreme mit LSF 10 zehnmal so lange in der Sonne bleiben wie ohne Schutz. Voraussetzung ist allerdings, dass die Sonnencreme in der gleichen Schichtdicke wie bei der Bestimmung im Labor aufgetragen wird. Diese beträgt nach der COLIPA-Methode zwei Milligramm pro Quadratzentimeter Haut. Das entspricht etwa 35 Gramm Sonnencreme oder vier Esslöffel für den ganzen Körper bei einem durchschnittlich großen Erwachsenen. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass der Verbraucher in der Regel zu wenig Sonnencreme aufträgt, nämlich nur zwischen 0,5 und 1,3 Milligramm pro Quadratzentimeter Haut [1, 2]. Die Schutzwirkung verringert sich dadurch um 30 bis 50 Prozent.

Um diesen Anwendungsfehler auszugleichen, empfehlen Hautärzte, die Creme nach circa einer halben Stunde neu aufzutragen [3]. Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Auswahl einer Sonnencreme ist die Wasserfestigkeit. Personen, die in der Sonne Sport treiben, oder Wassersportler (Segeln, Surfen, Wasserski) benötigen eine gut haftende, durch Schweiß und Wasser schwer abspülbare Sonnencreme. Schnorchler sind besonders gefährdet. Bis zu einem Meter unter der Wasseroberfläche beträgt die UV-B-Intensität noch 70 Prozent. Die Wasserfestigkeit einer Sonnencreme gilt nur für eine begrenzte Zeit. Je nachdem, wie lange der Verbraucher unter der Dusche steht oder schwimmt sollte die Sonnencreme unbedingt neu aufgetragen werden.

3. Lichtschutzfaktor 30 reicht aus

Der Lichtschutzfaktor sollte deshalb als Maß für die Stärke des UV-Schutzes, den eine Sonnencreme leisten kann, betrachtet werden; nicht als Wert, um den man die Besonnung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt verlängern kann. Extrem hohe LSF wiegen den Verbraucher in falscher Sicherheit und können zu unvernünftig langen Sonnenbädern verführen.

Für den Sonnenschutz bei gesunder Haut sind Produkte mit LSF bis 30 ausreichend. Damit können sich selbst hochempfindliche Personen an jedem Ort der Erde ausreichend schützen, vorausgesetzt die Sonnencreme wird richtig angewendet und man hält sich nicht zu lange in der Sonne auf.

Lichtschutzfaktoren über 30 sind nur begrenzt reproduzierbar [4]. Die Bestimmung am Menschen stößt bei Faktoren über 30 an ihre Grenzen [5]. Die Bestrahlungszeiten werden extrem lang und stellen ein zunehmendes Risiko für die Probanden dar, außerdem sind die Versuchsbedingungen schwer einzuhalten.

4. Es gibt verschiedene Abkürzungen für den Lichtschutzfaktor

Der Verbraucher findet auf den Tuben von Sonnencremes die Abkürzungen: F (Faktor), LSF (Lichtschutzfaktor), SSF (Sonnenschutzfaktor), SPF (Sun Protecting Factor), IP (Indice Protection).

5. Es gibt 4 Kriterien für die Wahl des richtigen Lichtschutzfaktors

Um den richtigen LSF zu wählen, muss sich der Verbraucher vier Fragen beantworten.

1. Wie lange möchte ich mich in der Sonne aufhalten?
2. Welchen Hauttyp habe ich?
3. Wo halte ich mich in der Sonne auf?
4. Wann halte ich mich in der Sonne auf?

Zur Beantwortung dieser vier Fragen mehr in meinem nächsten Blogartikel.

Weiterführende Literatur

[1] Bech-Thomsen, N., et al. (1992) Sunbathers application of sunscreen is probably inadequate to obtain the sunprotection factor assigned to the preparation. Photodermatol. Photoimmol. Nr. 9: 242.
[2] Azurdia, R. M., et al. (1999) Sunscreen application by photosensitive patients is inadequate for protection. Brit. J. Dermatol. 140: 255.
[3] Diffey, B. (2001) When should sunscreen reapplied? J. m. cad. Dermatol. 45, 6: 882.
[4] Tronnier, H. (1996) Was bedeutet der SPF?, Akt. Dermatol. 25: 167.
[5] Tronnier, H. (1996) Testprobleme bei der exakten Bestimmung hoher Lichtschutzfaktoren, Apotheker Journal 18, Nr. 5: 6.

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